Cœur de Noir 2015

Isidor
05.08.2023 - 16:48 Uhr
12
Sehr hilfreiche Rezension
8
Preis
9
Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft

Nachtgefühl

Es ist irgendwann zwischen drei und fünf. Der Himmel ist so schwarz wie die Pferde deines Gedankenkarussells. Der letzte Rest Rum aus deinen Vorräten sollte dir beim Einschlafen helfen, doch dein Geist lässt sich nicht von etwas leuchtender Flüssigkeit betäuben, wenn die Sonne so fern scheint.

Ein Strudel hat dich im Griff:

Du drehst dich im Kreis, wie die Rauchschwaden deiner Kippe, die du am offenen Fenster rauchst: auf die asphaltfarbene Stadtlandschaft unter dir starrend und nichts dabei sehend.

Du mäanderst zwischen heute und damals, seitdem du dir die von jemand der dir mal wichtig war zurückgelassene Lederjacke über dich geworfen hast: die kalte Haut schützt dich vor der nächtlichen Frische, die eingebrannten Erinnerungen fließen wie Lavaströme über deine papiernen Wangen.

Du kreiselst um die Leerstelle in dir: Es wird Zeit ein neues Kapitel zu beginnen, die Tuscheschemen, Tintenflecken und Tränenpatzer der letzten Seiten hinter dir zu lassen. Aber das weiße Blatt deiner Geschichte macht dir Angst, so wie das Morgengrauen, das nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.

So gibst du dich dem Wirbel und der Nacht hin, der gestrigen Fülle und dem heutigen Nichts.

Die ersten Fenster funkeln dich golden an, während der Mond leise seinen Abgang macht.
Bevor dich die Sonnenstrahlen und Abgasgerüche des beginnenden Tages erreichen können, machst du deine x-te Zigarette aus, lässt das leere Glas als Opfergabe für einen Neuanfang auf dem Fensterbrett stehen und die schwere Lederjacke zu Boden fallen. Sie bleibt liegen wie ein an der Scheibe abgeprallter Vogel.

Das Ende aller Tage ist die Nacht, und das Ende dieser Nacht bist du.
Die Spirale hört auf sich zu drehen. Endlich fallen deine Augen zu.

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(Musik zum Duft: TR/ST – Destroyer)
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