Portraits - The Blazing Mister Sam 2018

Rocky23
18.12.2020 - 09:02 Uhr
30
Hilfreiche Rezension
6
Preis
10
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft

Von der Selbsterkenntnis zum Duft ... oder umgekehrt?

Düfte als Spiegel der Persönlichkeit, oder zumindest als Pendant zu dieser. Ein schöner Gedanke, wenn auch erstens schwer umzusetzen und zweitens in der Praxis kaum anzutreffen. Bei der Flut an Mainstream-Hypes à la Sauvage, Bleu de Chanel und, das tut mir als Freund des Duftes weh zu sagen, Aventus ein heilloses Unterfangen, da allgegenwärtige Präsenz im Übermaß und Persönlichkeit meines Erachtens nur sehr bedingt vereinbar sind. Wie geht man nun vor, wenn man Düfte nicht nur um des Balzverhalten Willens oder der Morgenroutine wegen gebrauchen möchte, sondern seinen Charakter möglichst passend durch den olfaktorischen Sinn zu untermauern? In meinem Fall geschah das durch die Analyse von Duftnoten, das Lesen von Kommentaren und die allgemeine Reputation des Duftes. Designer-Düfte schieden vorweg aus, da ich etwas Besonderes, nicht in jeder Drogerie Auffindbares haben wollte. Snobbiger Ansatz, aber gut. Den Neurosen nachgegeben. So testete ich mich durch zahlreiche Duftreihen, von Amouage, über MFK zu Parfums de Marly und so weiter. Cedrat Boise erschien mir eine interessante Wahl, Layton ebenfalls, sowie Amyris, Baccarat Rouge und Musc Ravageur. Sogar Duro bedachte ich, verwarf ihn aber sogleich wieder, auch wenn ich mich gern als harten, kantigen Typen mit ihm in Kombination gesehen hätte. Schließlich kam ich bei Reflection Man an, welcher es mir schon seit langem angetan hatte. Ein fabelhafter Duft, zwar kein Geheimtipp, aber in der normalen, nicht duftvernarrten Welt dennoch von Seltenheitswert. Das Bild, welches der beste der Amouage ausstrahlte, brachte mich jedes Mal aufs Neue zum selbstverliebten Träumen über unsere gemeinsame Zukunft. Der Gentleman, der Saubermann, der wohlsituierte Diplomat, welcher allseits beliebt und geschätzt wird, nie aneckt und stets die richtigen Worte und Taten wählt. Das war ich und dieser Duft spiegelte dies perfekt wider.

"Bitte? Moment mal! Bist das wirklich Du oder wärst Du nur gerne das, was Du denkst, dass mit diesem Parfum assoziiert wird?! Betrüg Dich nicht selbst, von diesen Charaktereigenschaften bist Du weit entfernt! Trag das Parfum, weil Du es magst, aber sonne Dich nicht in dessen Glanz als weißer Ritter, der Du (noch - Anm. d. Red) nicht bist!"

Touché! Die innere Stimme hat sich den utopischen Vorstellungen des Glückszentrums entgegengestellt. Und Recht hat sie, das bin ich tatsächlich nicht. Von der Suche nach einem Duft, der zu meiner sich noch im Wandel befindlichen Persönlichkeit passt bin, ich abgedriftet zur Suche nach einem, an dessen Reputation ich meine Persönlichkeit gerne anpassen würde. Eine wichtige Erkenntnis für mich, denn sowas wollte ich nicht. Selbst- und Fremdbild sollen zumindest in diesem Fall zusammenpassen, das war mein Ziel.

Nichtsdestotrotz habe ich meine Suche auf Eis gelegt, da ich etwas ernüchtert vom bisweiligen Ergebnis war. Doch unverhofft kommt oft und so geschah es, dass ich vor kurzem wieder am Testen neuer Düfte war, so auch einiger Xerjoffs, im Speziellen 40 Knots (toller, hochwertiger Duft). Schon fast ganz nebenbei wurde mir Penhaligon's The Blazing Mr. Sam aufs Handgelenk gesprüht, welchen ich jedoch nicht weiter beachtete; zu angetan war ich von 40 Knots. Im Laufe des Tages verlor ich jedoch immer mehr die Kontrolle und war nur noch am Mr. Sam Schnüffeln, welchen ich zuvor als überteuerten Mainstreamer abgetan hatte. Mehr und mehr gefiel mir diese eigentlich simple Komposition, die mich doch auch etwas an meinen Liebling Spicebomb (original, nicht extreme) erinnerte. Nun begann ich zu recherchieren und stieß auf die bemerkenswerten Geschichten der Portraits-Reihe aus dem Hause Penhaligon's. Sehr zu empfehlen, fast wie aus einem Comicheften. Mr. Sam's Geschichte fand ich dabei überaus interessant und, zu meinem Erstaunen, irgendwie auch zutreffend auf meinen Lebensweg. Nicht das Neureiche oder das Playboy-Gehabe, aber das Ungestüme, Freche und die nicht immer korrekte Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Strategie. Läse meine Mutter die Beschreibung, so müsste sie wohl schmunzeln und würde etwas zynisch behaupten, dass dies doch bestens auf den Sohnemann zutreffen würde. Ebenso der Duft selbst, welcher laut ihr viel zu süß wäre, genau wie diejenigen, die ich seit meiner Pubertät angehäuft habe und ihr widerstreben. Aber das passt natürlich, was anderes ist sie ja nicht gewohnt von mir.

Hm, war das nicht genau das, was ich eigentlich wollte? Ein Parfum, mit dem man mich ohne Probleme identifizieren könnte? Etwas, das meiner Linie treu bleibt, aber dennoch besonders scheint? Gewissermaßen eine Metamorphose meiner altbekannten, süßen Favoriten, nur in nischig? Ja, das war und ist es. Die fiktive Story des frivolen Mr. Sam obendrauf ein absoluter Gewinn für mein Gemüt. Ich kann mich eben nicht selbst belügen, ob es mir missfällt oder nicht.

Zum Duft selbst ist zu sagen, dass keine Überraschungen auftreten, sofern man sich mit der Duftpyramide vertraut gemacht hat. Ist er besonders? Jein, ein für mich in Ansätzen bekannter, würzig-süßer Geruch, der verfeinert wurde und sich zumindest ein wenig mit V&R Spicebomb vergleichen lässt. Besonders nahe verwandt ist er mit Penhaligon's Halfeti, jedoch ohne den Oud-Touch und die Rose, dafür etwas süßlicher (mehr Zimt?). In der Basisnote gehen die beiden schließlich weiter auseinander und der Tabak gesellt sich in angenehmer Weise dazu, was Mr. Sam einen deutlich männlicheren Gesichtszug als Halfeti verleiht. Tragbar ist er für mich in allen Lagen, zu jeder Jahreszeit. Vermutlich eher in kühleren Zeiten, aber das sei mal dahingestellt. Assoziieren würde ich Mr. Sam mit jüngeren Herren, die elegant können, aber auch mal gern die Sau rauslassen, dabei jedoch durchwegs zielstrebig bleiben - eben ganz nach seinem Portrait. Er lädt jedoch auch zum Wohlfühlen ein und bringt einen gewissen Zuschuss für das Selbstbewusstsein mit sich. Irgendwie auch ein kleiner Ersatz für meinen Egoisten von Chanel, den ich so gern habe, der aber weniger alltagstauglich für mich ist. Nicht zu überdreht wie One Million oder die Gaultiers, aber auch nicht so prüde wie andere Vertreter der würzigen Gattungen. Irgendwie perfekt, zumindest für mich.

Kann er als mainstream-angehaucht durchgehen? Ich denke ja. Stört mich das? Nein, keinesfalls. Warum? Weil es ihn in mainstream so nicht gibt, Punkt. Außerdem wirkt er hochwertig, projiziert bestens und hält locker 8 Stunden aufwärts. Nervt es mich, wenn Düfte von Nischenmarken verunglimpft werden, weil sie wohl nach Mainstream riechen? Absolut. Warum? Weil Duftnoten Duftnoten sind und eben mal riechen, wie sie riechen. Wichtiger ist mir die Feinheit der Komposition und Natürlichkeit dieser, welche hier für mich ein hohes Niveau aufweisen. Es kann und soll nun mal nicht jedes Parfum Oud, das beste Sandelholz oder Sonstiges enthalten, um außergewöhnlich eigen zu wirken. So ist das nun mal.

Ich habe meinen Buddy gefunden und mein Buddy wohl mich - Ganz ohne mich verstellen zu müssen. In ein paar Jahren wird es dann vielleicht ja doch noch Reflection Man, wenn die stürmischeren Zeiten vorbei sind und ich mich der Seriosität verschrieben habe. Für den Moment bin ich aber doch sehr zufrieden mit meinem Horngetier, das mich ab sofort begleiten darf.
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