Ronin
Faits Divers. Wasserstandsmeldungen.
vor 8 Jahren - 12.01.2016
7 33

Essenzialmente Laura - 42 Düfte als Antwort auf die Frage nach Laura Bosetti Tonattos Stil


Eine der größten Überraschungen der Parfummesse Pitti Fragranze im September 2015 war für Louce und mich die neue Marke Essenzialmente Laura. Wir vermuten, dass mit der Trennung von ihrem Ehemann die vielleicht profilierteste Parfumeurin Italiens, Laura Bosetti Tonatto, ihre Rechte an der Marke Laura Tonatto verlor. Diese wurde nun in Tonatto Profumi umbenannt und Lauras Tochter Diletta Tonatto hat die künstlerische Leitung übernommen – wer als Parfumeurin oder Parfumeur hinter den neuen Düften steht, ist nicht bekannt. Sicherlich nicht Laura Bosetti Tonatto, denn die hat nun ihre neue Marke Essenzialmente Laura.


Mark Rothko: Untitled (black, red over red and black) (www.centrepompidou.fr)

Ich muss gestehen, dass ich mir bisher kein genaues Bild von der Handschrift Laura Bosetti Tonattos machen konnte. Mit der neuen Marke fällt mir das leichter. Chandler Burr vergleicht ihren Stil mit dem Mark Rothkos – große, monochrome Farbflächen, übereinander gestapelt, an den Grenzen ineinanderfließend. Zur Beschreibung der Konzeption Jean-Claude Ellenas greift Burr nun ebenfalls auf die Gemälde Rothkos zurück. Haben Tonatto und Ellena also einen ähnlichen Stil?

Einerseits ja, andererseits nein.

Einerseits stehen beide ganz in der Tradition Edmond Roudnitskas: möglichst kurze Formeln; eine Parfumrezeptur ist erst fertig, wenn alles weggelassen wurde, was nicht unbedingt notwendig ist. So entstehen kontrastreiche, eher transparente oder offene Düfte. Dazu passend stellen beide nur wenige Noten in den Mittelpunkt ihrer Parfums. So sind z.B. bei Essenzialmente Laura nur jeweils 1-2 Noten angegeben.

Andererseits denkt Laura Bosetti Tonatto beim Komponieren vom (fast immer natürlichen) Rohstoff her und startet weniger bei einem abstrakten Konzept wie Ellena. Ihr Selbstverständnis als Parfumeurin ist stark geprägt von der Rohstoffwahl. Sollte es eine italienische Dufttradition jenseits „Acqua di Touristenort“ geben, so wirkt sie auf mich, dass beste Rohstoffe ohne Chichi möglichst natürlich inszeniert werden. Halt wie italienische im Unterschied zur französischen Küche. Ob nun ihre italienische Herkunft oder die langjährige Arbeit für das saudische Königshaus und damit die Kenntnis der arabischen Dufttradition dafür sorgt ist unerheblich: Jedenfalls scheint der Startpunkt jeder Parfumentwicklung eine profunde Rohstoffqualität zu sein. Diese ist dann Startpunkt für mehrere Düfte.

Und so kommt in das Markenprogramm, das mit 39 (!) Düften gleichzeitig gestartet ist, doch etwas Übersicht.

Bergamotte ist für mich an sich eine Note, deren einzige Bestimmung im Parfum zu sein scheint, den ersten Alkoholflash nach dem Aufsprühen zu übertünchen. Nicht so die Qualität aus Sizilien, die in den Essenzialmente-Laura-Düften zu riechen ist. Saftig, bitterzitrisch, kühl, tief und rauchig. Ein fast natürlicher Partner ist in Vi Vetiver mit seinen Facetten von Grapefruit und Rauch, die bei allem Kontrast eine Brücke zwischen den beiden Noten herstellen. Das scheint etwas Typisches für die Düfte dieser Marke zu sein: Kontraste werden heraus gearbeitet; da aber die kontrastierenden Noten fast immer nuancenreiche Naturstoffe sind, gibt es auch immer ein Ineinanderfließen. Noch deutlicher wird dies bei Indaco mit dem Kontrast aus besagter Bergamotte und bestem Mysore-Sandelholz. In diesem kühl/warm-saftig/trocken-klar/michig-Kontrast sorgt eine Spur Vetiver dafür, einen schönen Bogen von der rauchigen Bergamotte zum Sandelholz mit Aspekten gerösteter Nüsse zu spannen.

Mark Rothko: White Center (Yellow, Pink, and Lavender on Rose)

Ähnlich Bergamotte ist auch Lavendel eine Duftnote, die mich selten hinter dem Ofen hervorlockt. Anders die Qualität in Lavanda und vor allem die Kombination mit Amber Lavambra hat es mir angetan, wie meinem schwärmerischen Kommentar zu entnehmen ist. Ebenfalls überzeugt die Kombination mit exquisiter Rose La Lavanda di Leonardo. Und wie exquisit diese Rose ist: 16 kg Essenz aus Taïfrose lässt das saudische Königshaus jährlich für den eigenen Bedarf produzieren. Aufgrund ihrer langen, freundschaftlichen Beziehung zum Königshaus bekommt Laura Bosetti Tonatto pro Jahr 1 kg davon. Unverstellt zu riechen in La Regina di Taïf, auch eine Oudkombination namens Alcor gibt es, die ich aber nicht kenne.

Übrigens - Oud: Alioth ist ein Tipp für alle Freunde echten Ouds. Hell und nicht sonderlich animalisch.

Es mag durchaus unterschiedliche Meinungen dazu geben ob und wie viel Rose, Oud und Sandelholz in Megrez duftbestimmend sind. Das soll aber nicht davon ablenken, dass es ein ungewöhnlich heller, mit der Textur spielender Orientale im eigentlichen Sinne ist. Einen Test wert ist hier das Extrait: stärker sandelholzbetont, die Rose zurückgenommen, ist der Duft noch sanfter, satter, reicher. Wovon er profitiert.

Originell finde ich die Jasmin-Oud-Kombination Talitha. Wobei ganz im Zentrum ein vollfleischiger, üppiger Jasminakkord steht und Oud nur eine stützende Nebenrolle spielt und für etwas Dunkelheit sorgt. "Akkord" meine ich übrigens so, wie ich es schrieb: Jasmin scheint mir keineswegs die einzige Blüte zu sein, sondern wird von anderen ergänzt, die ich aber nicht sauber zuordnen kann. Nicht der originelle Kontrast zu Oud, aber diese Art des Blütenakkords selbst ist eher klassisch und dadurch wirkt Jasmin hier auf mich … ähm … madamig. Also nichts für mich, obwohl sehr schön.

Die angegebenen Duftnoten können bei den Essenzialmente-Laura-Düften durchaus irreführend sein. Für La Corte z.B. sind Weihrauch und Moschus angegeben. Tatsächlich steht man nach dem Aufsprühen in einem Nebel frisch gemahlener Gewürze, Nelke, Kreuzkümmel, Safran u.ä. - immerhin kommt keine Curryassoziation auf. Mich erinnert dieser durchaus etwas pulvrig-schwitzige Start an Epic Man oder La Fumée, dummerweise geht es nicht so weiter: der in der Pyramide genannte Weihrauch hält sich zurück, stattdessen drängt sich ein weißer Moschus mit all seiner klinischen Sauberkeit in den Vordergrund. Ich finde den Verlauf nicht stimmig.

Auch Calabash riecht anders, als die Duftnoten Tabak und Petigrain erwarten lassen: Calabash ist der Name der Pfeife Sherlock Holmes, der Duft erinnert an mit Vanille und Honig aromatisierten Pfeifentabak. Ähnlichkeiten zu Tobacco Vanille sind im mittleren Duftverlauf durchaus gegeben, wenn Calabash auch heller und luftiger ist. Vorzüglich der Start, wenn tatsächlich etwas Petitgrain zu riechen ist, und die mit Benzoe abgerundete Basis.

Oxo hat die gleiche Tabaknote wie Calabash und ist eher so, wie ich mir von der Pyramide her letzteren vorgestellt hätte. Dummerweise erinnert mich der zitrische Start sehr an Instantzitronentee.

Mehr überzeugt hat mich Cuoio Imperiale: Softpflaume auf Leder. Klingt wie Chambre Noire, in Tonattos Duft ist die Pflaume etwas spritziger und weniger süß und dem Lederakkord wurde ordentlich Castoreum zugesetzt. So wirkt das Leder deutlich derber (ohne sehr knarzig zu sein), eine Spur animalisch und erinnert mich an das aus Habit Rouge.

Während ich die meisten der bisher kennengelernten Düfte als kontemplativ beschreiben würde, empfinde ich Orens als geradezu dramatisch: ein grün schattierter Nerolistart deutet einen Chyprebogen an. Bevor ich herausfinde, ob das Grün wintergrün-, minz- oder galbanumgrün ist, walzt harzige Myrrhe den Startakkord und den Chyprebogen platt. Die Myrrhe wird nicht zu knarzig, weil sie auf einer patchouliunterstützten Amberbasis ruht. Weiterhin sind es nur wenige Pinselstriche, aber diese wirken kräftiger als bei den anderen Essenzialmante-Laura-Parfums; ohne Wissen um die Parfumeurin hätte ich eher auf Mona di Orio getippt (Eine kleine Anmerkung: Vergleiche wie "erinnert an Parfumeurin X" oder "riecht so ähnlich wie Parfum Y" sollen in keiner Weise Laura Bosetti Tonattos Leistung oder Qualität ihrer Düfte relativieren, sondern nur dem leichteren Verständnis dienen).

Voi Sapete Ch'io V'amo, Du weißt, dass ich Dich liebe, könnte auch "No. 5 lebt, und zwar im Stamm eines Zedernbaumes" heißen: nach einem blütigen, frischen Aldehydstart (etwas, was mich immer an den Chanel-Klassiker erinnert) wird Herz und Basis von Zedernholz dominiert. Und zwar die mittlerweile selten in Parfums anzutreffende Atlaszeder, nicht die allgemein bevorzugte Virginia- oder Texaszeder. Letztere ist beliebt als guter Teamplayer: passt fast immer, gibt Struktur, charakteristisch, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Die Atlaszeder hingegen ist schwieriger einzusetzen mit ihrem komplexen, weichen Profil und duldet wenig Mitspieler. Und so ist sie im Herzen Voi Sapete Ch'io V'amo auch sehr deutlich im Vordergrund. Die Basis ist leicht ambriert mit Labdanum und Benzoe, auch hier ist aber Zeder im Vordergrund. Nicht alle mögen Atlaszeder, manche empfinden sie als muffig. Dass sie als Antimottenmittel eingesetzt wird, hilft auch nicht bei der Akzeptanz. So werden sicherlich einige mit diesem Parfum nicht glücklich werden.

Wer schon immer wissen wollte, wie die englische Königin riecht, ohne dafür eine Audienz auf sich zu nehmen (und dann noch das Protokoll verletzend an ihrem Hals schnuppern), dem sei Lilibet empfohlen. Das riecht zwar nicht exakt so wie das Parfum of HRH, kommt dem aber nahe: Laura Bosetti Tonatto hat nämlich - im Gegensatz zu Creed, die das nur behaupten - im Auftrag ihrer Majestät ein Exklusivparfum kreiert. Das darf natürlich niemand sonst tragen, aber in Reminiszenz daran ist das wohl ähnliche Lilibet entstanden. Um es kurz zu machen: Not my cup of tea. Aber ich trage ja auch andere Hüte als die Queen.


Peter Paul Rubens: Maria salbt Jesu FüßeWem die 39 Düfte nicht genug sein sollten, dem sei die limitierte Edition I Profumi della Bibbia empfohlen, die Düfte der Bibel, die anlässlich des Katholischen Heiligen Jahres 2016 erschienen ist. Die Edition besteht aus je einem Weihrauch-, Rosen- und Nardenduft mit Bezug zu verschiedenen Bibelstellen. Bei Nardo della Maddalena muss im Bibelstudium ein kleiner Fehler unterlaufen sein, denn es war nicht Maria Magdalena, sondern Maria, die Schwester Marthas, die in Betanien Jesu Füße mit kostbarem Nardenöl salbte. Das hielt mich freilich nicht davon ab, diesen Nardenduft zu testen – alleine schon, weil ich überhaupt nicht weiß, wie die indische Narde bzw. Jatamansi riecht. Nardenöl wird ähnlich Angelika und Iris aus Wurzelrhizomen gewonnen. Rieche ich an Nardo della Maddalena, so erinnert mich ein medizinisch-bitterer Aspekt an Angelika. Das Parfum strahlt Ruhe und Melancholie aus, ähnlich Irisdüften. Was aber überhaupt nicht zu den beiden anderen Wurzelextrakten passt: dieser Nardenduft ist ein sehr warmer, würziger Duft. Eine blumige Facette gibt einen nostalgischen Charakter, wobei ich nicht weiß, ob dieser aus dem Nardenöl oder anderen Inhaltsstoffen des Parfums kommt. So genau habe ich immer noch kein Bild, wie Narde riecht. Aber der Duft ist zumindest so schön, dass ich in Zukunft noch mehr Parfums damit riechen möchte.


Grundsätzlich sind die Essenzialmente-Laura-Parfums von mittlerer Haltbarkeit. Der Schwerpunkt auf natürlichen Rohstoffen in Kombination mit einem luftigen, transparenten Duftideal lässt vermutlich keine Haltbarkeitsmonster zu. Zum Teil haben sie eine kräftige Sillage. Die Kombination mit nur mittlerer Haltbarkeit finde ich nicht schlimm, aber etwas unpraktisch, weil so die Gefahr besteht, dass ich mich morgens überparfümiere, damit der Duft länger durchhält.

Die Flakons sind schlicht und funktionell und passen sehr gut zum Markennamen Essenzialmente. Sie wirken freilich seltsam deplatziert, seitdem auch im Nischenbereich der Swarovskiblingblingfaktor immer wichtiger wird. Erfreulicherweise auch deplatziert wirkt die Preisgestaltung mit € 89 pro 100-ml-Flakon für Düfte mit solch hochwertigen Inhaltsstoffen. Alle Düfte sind auch als sogenannte Meraviglia-Flakons erhältlich, Schraubdeckelgläser mit 7 ml Inhalt zu € 12. Dies ist praktisch, weil es quasi keine andere Möglichkeit gibt, die Düfte zu testen: meines Wissens gibt es noch keinen Vertrieb im deutschsprachigen Raum. Das riesige Portfolio wirkt ja auch abschreckend. So muss direkt auf der Homepage geordert werden. Es lohnt auch ein Blick auf die Raumdüfte und Pflegeprodukte, die es zu einigen der Düfte gibt.

7 Antworten

Weitere Artikel von Ronin