Liebhaber oder Junkie - ein Kommentar
Meine Reise begann vor etwa vier Jahren. Damals verbrachte ich täglich mehrere Stunden auf YouTube und Parfumo, tauchte immer tiefer in die Welt der Düfte ein. Sobald ich eine Stadt besuchte, zog es mich in Parfümerien – oft zum Unverständnis meiner Begleiter – nur um die Düfte zu testen, die ich online entdeckt hatte. Nicht selten führte das zu einem Kauf, entweder direkt vor Ort oder kurz darauf im Netz. Keine Abfüllung, direkt ein ganzer Flakon. So entstand nach und nach eine Sammlung von rund 23 Parfums, auf die ich sehr stolz war. Ich dachte, das war eine sorgfältig kuratierte Sammlung die meinen Geschmack voll traf - nun, so war es nicht.
Ein leises Unbehagen machte sich breit, jedes Mal, wenn ich einen Duft aufsprühte. Ich war irritiert – mochte ich diesen Duft nicht? Ich hatte doch hunderte Euro dafür ausgegeben, wieso fühlte ich mich jetzt nicht wohl damit? Ich musste mich doch wohlfühlen – das Geld konnte doch nicht „umsonst“ gewesen sein. Dieser innere Druck verstärkte das Unwohlsein nur noch mehr. Sollte ein Duft mich nicht selbstbewusster machen, attraktiver, vielleicht sogar verführerisch? Stattdessen passierte oft das Gegenteil. Also trennte ich mich – nach und nach – von fast allen meiner Parfums. Erstaunlicherweise fiel mir das leichter als gedacht. Was blieb, war ein nicht unerheblicher finanzieller Verlust – vor allem als Student war das schmerzhaft. Doch schon eine Woche später hatte ich bei keinem einzigen Duft das Gefühl, ihn zu vermissen. Die Sammlung schrumpfte auf fünf Parfums, von denen ich nur noch eines regelmäßig nutzte: Musc Ravageur. Ich liebe diesen Duft. Alles wurde entspannter, und meine „Leidenschaft“ für Parfums verflüchtigte sich Stück für Stück. Seitdem sind rund zweieinhalb Jahre vergangen, in denen ich mich kaum mit Parfums beschäftigt habe.
Und in dieser Zeit sind mir ein paar Dinge klar geworden, die ich gerne mit euch teilen möchte.
Ist es wirklich olfaktorische Leidenschaft, die mich antreibt? Oder suche ich nach dem Dopamin-Kick beim Öffnen eines neuen Flakons, beim ersten Sprühen, beim Gedanken: dieser Duft gehört jetzt mir?
Rückblickend war es bei mir Letzteres. Viele Düfte hatte ich gekauft, weil sie online gelobt wurden. Mit diesem Vorwissen hatte ich mich selbst davon überzeugt, dass der Duft gut ist – und zu mir passt. Aber wenn man ihn abgibt und ihn eine Woche später nicht einmal vermisst, war er dann wirklich so essentiell?
Ein weiteres Aha-Erlebnis war für mich ein Paradoxon: Etwas, das mich eigentlich gut fühlen lassen soll, lässt mich unwohl fühlen. Ich stand täglich vor der Entscheidung, den perfekten Duft für den Tag zu finden – was sich oft wie eine Belastung anfühlte. Nicht nur vor dem Sprühen, sondern auch während ich den Duft trug. Zwei Dinge spielten dabei eine große Rolle:
1. Die Schuldgefühle – Wenn ich mal keine Lust hatte, etwas zu tragen, meldete sich sofort das schlechte Gewissen. Ich hatte doch so viele tolle Düfte, ich musste doch einen davon mögen – schließlich hatte ich viel Geld dafür bezahlt. Im Nachhinein sehe ich darin erste Anzeichen von Suchtverhalten: Ich setzte mich selbst unter Druck, Parfums tragen zu müssen – und dadurch wurde es zunehmend unangenehm.
2. Die Reaktion der Mitmenschen – oder eher: das Ausbleiben davon. Wenn ein Duft als „Compliment Getter“ beworben wird, erwartet man (bewusst oder unbewusst) eine Bestätigung von außen. Ich hatte viel Geld investiert – also wollte ich auch etwas „in return“. Kam keine Reaktion, stellte ich alles infrage: Passt der Duft zu mir? Ist er zu viel? Habe ich den perfekten Duft vielleicht noch nicht gefunden? → Und so begann die nächste Runde in der endlosen Suche nach dem perfekten Duft.
Hier kommen wir zum letzten Punkt: dem Einfluss von Marketing. Düften werden Eigenschaften zugeschrieben, als könnten sie uns über Nacht verändern. Gut aussehende Influencer:innen erzählen, dass dieser Duft Komplimente bringt, attraktiver macht - kurz, den sozialen Status hebt. Klassischer Halo-Effekt.
Ich dachte, mit dem richtigen Duft würde alles ein bisschen leichter – Gespräche, Flirts, Auftritte. Spoiler: War nicht so. Ein Duft kann meine Persönlichkeit/die Erscheinung unterstreichen, aber beides nicht ersetzen. Ein Haus steht auch nicht auf einem wackeligen Fundament.
In dieser Welt voller Reize und Hypes sind Reflexion und Achtsamkeit wichtig. Überlegt vor einem Kauf: Passt der Duft wirklich zu mir? Bestellt Proben, testet in Ruhe, nehmt euch Zeit. Kauft nicht aus Hype oder Langeweile, sondern aus Überzeugung. Lasst euch nicht von Influencern leiten, die an eurem Kauf mitverdienen – das ist ihr gutes Recht, aber nicht gleichbedeutend mit Neutralität.
Und vor allem: Geht euren eigenen Weg. Es ist etwas Gutes, wenn man einen Duft nicht mag, den alle anderen lieben. Das zeugt von ehrlicher Reflexion. Man braucht keine 20 Düfte, die halbwegs passen – sondern ein paar wenige, die wirklich sitzen. Qualität statt Quantität.
Ob ich nun Liebhaber oder Junkie war – vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Aber solange wir ehrlich zu uns selbst sind, können wir die Freude an Parfums behalten - ohne Druck, ohne Illusionen – und mit einem klareren Blick auf das, was uns wirklich gut tut.


Ich glaube jeder lässt sich mal von Marketing blenden, umso wichtiger, dass man sich das eingestehen und kritisch darüber sprechen kann :)
Vieles was du geschrieben hast sollte selbstverständlich sein.
1. Lebe nicht über deine Verhältnisse, egal ob bei Parfums oder sonst wo. Studenten mit teuren Nischendüften finde ich immer lustig, wollen nach Money riechen aber verdienen noch kaum was 🤦♂️.
2. Parfums machen nicht deinen Job beim Flirten.... Ehrlich?! Leute die das ernsthaft denken sind sehr gutgläubig.
Genauso wie das mit den Komplimenten. Du bekommst nur Komplimente wenn dein Auftritt entsprechend ist. Lächelt du oder guckst du wie ein Gremlin, stimmt deine Hygiene oder war das Parfum deine Dusche.
3. Druck was zu tragen?! Ich habe zu viele Düfte aber ich freue mich auf meine 2 Düfte pro Tag, und ich überlege maximal 5 min was es wird. Ich trage die Düfte für mich, niemand sonst. Höchstens meine Freundin darf mir da rein reden 😅. Selbstverständlich trage ich nichts was Sie absolut nicht leiden kann wenn Sie es ab kriegen würde 😂.
YouTuber kann man 95% vergessen, ich schaue nur GentsScents und ATH.
Ein Hoch auf meinen Pragmatismus.
Vielleicht einer der besten Beiträge, die ich hier gelesen habe.
Chapeau und Danke!
Normalerweise würde man irgendwann irgendwie, vielleicht durch ein Geschenk, auf Parfum aufmerksam werden. Man würde es tragen, wenn es denn gefiele, sich vielleicht noch nach einem zweiten umsehen, oder es auch nur leer tragen und neu nachkaufen. Und dann vielleicht Stück für Stück mehr kaufen oder eben auch nicht. Es gäbe keine Druck, weil man hört „musst du in deiner Sammlung haben“, „musst du testen“… so ein Blödsinn. Wenn das komplett wegfiele, dann würden sich einige vielleicht gar nicht so nen Stress machen. Es gäbe kein „Game“. Es gäbe dafür vielleicht nur Genuss und den in irgendeiner individuell ausgeprägten Form.
Den finanziellen Verlust sowie das Gefühl der Überforderung und des Bereuens teile ich mit dir. Mir hat Folgendes geholfen: Trage das, was du wirklich liebst und dich jedes Mal beim Aufsprühen gut fühlen lässt. Ist dem nicht so, ist das Parfüm halt keine 100%, sondern nur 90%- 80%.