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vor 4 Jahren - 28.10.2020
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Fortsetzung II: Lieblingskommentar mit historischer Dimension

Lieblingskommentar mit historischer Dimension

Nach meiner Lieblingspost und dem erwähnten Statement aus der ersten Blogpost wäre jetzt mein Lieblingskommentar an der Reihe. Aber welcher wäre mein Favorit eigentlich? Es ist so, wie Heidi Klum bei dem Finale der Topmodels immer wieder mit einer gut gekünstelter Aufregung sagt: “Es kann nur einen geben! Nur einen Gewinner!”

Es gibt sehr viele fabelhafte – oft persönliche – (Kurz-)Geschichten in Kommentaren, die mit Düften verbunden sind. Bei Choco Musk gab es mal einen Kommentar mit “Puuuding” von der Oma (wer den gelesen hatte, der weiß, welchen ich meine) - dieser Kommentar ist leider nicht mehr zu finden. Bei Sir Irisch Moos ist die Story "Nachbarn..." genial. Oder von MarkusH bei Black Afgano: "Ich kam in die Küche und Black Afgano schien sofort den Raum für sich vereinnahmen und mit ihm auch die Personen die sich in ihr aufhielten, das waren meine Eltern. Kurze Zeit nach dem Guten Tach sagen, kam schon aus dem Mund meines Vaters „Wat riecht dat hier so....? Wie verkohkelter Kaffeprött oder so"? Antwort meiner Mutter "Ach was, da is irgend jemand nen Lungentorpedo am püffen draußen.""


Geschichten aus früheren Zeiten finde ich toll, wie z.B. einen Kommentar, in dem mal Ratten Jenny erwähnt wird. Wer nicht weiß – so wie ich beim vorherigen Lesen –, wer Ratten Jenny war, findet tolle Zeitungsartikel, in denen sie erwähnt wird (Bücher auch, wie z.B.: "SO 36 – 1978 bis heute" oder "Subkultur Westberlin 1979-1989"). Kurz: Sie war eine Punkerin, die gewöhnlich mit einem weißen Nagetier auf der Schulter herumlief.


Es war eine schwierige Entscheidung, aber es gibt einen Kommentar, der nicht nur genial geschrieben ist, sondern auch noch eine historische Dimension hat: Der Kommentar von Fittleworth zum Damenduft “Action” von Florena (1985). Historische Dimension wohl deswegen, weil der Staat, in dem der Duft entwickelt wurde, gar nicht mehr existiert. Jüngere kennen diesen Staat oft nur aus Filmen wie z.B. Goodbye Lenin oder Das Leben der Anderen. Pioniere, VEB, Glasnost und Perestroika - mysteriöse Begriffe. Zu dem Duft findet man interessante Hintergrundinformaitonen auf der Seite des DDR-Duftmuseums (siehe Info-Ausführungen nach dem Kommentar von Fittleworth):


“Damals in der schlechten alten Zeit…

Unser Land war grau. Langweilig, öde und grau.
Zwar lebten wir in der größten DDR der Welt, doch diese war nun einmal ... grau.
Sie roch sogar grau.
Braunkohlegrau.

Graue Häuser, graue Menschen, graue Jahreszeiten, grauer Alltag.
Ab und an wurde dieses Grau jedoch unerhörterweise durchbrochen. Dann hatte irgendjemand ein Westpaket zugesandt bekommen. Neben Kaffee und Schokolade enthielten diese Pakete oftmals Duftverheißungen aus dem “Goldenen Westen” …

Das konnten die Genossen natürlich nicht so ohne weiteres durchgehen lassen. Sie gelangten zu der Einsicht, daß man den Sozialismus auch aufbauen konnte, wenn man dabei duftete.
Daher machten sie sich voller Eifer ans Werk, den auf dem Rücken der ausgebeuteten Arbeiterklasse produzierten Duftwässerchen des Imperialismus einen sauberen, dem Frieden und dem Wohle aller Menschen dienenden Duft entgegenzusetzen.
Nach nur 25 Jahren stürmischer, rasanter Entwicklung konnten sie die Erfüllung des Plans zu Ehren des X. Parteitags der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vermelden und beglückten die gefestigte sozialistische Persönlichkeit mit einem wunderbaren Duft, der sich jugendlich und frisch über den Alltag erheben sollte.
So schenkte die Partei uns jungen Menschen nicht nur ihr Vertrauen, sondern auch “Action”.

Hergestellt wurde diese Köstlichkeit im VEB Florena Waldheim-Döbeln.
In Verpackungen, die ein gewagtes rosa-schwarzes Gittermuster zierte, gelangte der Duft 1986 dann sogar in den Handel.
Und wurde augenblicklich ein Renner.
In Ermangelung anderer Düfte.
Sieht man mal von scharf alkoholisch müffelnden Rasierwässerchen wie „Privileg“ ab, mit denen sich die älteren Herren bedufteten …

„Action“ wirkte dagegen wie eine Frischzellenkur.
Wie Glasnost und Perestroika.
Wie ein Aufbruch zu neuen Ufern.
Wenn man nichts anderes kannte.

Und so rochen von Stund an Jung und Alt in der gesamten DDR nach dieser klebrig-süßen, wie Stahlwolle an den Nasenschleimhäuten kratzenden und wie grobkörniges Sandpapier schmirgelnden, alles verätzenden rosa Plörre.

Ein echter Soliflor.
Johannisbeere in ihrer synthetischsten, süßlichsten Form.
Frisch, hell und klar wie ein Novembermorgen am Werkstor des Petrolchemischen Kombinats Schwedt.
Da war keine einzige natürliche Zutat verwendet worden. Nur gute Chemie.
Und davon reichlich.
Denn wenn wir in der DDR etwas hatten, dann Chemie.
Man konnte ihr und ihren Ausdünstungen nicht entkommen.
Genausowenig wie „Action“.

Die Genossen hatten offenbar herausgefunden, wie man die Abgase der Chemischen Werke Buna und des Chemiekombinats Bitterfeld in Spraydosen und Flaschen füllen und durch geheimnisvolle Zusätze in Deodorant und Rasierwasser verwandeln konnte.

Ja, sicher – das Zeug brannte auf der Haut wie Säure.
War ja auch welche.
Usninsäure und Triclosan … lecker!

Für nur 11,50 Mark konnten wir diesen wunderbaren Duft samt Nebenwirkungen (Pickel, schwere Hautrötungen, Brennen, Jucken, Arbeitsunlust, Wutanfälle und Ausreiseanträge) in den dafür vorgesehenen Verkaufsstellen erwerben.
Falls er nicht gerade ausverkauft war.

11,50 Mark waren damals in der DDR viel Geld. Dennoch schienen enorm viele DDR-Bürger diese stolze Summe gern zu investieren, um ihren Mitmenschen olfaktorisch gehörig auf den Senkel gehen zu können.
Vielleicht nahmen sie aber auch nur den dümmlichen Verkaufsslogan ernst: „Die Deokomposition für junge Leute, sympathisch, belebend, zuverlässig!“
Manchmal sollte man Satire wohl besser auch als solche kennzeichnen…”


Info:

Wie erwähnt, stammt der Duft “Action” von Florena (bei der Forumssuche sollte “action florena” eingegeben werden, sonst erscheint der Duft nicht). Florena gibt’s ja immer noch (diverse Produkte kann ich aus eigener Erfahrung loben; z.B. eine Gesichtscreme war auch mal bei Stiftung Warentest Testsieger). Die Produkte von damals kenne ich zwar nicht, aber das rosa-schwarze Karomuster sieht aus meiner Sicht gut (so "80er-like") und charakteristisch aus.


Damaliger Marketingtext: “ACTION ist die neue Jugendkosmetik von Florena, eine umfangreiche Serie, mit der ihr euch erstmalig mit Methode von Kopf bis Fuß reinigen, pflegen, desodorieren, parfümieren und verschönern könnt. Sie wurde von jungen Leuten aus vier Betrieben des VEB Kosmetik-Kombinates Berlin speziell für euch entwickelt.”

Bei der Entwicklung ging es also um eine ganze Serie von Produkten für Jugendliche, die in den Florena-Labors in Waldheim entwickelt wurden (und nach Erscheinen ein großer Hit in der DDR in der zweiten Hälfte der 80er waren). Die Produktion erfolgte in verschiedenen Betriebsteilen:

- Parfüm & Gesichtswasser wurden in Waldheim gemischt;

- Duschshampoo wurde in Gera,

- Haarspray in Oberlichtenau,

- und Seife in Döbeln produziert.


Nach der Wende wurde 2006 die Produktion eingestellt, jedoch kamen Action-Düfte 2009 durch die Gründung der Firma Casino Parfuem Saxonia wieder auf den Markt (die Webseite der Firma ist leicht zu finden). Zu der aktuellen Produktpalette gehören u.a.:

- Casino Action for Woman,

- Casino Action for Men,

- Action Sport Edition.

Im Grunde sind diese Produkte ja gewissermaßen legendär; für diejenigen, die sie damals – schon aus Altersgründen – nicht kannten, wohl auch exotisch. Ich habe mir die Action-Düfte jedenfalls als Testkandidaten vorgemerkt; allein schon wegen der historischen Dimension... :)

In diesem Thread gibt es mehr zum Thema Düfte in der DDR.

#Patras #Compliment #WildRiver #Action #Casino #Florett

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