Parisian Dream 2020

Christacita
18.12.2023 - 11:32 Uhr
2
8
Preis
9
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
6.5
Duft

Von Zeitreisen und verlorener Jugend

Wo ist sie geblieben? Meine alles vereinnahmende, von Unstetigkeit und Abenteuer geprägte Jugend? Es scheint mir, als ob sie entführt worden von einem unsichtbaren Zauberzug, der dampfend und ratternd durch die nebligen Weiten zog. Aus dem Nichts, urplötzlich entschwunden. Der Dramatik zufolge geschah dies sogar nachts, denn kein Pfad führte mehr zu jener Jugend zurück, die sich so abrupt aus dem Staub gemacht hatte. Im Privatabteil des Nachtzugs zierte eine kleine Früchteschale das klitzekleine Fensterbrett. Mandarinen und Ananas lagen unberührt einsam da, nur ihr sanfter Duft zeichnete ein paar unsichtbare Wölkchen in die Stille, die sogar eine leicht pfeffrige Note freisetzten. Ich erinnere mich an den Duft von Orangenblüten, dessen Teebeutel ich stets mit mir trug, da mich deren Essenzen in Stunden der Unruhe zu beruhigen vermochten. Wohlig warm. Ihr Duft, deutlich und überwältigend, so als bestünde ihre Existenz allein deshalb, errochen und erschmeckt zu werden. Wo ist sie nur geblieben, jene erotisierende, wilde Zeit, die vor lauter Überschwänglichkeit zu zerbersten drohte? Nur die Amber- und Moschus-Aromen waren in der Lage, die Gefühle etwas zu erden, die Emotionen etwas zu bändigen, damit ich vor lauter Enthusiasmus nicht in 1000 Stücke zersprang. Oder war es in Wahrheit die Angst, die mich zurückhielt?

Vor meinem geistigen Auge zeigt sich ein Öl-Gemälde aus dem Paris der frühen 20er Jahre. Der Eiffelturm mittig präsentiert sich mit seiner markanten, alles vereinnahmenden Präsenz in mattem schwarz. Rechts und links davon zieren hübsche, dem Art Deko Stil entsprungene Wohnreihen, die dank einzelner rosafarbener Jaminsträucher jäh an positiver Resonanz und Verspieltheit dazugewinnen. Inmitten des Bildes zeigen sich vorne zwei verliebte Pärchen, die eng umschlungen unter einem rosafarbenen Regenschirm dem prachtvollen Eiffelturm entgegentreten, langsam und andächtig, um ihrer Liebe mit dessen Symbolik zu besiegeln. Ganz vorne erkenne ich eine Gestalt, die der meinen ähnelt, obschon ich diese Möglichkeit in Gedanken wieder verwerfe, schließlich bin ich keine Zeitreisende. Von dieser Frau ist nur der Rücken zu sehen, die langen Haare, die Arme und Hände weit ausgestreckt zum Wahrzeichen hin, als wollte sie ihn mit seiner ganzen Pracht umarmen und die damit einhergehende Liebe für immer in sich einschließen und nicht mehr loslassen.

Die Jugend loszulassen mit all ihren Facetten, die die Maturität mit sich bringt, kann eine echte Herausforderung darstellen, umso bedeutender wohl, wenn die unergründbaren Wege des Lebens mit seinen mannigfaltigen Gabelungen einen vor diverse Entscheidungen stellt, welche rückblickend wohl auch differenzierter hätten bewerkstelligt werden können.

Der Duft widerspiegelt eine verspielte Süsse, leicht entzückend karamellhaltig, in der Tat etwas kitschig und unwirklich, daher werde ich diesem Duftwässerchen mit Namen „Parisian Dream“ wohl keinen dauerhaften Aufenthalt in meinen bescheidenen Räumen gewähren, trotz des nostalgiekreischenden Namens und des zauberhaften Flakons. Die Zeitreise und die Duftträume dürfen jedoch gerne bleiben.

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