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Das Eigentliche und das Uneigentliche: Erik Kormanns September

Gemeinsam mit Louce erlebt und verfasst

Es gibt ein paar Parfumzutaten, die nicht um ihrer selbst willen geschätzt und verwendet werden, sondern weil sie etwas anderem dienen, weil irgendetwas mit ihnen erreicht werden kann, was das tatsächliche Ziel ist. Sie dienen einem Zweck. Sie bringen, ohne selbst zum duftenden Tragen zu kommen, Transparenz, Haltbarkeit oder Frische. Oder sie halten andere Noten zusammen, um deren Duft es wirklich geht. Oder sie sind Bausteine, das uneigentliche Material für einen Effekt, den man eigentlich will. So eine Zutat ist Javanol.
Fiktiver Weblexikoneintrag

Sandelholz muss oft gebaut werden. Man kann nicht immer einfach natürliches Sandelholzöl nehmen, denn es ist zu selten, um in allen Parfums, worin man Sandelduft möchte, eingesetzt zu werden. Und es ist teuer. Also muss die Riechstoffchemie ran. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, einen Sandelholzersatz zu bauen… und eine der besten und beliebtesten verwendet den eigens dafür konzipierten Riechstoff Javanol.
Dieser uneigentliche Stoff begeisterte aber den deutschen Parfumeur Erik Kormann so nachhaltig, dass er etwas Eigenes damit machen wollte – etwas Eigentliches.

Er erzählt: „Ich liebe Javanol. Alle sagen, das sei ein Sandelholzduft, aber nein, nur in Kombination mit anderen Holznoten entsteht die typische Sandelnote… für sich alleine aber hat es etwas sehr Charakteristisches. Es ist durchaus auch holzig, aber in erster Linie fruchtig-blumig und recht süß. Profiparfumeure setzen es nur als Baustein für Sandelholznoten ein, maximal zu wenigen Prozenten. Ich mag nun aber Javanol für sich selbst; als eigenständige Duftnote. Also habe ich damit experimentiert: Ich habe eine irrwitzige Menge kombiniert mit Substanzen, die den Duft noch verstärken: Galaxolid, eine Moschusart mit cremigen und blumigen Facetten, passte hervorragend. Iso E Super ist zart holzig und diente vor allem dazu, für Transparenz und Diffusivität zu sorgen. Mit dem trocken-staubigen Timberol wurde der holzige Aspekt des Javanols betont. Etwas Polysantol ergänzte die Sandelholzrichtung. Als Fixativ für die Basis wählte ich das ambrig-holzige Ketamber. Alle diese Duftstoffe der Basis hatten dabei nur den Zweck, Javanol noch zu verstärken. Es geht ums Javanol!“

Das ist der Geist von September. Aber noch nicht die ganze Rezeptur:
„Eigentlich ging es mir nur um den einen Riechstoff und ich hätte jetzt aufhören können. Aber einen Duft nur um ein einziges Chemical herum zu machen – das gibt es ja schon. So etwas zu machen, wäre ja peinlich, und Guttenberg heiße ich auch nicht.“
Hiermit spielt er aufMolecule 01 undMolecule 02 an, die Geza Schön komponiert hat. Geza Schön, mit dem Erik Kormann sich immer mal wieder trifft und austauscht, schätzt er sehr.
„Außerdem – ich wollte schon, dass auf Javanol von der fruchtigen Seite her geschaut wird, nicht von der holzigen. Also dachte ich an eine fruchtige Kopfnote. Diese sollte aber nicht zu süß sein, Javanol ist schon süß genug. Letztendlich war es Intuition, dass Zitrusfrüchte gut zu Javanol passen. Ich wählte zuerst eine frische Grapefruit-Lemongras-Kopfnote, die recht lange in den Duft hineingetragen wird.
Eine wirklich effektive Herznote brauchte ich nicht. Die Kopfnote gab die Richtung vor und sollte dann langsam ausklingen, damit Javanol im Vordergrund ist. Eine Herznote passte einfach nicht zur Parfumidee des „Septembers“. Also wählte ich nur eine kräftige Dosis taufrisch-blütiges Hedion, um Herz und Basis zu verbinden.
Heraus gekommen ist ein Parfum, wie es noch keiner bisher gemacht hatte: ein Javanolparfum.“

Als der Duft 2013 eine Neuauflage erfuhr, wurde sein Rezept etwas geändert:
„Als wir von „1000 und 1 Seife“ für die Seifenherstellung ein schönes Orangenöl hatten, konnte ich damit die 2013er Version des „Septembers“ machen. Auch wenn mir die frische Grapefruit-Lemongras-Kopfnote gut gefiel – sie war schon recht harsch und passte nicht ganz zum restlichen Charakter des Parfums. Dem Orangenöl habe ich mit einer Prise Grapefruit noch etwas Frische mit gegeben, was durch Hedion und Iso E Super, die ich beibehalten habe, noch unterstützt wird. Jetzt, mit dieser neuen Kopfnote, war September maximal rund und stimmig geworden.“

Eine nette Anekdote von einem kleinen Hobby-Parfumeur, der sich in einen einzelnen Riechstoff so sehr verknallte, dass er damit ein Parfum basteln musste, das mit Konvention und Sitte der Profiparfumerie brach…

… könnte man meinen.
Aber mit “September” geschah noch viel mehr – es gab eine Rückkopplung zur Riechstoffchemie und das vermeintliche Hobbyprodukt beanspruchte überzeugend duftend seinen Platz in der ganz und gar professionellen Parfumerie: Philip Kraft, prominenter Riechstoffchemiker von Givaudan, bestellte sich „September“ und wusste, als er es roch, was ihm da unter die Nase gekommen war: Etwas Eigentliches.

Er beschäftigte sich mit dem überraschenden und originellen Javanolparfum. Es kam in den Gaschromatographen und privat baute Kraft nach dieser Analyse einen adäquaten, in Details veränderten „Scent and Chemistry Refix“ von „September“, den er auf seiner Facebook-Seite vorstellte. Dort rankte er „September“ auch unter die Top 5 der Nischen-Neuerscheinungen im Frühling 2013.

Top 5 der Nischen-Neuerscheinungen im Frühling 2013


September im Gaschromatographen

„So ein bisschen war das wie ein Ritterschlag.“ sagt Erik Kormann. „Nicht, dass Philip Kraft, mit seiner Profi-Chemiker-Perspektive jetzt die eine wahre Wahrheit verkünden würde … aber es war schon ganz schön bestätigend, zu sehen, dass meine Arbeit die Aufmerksamkeit und auch die Kreativität dieses Vollprofis weckt. „September“ hat gewissermaßen einen Brückenschlag über ein sehr weites Feld geschafft – und das einfach, weil es so duftet, wie es duftet – weil es ist, wie es ist.“

Mit diesem letzten Satz bringt Erik Kormann es auf den Punkt: „September“ ist nicht allein die gelungene künstlerische Arbeit, die selbständige Qualität Javanols zu entdecken und aufzuzeigen, sondern auch einfach ein spannendes Parfum, etwas für sich Stehendes und auch ganz ohne all dieses Wissen um die Entwicklung Gültiges.

Es ist eigentlich.

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