Ronin
Faits Divers. Wasserstandsmeldungen.
vor 13 Jahren - 10.04.2012
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Die Verwendung von Calone in maritimen Düften

Dieser Blogeintrag basiert auf einer Antwort zum Thema „Aquatische Noten - wie entstehen sie?“ im „Sonstiges über Parfum“-Forum. Auf die Bitte, den Beitrag doch im Blog zu veröffentlichen, gehe ich gerne ein. Zwar wollte/sollte ich den Blog mit einem anderen Artikel starten, aber hier musste ich nur noch ein wenig korrigieren und ergänzen, um einen Artikel vervollständigen zu können.

Wenn auf Parfumo maritime oder aquatische Noten in Parfums entdeckt werden, wird sofort das Molekül Calone dafür verantwortlich gemacht. In der Regel stimmt dies auch, allerdings nicht als Einzelkomponente, sondern in maritimen Akkorden zusammen mit anderen Molekülen. Calone hat den Trend der maritimen Düfte mit möglich gemacht, es wurde aber immer von anderen Komponenten begleitet, um einen leidlich natürlich nach Meeresbrise riechenden Akkord zu erschaffen.

Calone wurde 1966 vom Pharmakonzern Pfizer patentiert, fand allerdings im Pharmabereich nie Anwendung. Aufgrund seines fremdartigen Geruchs wurde die Substanz weitergegeben an Camilli, Albert & Laloue in Grasse, die Pfizer zwei Jahre zuvor gekauft hatte. Sie tauften das Molekül auf den Namen Calone nach den Initialen ihrer Firma. Verwendung in Parfums fand es allerdings erst, als es patentfrei war (20 Jahre). Calone für sich weist schon die charakteristische Note einer Meeresbrise mit blumigen Nuancen auf. Ein sehr frischer Duft, der auch ganz leicht fruchtig nach (Honig-)Melone riecht. Luca Turin beschrieb ihn einmal poetischer als „auf halbem Wege zwischen einem Apfel und dem Messer, was ihn zerteilt …“. An Calone gewöhnt man sich nicht in der Art, dass die Wahrnehmungsschwelle ansteigt („Abstumpfen“). Im Gegenteil: Das Wiedererkennen überwiegt, d.h. wir erkennen ihn immer deutlicher in immer geringeren Konzentrationen, je öfter wir ihn riechen. Das ist einer der Gründe, warum viele Calone als Gipfel der Penetranz hassen (ein anderer Grund ist natürlich die Popularität und die großzügige Verwendung: „frisch und leicht – gerne etwas mehr“). Folglich wurde über die Jahre auch die Calone-Konzentration in neu entwickelten maritimen Düften heruntergedimmt.

So gut wie immer wird es ergänzt durch Helional (=Tropional). Für sich riecht letzteres eher nach Heu, leicht süßlich. In Kombination mit Calone allerdings wird der Heugeruch verschoben in Richtung frisch gemähten Grases. Helional steuert eine deutliche Ozonnote dem maritimen Akkord hinzu, erst mit diesem Ozon wird der Akkord leidlich komplett.

In Aramis "New West for Her" (1990) wurden 1,2 % Calone mit 7,5 % Helional kombiniert. In "Escape for her" (1991) sind 0,8 % % Calone und 3,7 % Helional.

Spannender wurde der maritime Akkord durch Zusatz von Melonal, was dem Grundakkord um eine Wassermelonennote ergänzt. Beispiele: "L’Eau d’Issey" in der Damenversion von 1993 (0,6 % Calone, 2 % Helional, 0,02 % Melonal) und der Herrenversion von 1994 (0,4 % Calone, 13 % Helional, 0,4 % Melonal). "L'Eau d'Issey pour Homme" enthält also ungewöhnlich wenig Calone im Verhältnis zu Helional (1:32 im Vergleich zu "New West for Her" mit ca. 1:6) und tatsächlich: Ich zumindest empfinde den Duft als nicht so aufdringlich wie so manch anderes maritmes Gebräu.

"Cool Water Woman" (1996) enthält 0,4 % Calone, 4,3 % Helional, 0,02 % Melonal und 0,07 % Floralozon, was die ozonartigen Aspekte betont. Für "Allure" (1996) wurde auf Calone verzichtet, 2 % Helional und 0,05 % Floralozon geben die ozonige Note. Die Kombination Helional/Calone muss übrigens nicht unbedingt penetrant sein: Patricia de Nicolaï verwendet es sehr feinfühlig und gekonnt in "Week-End à Deauville".

 Gerne genommen zur Ergänzung maritimer Akkorde wird noch Florhydral (frisch, marin, ozonartig) und Lilial (frisch, leicht grün, Seerose).

Im Jahre 2005 lancierte Givaudan den Akkord Ultrazur, eine „einzigartige Basisnote mit kräftigem, marinem, Melonen- und Gurkenduft“. In der Marketingabteilung scheint folgender Text entstanden zu sein. „Ultrazur is inspired by a visit to the islands of the Indian Ocean. Reminiscent of walking on the beach, this high impact and substantive Speciality base features an accord of clean ozonic air fused with sun dried tropical woods enhanced by a Givaudan captive.” Möglicherweise hat für "He Wood Ocean Wet Wood" diese Basismischung Verwendung gefunden.

Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass "Cool Water" (1988), was ja den Massentrend maritimer Düfte ins Rollen gebracht hatte, der erste calonegeprägte Duft wäre. Dem ist nicht so: hier kam recht großzügig das hesperidische, blumige und frische Dihydromyrcenol zum Einsatz. Erst ein Jahr später stand Calone den Parfumeuren zur Verfügung.

 

(Quellen:
P. Kraft, J. A. Bajgrowicz, C. Denis. G. Fráter, Angew. Chem. 2000, 112, 3106-3138.
C. Burr, The Emperor of Scent, Random House, New York, 2004, S. 190.
http://www.nzzfolio.ch/www/d80bd71b-b264-4db4-afd0-277884b93470/showarticle/a59b2cb6-e614-4878-9cad-73e6de34d9f8.aspx
http://www.perfumersapprentice.com
http://givaudan.com/)

 

16 Antworten
Zauber600Zauber600 vor 10 Jahren
Vielen Dank .. und ich bin scheinbar eine ganz rare Spezies .. ich mag Aquaten eigentlich ganz gern :) Nicht alle .. aber manche !!
AnetholAnethol vor 13 Jahren
Danke für die Quellenangabe! Der Artikel scheint ja bei der Länge recht informativ zu sein, ich werd ihn mir morgen gleich mal genehmigen :)
ExUserExUser vor 13 Jahren
Danke für deine Antwort. Was mich ein bisschen stutzig macht, ist, dass ein Pharmakonzern diesen Duftstoff entwickelt hat. Die investieren weniger in die Erforschung guter Düfte. Da scheint man sich etwas anderes versprochen zu haben. Solangs keine aromatischen Kohlenwasserstoffe sind, ist die Welt ja sozusagen in Ordnung :)) Dabei solls grad da den tollsten aller Erdbeerdüfte geben. ;) Naja, dass die Romantik dabei flöten geht, glaub ich weniger. Ich kenn viele, die ihr Chemiestudium als Atheisten begonnen haben und heute an Gott glauben. Die Beschäftigung mit der Chemie habe sie dazu gebracht, sagen sie dann immer.
AsphaltblumeAsphaltblume vor 13 Jahren
Wasser selbst riecht vielleicht nach nichts, aber man kann es trotzdem riechen, sei es nun See oder Swimming-Pool. Vielleicht verstärkt die Feuchtigkeit von der Verdunstung selektiv andere Gerüche der Umgebung?
RoninRonin vor 13 Jahren
@ Jifat: "Aber die ganze schöne Romantik geht dabei flöten... ;-)" Da kann was dran sein. Frei nach Goethe gitl aber auch "Man riecht nur, was man weiß ..." :-P
Tja, die Wassermelone ... Issey Miyake wollte für "L'Eau d'Issey" nicht unbedingt einen maritimen, sondern einen Wasserduft. Nun riecht Wasser nach nichts, was für PArfums gewisse Nachteile hat. Aber maritim ist wässrig, Wassermelone ist wässrig ... Es ging also um eine (fast) abstrakte Umsetzung des Themas Wasser.
RoninRonin vor 13 Jahren
@ Girasole: Die Prozentangaben stammen aus der ersten Quelle, einer wissenschatlichen Veröffentlichung von Givaudan-Riechstoffchemikern. Eine Parfumrezeptur ist in Zeiten moderner Analytik so gut wie nicht mehr zu verheimlichen. by Kilian gibt sie sogar auf der Homepage an (vermutlich um mit den teuren Inhaltsstoffen anzugeben). Die Synthese von Calone kenne ich nicht.
JifatJifat vor 13 Jahren
Sehr interessant, danke. Das hat schon fast was Kriminalistisches. Aber die ganze schöne Romantik geht dabei flöten... ;-)
Dumme Frage: Was haben die Gerüche des Meeres mit dem Duft einer Wassermelone zu tun?
AavaAava vor 13 Jahren
Wow, das ist wirklich eine Wissenschaft für sich... Danke für deine Mühe!
ExUserExUser vor 13 Jahren
Sehr sehr spannend. Mir schießen Fragen durch den Kopf: Wie kommt man an die Prozentangaben, wie viel z.B. Calone in einem Parfum enthalten ist, ran? Normalerweise schweigen sich Firmen über derartige Informationen aus, was ja auch verständlich ist... es sei denn, es besteht Deklarationspflicht. Wie wird Calone überhaupt gewonnen oder hergestellt?
SonnenfeeSonnenfee vor 13 Jahren
Danke Dir! :D
BarneyBarney vor 13 Jahren
Danke! :)
LouceLouce vor 13 Jahren
:-)
TVC15TVC15 vor 13 Jahren
Genau das wollte ich auch gerade sagen :)
BauxBaux vor 13 Jahren
Danke sehr! :-)
TurandotTurandot vor 13 Jahren
Danke!
MariellaMmmhMariellaMmmh vor 13 Jahren
Sehr sehr sehr lesenswert! DANKE!!! Ich glaube ich krame Mal meine Chemieleistungskursaufzeichnungen hervor... *g*