Esclarmonde
10.03.2013 - 19:32 Uhr
35
Sehr hilfreiche Rezension
7.5
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
9
Duft

Die dunkle Seite der Nacht

Ich war immer eine kleine Dramaqueen. Schon als ich geboren wurde, hing ein Gewitter über dem Land. Als junges Mädchen war ich trotzig, als Teenie bockig und ungezogen. In diesen jungen Jahren habe ich bereits allen den Kopf verdreht, von Stallburschen bis zum Grafensohn. In so manche finstere Ecke haben mich meine Leidenschaften bald gezogen, oft bin ich unfrisiert und fern der Heimat aufgewacht. Was haben meine Eltern geschimpft! Und mich gewarnt – vergebens… Eines Nachts war es so weit: der junge Mann, mein neuester Schwarm, war anders als alle anderen. Er schien mich anzuziehen, schien gewusst zu haben, wo er mich finden würde. In einem Augenblick ging alles so schnell: ein Ruck, ein Biss, und seither friste ich meine Tage im Dunkel meiner teuren Verstecke.
Die Sonne sehe ich nur noch im Fernsehen aufgehen. Wenn ich shoppen gehen will, bin ich auf die Wintermonate angewiesen. Ganz schön dämlich, wenn man auch mal Sommerkleider haben will!

Seit ich das letzte Leben ausgehaucht habe, bin ich auf äußere Wärme angewiesen: meine offenen Kamine, warme Decken, heißes Blut, ein warmer, lebender Körper an meiner Seite… Ich hülle mich in Dekadenz und Reichtum zu denen ich auf dunklen Wegen gekommen bin, auf meinen tödlichen, verwundenen, dunklen Wegen.

Auch andere Dinge wärmen mich: Musik von Orlando di Lasso, vor allem Vinum bonum oder Alma redemptoris mater oder der Sommer (presto) von Antonio Vivaldi, das höre ich gerne in den verlorenen Nächten die mein Leben sind. Üppig arrangierte Blumenbouquets, in den Farben meines geliebten Sommers, dessen Farbe ich vermisse wie die Wüste das Wasser. Die farbenfrohen, lebendigen Bilder von Renoir oder die bildgewordenen Rauschzustände der Werke von Gustav Klimt. In mancher Liebesnacht habe ich mich gefühlt wie eine Protagonistin der „Wasserschlangen I“, als ob die Luft, die Atmosphäre, alles um mich durchsetzt wäre von funkelnden Gemmen und Edelsteinen.

Und ich vertreibe die Kälte mit Düften. Mit warmen, runden Düften. Darunter seit etwa zwanzig Jahren Maroussia. All die farbenfrohen lebendigen Blumen, wie ich sie mir in natura nur vom Blumendienst bringen lassen kann. Blutrot, schneeweiß, lila und sonnengelb. Nie mehr werde ich sie in der Frühjahrssonne selbst pflücken können. Würziger und warmer Amber, so dunkel und verrucht wie mein ganzes Leben, und Zibet, hinreißend und betörend wie ich selbst im Angesicht eines Opfers. Vanille, welch leckere Note für ein Geschöpf ohne jegliche Leidenschaft für den Verzehr anderer Substanzen als Blut! Dazu harzig-warmes Benzoin…

Ohne Maroussia würde ich manche Nacht nicht überleben, müsste ich an manchen Sommertagen meiner ewigen Einsamkeit ein Ende setzen und hinaus rennen, in die gnadenlos gute Sonne. In diesen Nächten ist nur der Gedanke an sie wärmer als mein mich einhüllendes Maroussia.

Was habe ich gefeiert! Was bin ich weit gereist! Was habe ich gelebt! Aber nie mehr wieder habe ich gelebt und mich lebendig gefühlt wie vor jener vermaledeiten Nacht. So bin ich unzerstörbares Leben einerseits und unvollständig und von fremdem Leben abhängig andererseits. Von vielen beneidet, doch so einsam und zerbrochen.

Dieser Duft passt so sehr zu mir: er will in die Sonne, will das Leben, aber will es gleichzeitig auf eine düstere Art. Er ist kompliziert, zieht im einen Moment an, um gleich darauf so schwer zu werden, dass man trunken, beinahe betört zurückweicht. Er ist opulent wie eine blutrote Samtrobe, die im ersten Augenblick gleißend elegant wirkt, sich aber sofort danach als starr und jeglicher Anmut hinderlich erweist. So sind wir, mein Duft und ich: anziehend aber gefährlich und irritierend, lebendig aber manchmal erdrückend und ohne Leichtigkeit, unendlich lebendig und dabei so schwer. Mein dunkler, schwerer, unsichtbarer Begleiter in der finsteren, finsteren Nacht.

Gute Nacht da draußen, was immer Ihr sein mögt!
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