Aromatics In White 2014

Ginger
09.02.2015 - 03:49 Uhr
28
Sehr hilfreiche Rezension
7.5
Flakon
2.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
2
Duft

blinder Spiegel

Eine Patchouli-Wumme hatte ich nicht erwartet, ehrlich nicht. Aber schon so eine Art Chypre-Baileys, ein verschlanktes Original-AE mit Creme abgemildert. Oder meinetwegen auch Puder.

Aus dem Vakuum der ersten Sekunden wächst eine strahlend-helle Frische, bei der sich jedoch schon bald ein Effekt bemerkbar macht, den ich als "olfaktorisches Fiepen" bezeichnen möchte. Eine Art Stör-Frequenz, ein gerüttelt Maß an subtil peinigenden Elementen. Nadelstich-artig, im Verlauf stärker werdend, entfalten sie ihre unangenehme Wirkung, welche sich von der Schläfe bis in die Magengegend zieht. Als hätte ich von etwas zu viel genommen, von etwas, das mir nicht bekommt. Das leise Martern lässt sich etwa eine Stunde Zeit.
Dann endlich beginnt der Duft, sich zu öffnen. Nebenbei möchte ich erwähnen, dass ich sehr erfreut war, über diese Neuerscheinung eines Flankers vom originalen AE, welcher mir immer besser gefällt, immer besonderes Wohlgefühl beschert.
Konfetti wollte ich werfen zur Lancierung der White-Version.

Aber halt, was geben sie mir nun zu riechen, Gekünsteltes, Gestelztes? Dunkelgrüne Andeutungen, hohl und ohne Erdung, die Rose kalt, sie hat nie gelebt, das Veilchen gelangweilt und arg entstellt. Der Duft scheint wie ein Klecks Silikon auf meiner Haut zu schwimmen, ein Diffundieren offenbar unmöglich. Im bild-sprachlichen Sinne gemeint, nicht im physikalischen. Könnte er sich doch nur seiner Plastik-Haut entledigen, sie sprengen, aber dazu fehlt ihm ganz offenbar der Spirit. Die schmalen hellen Hölzchen, die zum Ende verstreut werden, vermögen es am allerwenigsten.
Ich konnte es nicht glauben und so versuchte ich, wie oftmals beim erneuten Testen Name, Herkunft und vorgegebene Parallelen auszublenden, so gut es geht, um aus verändertem Blickwinkel weitere Erkenntnisse zu ziehen. Ich will ganz ehrlich sein, ich weiß nicht, was ich lobend erwähnen könnte, wenn sich der Gesamteindruck in der Nähe eines Lotions-getränkten Feucht-Tuches einjustiert.
Schnell werfe ich die Fähnchen, die ich eben noch schwenken wollte, in den nächsten Papierkorb. Hoffentlich hat niemand gesehen, dass ich welche mit hatte.

Der Fairness halber möchte nicht unerwähnt lassen, dass ich den Verdacht hege, der Effekt der Verdrängungs-Verstärkung könnte zugeschlagen haben. Damit meine ich, dass man versucht, Eindrücke, die man nicht mag, zu vermeiden. In diesem meinem Fall, eben die künstlichen, zu weilen stechenden Noten. Durch diese Vorgehensweise erreicht man eventuell jedoch, das man das Unerwünschte im Fall des Falles eben nur noch stärker wahrnimmt. Es ist der gleiche Effekt wie z. B. bei lärmempfindlichen Menschen, welche durch ihr Zurückziehen in die Abgeschiedenheit, nur noch sensibler für akkustische Störungen werden.
Da ich in der letzten Zeit verstärkt alte Chypres genossen habe, obsessiv, möchte ich nicht ausschliessen, dass meine Wahrnehmung darum so geprägt sein könnte.

Mein Blick zurück ins Parfum-Regal sieht einen Orkan der Windstärke 10 in den Schweizer Bergen, bei dem man sich am Liebsten festklammern muss, um nicht fortgeweht zu werden. Daneben Tisch-Ventilator-gewendete Büro-Luft. Beide sind jetzt auf einer Höhe, denn sie haben das gleiche Mäntelchen um. Ein reinrassiges Ester-Konstrukt versus einer Explosion hochwertiger natürlicher Zutaten.
Vorläufige Endpunkte einer Entwicklung, die in mir keine positiven Emotionen weckt, in ein Stillleben gegossen.

"ja, ja, früher war alles besser!", ich höre es schon, aber in meinem Alter habe ich einfach keine Lust mehr, in jedes Liedchen einzustimmen, das " König Fortschritt" auf seiner Laute klampft. Besonders nicht, wenn man schon von weitem sehen kann, dass er mal wieder die Krone schief hat. So manch einer mag das für rückwärts gewand halten, ich kann es nicht verhindern.

Sollte ich einen Ort benennen, mit dem ich White AE in Verbindung bringe, wäre das eindeutig die Außen-Plattform der Enterprise. Im intergalaktischen Feldversuch hätte man dort einige Beete angelegt, um aromatische Pflanzen zu ziehen, leider ohne Sonnenlicht. In kurzen Intervallen müssten sie zur Stabilisation mit einer gesättigten Polyethylen-Lösung gegossen werden, denn bei minus 270 Grad Celsius und Wharp 4 herrschen keine idealen Bedingungen und die zarten Pflänzchen könnten schnell die Form verlieren. Mr Spock spricht dazu zwar sein obligatorisches "faszinierend" in den Orbit, doch das Zucken seines linken Spitz-Ohrs deutet an, dass er es ironisch gemeint haben könnte...

Also ich beam mir den nicht runter.
15 Antworten