Titania
Titanias Blog
vor 10 Jahren - 02.07.2014
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Quatsch keine Oper!

Der Don hatte auch einen Namen. Aber er trug ihn nicht, so wie er auch sein Gesicht nicht zeigte. Es genügte - ihm, den anderen - dass er seinen Platz kannte: jenseits von Gut und Böse, von Kontrolle und Abgrund, von Dauer und Ewigkeit. Der Don hieß Giovanni und sein Platz war das "und", nicht das "oder". Dort befand er sich, dieser feine Herr, als eine Ahnung, ein Versprechen. Und als Widerspruch, der nicht aufzulösen ist, weil er nur als Widerspruch bestehen und vegehen kann. Große Oper.

Ich gehe nicht oft in die Oper. Ist, wie man heute so sagt, echt nicht meins. Oder: nicht echt meins, mir nicht wahrhaftig genug. Das klassische Drama, noch so eine Floskel, hat nichts mit mir zu tun. Ich finde oft nichts darin: über mich oder für mich, irgendetwas, das mich mit dieser Geschichte verbindet. Da kennen sich zwei seit fünf Minuten oder Tagen, singen von Liebe, schmelzen dahin, schwören Treue. Bis ein Dritter hinzu kommt oder ein Zufall oder das Schicksal und dann der Racheschwur folgt und die Versöhnung, vielleicht, oder ein Bitteres. Ende. Manchmal mag ich die Musik, manchmal nicht, manchmal sehr, aber Kopf und Herz wehren sich erfolgreich dagegen, von solchen Dramen berührt zu werden, also perlt auch die Musik irgendwann ab. Schon klar, dass man das Ganze nicht banal finden muss, sondern auch als archetypisch erkennen kann, vielleicht sogar müsste - aber nunja, Hirn und Herz lassen als eingeschworenes Team nur selten mit sich handeln. Zumindest die beiden da in meinem Körper.

Mit Tanz kann ich, apropos Körper, sehr viel mehr anfangen, das ist mir mehr Ausdruck, schöpferisch, als bloß Abbild zu sein. Für eine klassische Schwanensee-Aufführung gilt das womöglich nicht uneingeschränkt. Aber wer je eine Choreografie von Sidi Larbi Cherkaoui gesehen hat (oder jetzt mal rasch googelt), wird verstehen, was ich meine.

So what? Gehe ich selten in die Oper, es sei denn, es wird getanzt. Aber letzte Woche war ich dort und es wurde der Don Giovanni gegeben. In einer Inszenierung, die meine Vorbehalte erst ver- und dann wegwischte und jeden Winkel meines Herzens erreichte, auch solche, in die nicht mal der Tanz hineinwirken darf, eigentlich. Regisseur Benedikt von Peter zeigt einen Don Giovanni als das "und" zwischen allem Widersprüchlichen, indem er ihn nicht zeigt. Man hört den Don, man sieht ihn durch die Blicke derer, die ihn suchen, begehren, verfluchen, suchen. Doch er hat kein Gesicht, nur Stimme und Hände, er scheint eine Grenze zu sein zwischen dieser und einer anderen Welt. Zwischen Existenz und Verlockung. Wobei offen bleibt, welches davon die echte und welches die wahre Welt ist. Das Hin-und-Her-Gerissensein findet keine Lösung, keine Erlösung.

Es sei, so schwelgte ein anderer Zuschauer in der Pause auf der Aussenterasse, eine Offenbarung. Das sagt bei fast jedem Tingeltangel mindestens einer der Besucher irgendwann, schätze ich mal, aber in diesem Fall kam es mir vor wie - das Wahre. Dass es jemand wagt, endlich und zudem ästhetisch ungemein genussvoll, den Widerspruch aufrecht zu erhalten. Und den Raum, in dem das stattfindet, immer weiter auszudehnen. Denn nimmt nicht dort alles Leid seinen Anfang, wo versucht wird - wo wir versuchen - Eindeutigkeit, Sicherheit und Stabilität herzustellen, wo es sie nicht gibt? Wo wir uns nach Ewigkeit sehnen, um daraufhin Dauer zu verordnen? Wo wir versuchen, etwas festzuhalten, das erst dann zu etwas wird, wenn es vergeht? Wo wir zum Beispiel Düfte horten und bunkern, ohne sie je zu tragen?

Ein Parfum, das nicht getragen (oder allgemeiner: nicht wahrgenommen) wird, hat ziemlich große Ähnlichkeit mit getrockneten Kichererbsen. Ist ein Vorrat. Eine Art Serviervorschlag. So jedenfalls sehe ich es. Ein Duft entfaltet sich dann, wenn man ihn trägt, ihn teilt - vergehen lässt. Dann wird aus Träger, Duft und Zeit ein einmaliger Moment. Der ist im nächsten Moment vorbei. Es kommt ein nächster, anderer. Träger. Duft. Moment. Von dem wir erst dann etwas wissen können, wenn es sich ereignet. Und so ist das nicht nur mit Düften, sondern mit allem, was lebendig ist. Es stirbt, wenn wir ihm nicht erlauben, Form oder Aggregatzustand zu wechseln, sich zu ereignen. Wenn wir festzuhalten versuchen, was sich bewegen muss, um zu sein.

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