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Sehr hilfreiche Rezension
Grüße mit der Kinderpost
"Lieber Thomas, heute habe ich von meiner Oma eine Schachtel mit einem Geschenk bekommen. Ich war natürlich sehr gespannt. Drin war mein erstes Briefpapier. Du bist der erste, der einen darauf geschriebenen Brief bekommt. Lustig, sogar nachgemachte Briefmarken waren dabei. Mami hat aber gesagt, die gelten in Wirklichkeit nicht, deshalb haben wir den Brief in einen zweiten Umschlag mit einer echten Briefmarke getan. Oma hat mir auch noch ein paar Sachen dazu geschenkt, so dass ich jetzt ein richtiges kleines Postamt habe: eine Flasche Büroleim mit Pinsel, rote Express-Aufkleber und blaue Luftpost-Aufkleber. Beide muss man von der Rolle abreißen, anlecken und aufkleben.
Was schon mit in der Schachtel war, hat mir am meisten gefallen, aber auch schon Schimpfe von Mami eingebracht. Der Kinderpoststempel und ein eigenes Stempelkissen. Außerdem habe ich einen roten Plastikstempel bekommen, in den ich mit einer Pinzette Gummibuchstaben einlegen kann, um meinen eigenen Stempel zu bauen. Leider steht das A von Thomas jetzt auf dem Kopf. Das habe ich zu spät gemerkt. Die Stempelfarbe riecht total komisch, ich habe immer wieder dran gerochen, aber Mami hat mich erwischt, und es verboten. Sie hat gesagt, daß ich endlich damit aufhören soll, weil es bestimmt schädlich ist. Vielleicht kannst Du es noch riechen, wenn Du Deine Nase dicht an den Brief ranhältst. Damit ist mein Brief auch schon wieder zuende. Ich freue mich auf Deine Antwort, bis bald, Dein..."
Es gibt den Begriff der Fehlerinnerung, und es gibt ausgedachte Erinnerungen, die mit laufender Verfestigung zur Fehlerinnerung werden können. Oder auch nicht. So wie oben beschrieben, war es jedenfalls nicht.
Ich werde durch den Duft massiv an alte Stempelfarbe erinnert, dieser Eindruck überschattet alles andere. Vielleicht sind es Erinnerungen an einen Druckereibesuch in der Kindheit, odet doch das Hantieren mit Stempelfarbe als Kind. Jahre später gab es das Event der Wiener Sabotage-Crew, bei dem der Duft "Cash", angeblich dem Geruch frischer Dollarnoten nachempfunden, lanciert wurde. Damals roch ein ganzer Berliner Club danach - nach Teerzeug, gewachsten Jacken, Tinte. Das kommt dem schon sehr nahe. Nachdem ich erfolglos versucht habe, Cash aufzutreiben, bin ich sehr erfreut, hier einen würdigen Statthalter gefunden zu haben.
Sonst passiert fast nichts, die anderen Noten kann ich nicht riechen, oder sie treten hinter dem erzeugten Bild sehr stark zurück, später zieht sich alles leicht säuerlich zurück. Mit starker Haltbarkeit und zumindest anfangs deutlicher Wahrnehmbarkeit.
Für mich ein sehr spezieller, artifizieller Duft, was für mich kein Widerspruch zu einer natürlichen Herkunft sein muss. Vetiver mit einer erdig-teerigen, aber nicht süßen, sondern eher bitter-säuerlichen, dabei aber sehr eigenwilligen Anmutung.
Ich weiß gar nicht, wo ich sowas tragen könnte, da fällt einem keiner um den Hals, da löst man eher Befremden aus. Also sprühe ich mir das abends heimlich auf meinen Arm und denke an ein Kinderpostamt mit schwarzgrüner, vielleicht giftiger, Stempelfarbe. Oder sollte ich besser Encre Verte sagen? Für mich die authentischere Tinte...
2 Antworten
AromaTic vor 6 Jahren
Schöner, persönlicher Kommentar! Mir geht's ganz ähnlich, ich mag den Duft sehr, wüsste aber auch kaum wann ich ihn tragen könnte. Er erinnert mich neben dem Teer auch noch an Terpentin, das ganze durchaus natürlich erdig. Bin immer wieder kurz davor, mir eine Flasche zu kaufen.. aber die letzte Überzeugung fehlt (bislang)….
TooSmell27 vor 6 Jahren
Sehr guter Kommentar.