Vetiver (Eau de Toilette) von Guerlain

Vetiver 1959 Eau de Toilette

Profumo
16.02.2011 - 13:33 Uhr
43
Top Rezension
10Duft 7.5Haltbarkeit

Ein Denkmal

Guerlains ‚Vetiver’ ist eine Legende, vergleichbar nur ganz wenigen anderen - Diors ‚Eau Sauvage’, oder dem originalen ‚Aramis’ vielleicht.
Allen dreien gemeinsam ist aber nicht nur ihr Status als duftende Legende, sondern auch das Image eines altmodischen und altväterlichen Colognes.

Was haben wir uns aber auch satt gerochen an diesen Großtaten der Parfumkunst, oder? Und hatte nicht jeder in seinem familiären Umfeld mindestens einen Vater, Großvater oder Onkel, vielleicht auch einen Lehrer, einen älteren Kollegen oder Vorgesetzten, der nach einem dieser glorreiche Drei geduftet hat, oder womöglich sogar noch immer duftet?

Ja, ich gestehe: ich – Jahrgang 65, und quasi mit ihnen aufgewachsen – konnte sie nicht mehr riechen. Im wahrsten Sinne der Worte hatte ich ‚die Nase voll’.
Nun aber, da doch einige Jahre ins Land gegangen sind und ich mich für unzählige Parfums habe begeistern können, tritt das Besetzt-Sein mit so vielen Erinnerungen doch etwas zur Seite. Zusehends lösen die Düfte sich von den Bildern jener Menschen die sie trugen und mit denen ich sie jahrzehntelang assoziierte. Und auf einmal – bar nicht jeglicher, aber fast aller Ressentiments – stelle ich fest, welcher Qualität sie sind.
Nicht, dass ich mich auf einmal für sie derart begeistern könnte, um sie völlig vorurteilsfrei und mit Genuss tagein tagaus zu tragen - nein. Eine gewisse Unsicherheit, ein leiser Vorbehalt sind geblieben: riechen sie nicht doch etwas altmodisch, verströmen sie nicht doch diesen ‚Daddy-Vibe’?

Am ehesten kann ich‚Eau Sauvage’ tragen – es erinnert mich einfach an meine Frankreich-Urlaube als Kind. Mit ‚Aramis’ ist es schon schwieriger – ein Lehrer trug es. Ja, und Guerlains ‚Vetiver’, das trug wiederum ein Kollege meines Vaters, und meine Geschäftspartnerin trägt es noch heute. Immerhin kann ich – wie gesagt –den Wert dieser Düfte heute anerkennen, wenngleich ich mit ‚Vetiver’ – analog zum Verhältnis zu meiner Partnerin – die meisten Schwierigkeiten habe. Ich weiß nicht, ob ich sagen kann: ich mag den Duft. Auf jeden Fall achte, ja bewundere ich ihn.
Vorallem das Bild des Gärtners auf dem Familiengut, der immer nach frischem Gras und Erde roch, und einem Päckchen Tabak, das er bei sich trug – dieses Bild, das den kaum volljährigen Jean-Paul Guerlain zu diesem Duft inspirierte, es gefällt mir außerordentlich, da es so wunderbar umgesetzt wurde. Ein Hauch von diesem Duft, und exakt dieses Bild ersteht vor meinem inneren Auge: gemähtes Gras und heller Tabak.
Aber natürlich ist ‚Vetiver’ viel komplexer. Der Gärtner hat nämlich – warum auch immer - ein paar Muskatnüsse in der Tasche. Deren würziges Aroma passt aber wunderbar zum herben Grün des Grases und den feinen Tabaknoten. Und ganz im Hintergrund, da lauert auch noch – allerdings dezent in Szene gesetzt - der ganze Kosmos des Guerlain´schen Erbes: die berühmte ‚Guerlinade’, jene Melange provençalischer Kräuter, pudrig-süßer Noten und leichter aromatischer Nuancen.

Sicher stand der junge Jean-Paul noch unter der Aufsicht des großen Jacques, als er diesen Duft schuf – sein erstes großes Meisterwerk. Zumindest wird er sich mit ihm beraten haben. Immerhin war es sein Großvater, der den bizarren und facettenreich zwischen grün-erdig-rauchig changierenden, zugleich aber zur Dominanz neigenden Duft des Vetiveröls zum ersten Mal etwas mehr Raum gab (‚Sous le Vent’), ja ihm schon fast eine Hauptrolle gönnte (‚Djedi’). Es als Soliflor heraus zu streichen wagte er jedoch – noch – nicht. Erst als Carven mit einem solchen herauskam, und zwei Jahre später Givenchy nachzog, bestand akuter Handlungsbedarf. Guerlain, als erstes Haus am Platz, fühlte sich einmal mehr berufen zu zeigen, dass es etwas besser kann als andere: nämlich Parfums machen. Waren die Konkurrenten vielleicht innovativer, Guerlain war besser. So folgte ‚Jicky’ auf ‚Fougère Royale’, ‚Mitsouko’ auf François Cotys ‚Chypre’, ‚Shalimar’ auf Cotys ‚Emeraude’, und eben das eigene ‚Vetiver’ auf dasjenige von Carven.
In allen Fällen gelang ihnen nicht nur eine bessere und interessantere Umsetzung der ursprünglichen Idee, sondern auch deren Sublimierung; und so verwundert es nicht, dass sämtliche Vorgängerdüfte verschwanden, während die Kreationen des Hauses Guerlain all die Jahre hindurch unbestritten die vordersten Plätze einnahmen und zu Legenden der Parfumkunst wurden.
Leider können wir heute diesen Akt der Sublimierung kaum mehr nachvollziehen, da – wie gesagt – die Vorgängerdüfte größtenteils verschwunden sind, bzw. falls sie wieder eingeführt wurden, wie kürzlich das jahrzehntelang verschollene ‚Fougère Royale’, in der Regel als moderne Interpretationen der ursprünglichen Idee gelten können.

Doch auch die Düfte von Guerlain haben sich nach so manch notwendig gewordener Reformulierung ein gutes Stück verändert und sind dem herrschenden Zeitgeschmack angepasst worden. Das hauseigene ‚Vetiver’ ist ein gutes Beispiel dafür.
War es früher viel grüner, dunkler, ja fast öliger, mit voluminöser Basis, ist es heute frischer, strahlender, transparenter und stark Gewichtsreduziert. Die Koordinaten Zitrus-Muskatnuss-Vetiver-Tabak bilden zwar nach wie vor das Gerüst des Duftes, doch ist dieses längst nicht mehr so massiv. Der Duft ist durchweg stark verschlankt. Ähnliches wird von der Neu-Einführung von Carvens ‚Vetiver’ berichtet, das allerdings kaum mehr wieder zu erkennen sei, während die Neu-Einführung von Givenchys ‚Vetyver’ als halbwegs gelungen gepriesen wird.
Ich kenne die alten Vetivers von Carven und Givenchy nicht, nur dasjenige von Guerlain – aber ich gäbe einiges dafür, sie einmal alle drei nebeneinander in ihrer ursprünglichen Fassung riechen und vergleichen zu können.
So bleiben mir nur die heutigen Ausgaben, und ich muss sagen: Guerlain hat immer noch ein klein wenig die Nase vorn – auf jeden Fall weit vor Carvens (meines Erachtens) missratenem neuen Vetiver. Der Vergleich mit Givenchys berühmter Kreation – sie war Hubert de Givenchys Signaturduft – ist da schon ergiebiger: hinsichtlich der Exzellenz der Komposition und der exquisiten Materialien sind sie beide auf gleicher Höhe. Nur ist das Vetiver von Givenchy introvertierter und zurückhaltender, während Guerlains offensiver und extrovertierter ist. Und wie es fröhlicheren und temperamentvolleren Menschen eben zu Eigen ist: sie stellen die leisen, schüchternen gerne mal ein wenig in den Schatten.
So fristete Givenchys Vetiver jahrzehntelang tatsächlich eine Art Schattendasein, und wird es auch weiterhin fristen – aller Exzellenz zum Trotz. Guerlains Variation auf dieses Thema wird es auch in Zukunft mit Aplomb überstrahlen.
Anders sieht es schon mit moderneren Interpretation zum Thema Vetiver aus: Kompositionen wie Dominique Ropions ‚Vetiver Extraordinaire’ für Frédéric Malle, Jacques Floris ‚Vetiver’ für Etro oder auch Jacques Polges ‚Sycomore’ richten den Fokus eher auf die erdigen und rauchigen Seiten dieser Graswurzel, und weniger auf deren grüne Triebe. Sie können ohne weiteres neben Guerlains Vetiver bestehen, da sie sich erst gar nicht auf einen Zweikampf einlassen. Allein Patricia de Nicolaï wagt ein direktes Duell, und (als großer Fan von ihr muss ich leider gestehen) unterliegt nach Punkten. Obwohl ihr ‚Vetyver’ gut ist, sehr gut sogar, doch ist es ein wenig zu sperrig, zu kopflastig. Als Mitglied des Hauses Guerlain musste sie sich vermutlich dieser Aufgabe stellen, womöglich aber reizte sie ja auch der direkte Vergleich mit dem berühmten Werk ihres Onkels.
Hieran wird allerdings auch erkennbar, wie schwierig es ist, sich als Parfumeur diesem epochalen Werk zu nähern. Man kann es nicht besser machen, höchstens anders. Wer das eigene Werk im Umfeld des Duftes von Guerlain zu errichten gedenkt, wird bis auf weiteres in dessen Schatten stehen. Sich aber anderenorts auf dem weiten und facettenreichen Feld zu positionieren, scheint dringend geboten, möchte man auch mal für ein Weilchen in der Sonne stehen.
Sogar Jean-Paul Guerlain selbst musste es sich gefallen lassen, dass - anlässlich seiner ‚Vetiver Extreme’ genannten Variante - Kübelweise Unrat auf ihn nieder prasselte. Dabei ist der Duft gar nicht mal so schlecht, nur empfinden es offenbar viele schon als absoluten Faux-Pas, wenn selbst der Erschaffer des großen Werkes an diesem zu rühren wagt – so sakrosankt ist es mittlerweile.

Ein unverrückbares Denkmal eben.

Egal ob altmodisch oder altväterlich: ich habe mir vorgenommen es öfter zu tragen – es ist einfach zu gut!
2 Antworten
TraviataTraviata vor 14 Jahren
Auch wenn ich den Duft (an mir) nicht "mag", muss ich sagen: RESPEKT
DuftstickDuftstick vor 15 Jahren
Ein toller Kommentar,er ist so gut ,das ihn mehrmals lesen musste!
Nur wer bezahlt mir diese Überstunden?? Ich verzichte und les ihn noch einmal.