Farbenduft
11.12.2023 - 15:16 Uhr
3
10
Preis
7
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
7.5
Duft

Flügel der Freiheit

Die 80er Jahre. Ganz Spanien rebelliert nach Francos Tod im Rhythmus der Movida. Ganz Spanien? Nein, ein kleines Dorf im Norden, versteckt zwischen grünen Hügeln und Eukalyptusbäumen, lebt noch in den 60er Jahren. Anderswo tanzten junge Frauen mit dicken Schulterpolstern und kurzen Haaren zur Musik von Annie Lennox. Hier kauften Mütter für ihre Töchter noch in der Merceria ein, dem Laden für alles, was die Frau so braucht: Kinderwäsche, Küchentücher, Nadel und Faden, Unterwäsche und anständige Kleidung. Auch für Rafinesse ist hier Platz, aber bitte erst im richtigen Alter. Am Abend nach getaner Arbeit flaniert man untergehakt, mit Mäusezahnstrickjäckchen gegen die Kühle. 
Hierhin also verschlug es mich in den 80ern. Mit meinem Öko-Pulli, meinem asymmetrischen Haarschnitt und meinem geringen Interesse für das Haushälterische kam Unordnung ins öffentliche Dorf-Bild. Rasch wurde ich mit der Clique der Nachbarsmädchen bekannt gemacht. Man war im gleichen Alter - natürlich würden wir Freundinnen werden und ich mich anpassen, oder? Disco? Ja, gab es auch, erfuhr ich von ihnen - ein zartes Band erster Gemeinsamkeiten bahnte sich an. Es kam der Abend, als es in die Disco gehen sollte. Reihum holte eine immer größer werdende Gruppe Mädchen die nächste Freundin ab. Dann würde es zu Fuß die Landstraße runter ein Dorf weiter und um die Bucht zur Disco gehen. Bei jedem Mädchen spielte sich die gleiche Zeremonie ab: großes Hallo vor dem Haus, wo die Mütter und Nachbarinnen den Aufzug ihrer Töchter mit einigem Humor überwachten, während drinnen was auf dem Feuer gerade alleine zurechtkam. Wie anständige Senoras brachten sie eine Duftwolke aus traditionellem La Maja, zarten Veilchen, prüdem Lavendel, femininen Rosen oder sauberen Zitronen zusammen. Lautstarkes Begeisterungsgequietsche über das Outfit der Freundin, ein verschworener Blick beim krönenden Tupfer mit einer duftenden Essenz aus einem Flakon, und weiter zog die Gruppe, eine etwas leichtere, süßere, blumigere Duftwolke als die der Mütter hinterlassend.
Die letzte Freundin, die abgeholt wurde, war natürlich der ungekürte Star der Clique. Bei ihr durfte es länger dauern. Alle sollten mal raufkommen und sich ihre Jeans und ihr Outfit anschauen. Sie trug freche kurze Haare, eine rockerartige Jeansjacke und Sneaker statt Stöckel oder Ballerinas. Selbstbewußt beschwörte sie uns, während sie ihren neuen Duft auftupfte : Das ist „fresco“ - frisch! Das ist anders! Anders als La Maja, als die Veilchen, die Rosen, die Vanille und die Zitronen. „fresco“ heißt zugleich frech! Der freche Duft hieß Alada. Geschwungen und zügig „fliegt“ der Schriftzug über das Glas, etwas Luftiges, Veränderliches, Ungebundenes ausdrückend. Meine Assoziation zu dem Schriftzug war immer Wind über Dünensand. Alada bedeutet „geflügelt“.
In der Drogerie des Dorfes wurde Alada gern empfohlen, wenn ein hoffnungsloser Fall etwas „Anderes“ suchte. Alada duftete Ende der 80er Jahre nach Mann. Eine junge Frau konnte sich damit die Aura der Unabhängigen, Unkonventionellen geben. Zeigen, daß sie anders sein wollte, nicht gefällig, passiv, niedlich, hübsch und adrett, nicht typisch Frau. Zeigen, daß sie sich sehnte, die Flügel auszubreiten und über das Dorf hinauszufliegen, einem weiten Horizont entgegen.
Dank Florblanca kann ich den Hauch von Alada an einem fast leeren Flakon nochmal wahrnehmen. Heute kommt er mir garnicht so grün vor, wie er mir damals erschien. Alada war mir damals zu luftig, zu burschikos und zu wenig geheimnisvoll. Damit reihte ich mich letztlich ein unter die Damen, die diesen Duft als eine Verirrung des Traditionshauses Myrurgia bewerteten. Heute - wenige Tage nach Nil Sanders 80. Geburtstag - empfinde ih Alada garnicht als so leicht, nehme was Würziges wahr. Es wäre ein immer noch tragbarer Chypre, fast klassisch, unaufgeregt, weiblich genug, mit krautigen und lavendeligen Noten. Es hat sich auf leisen Schwingen etwas verändert…
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