Plainsong
Plainsongs Blog
vor 10 Jahren - 21.08.2014
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Von Generationen und Generatoren

Wer meine bisherigen Parfüm-Kommentare verfolgt hat, wird vielleicht festgestellt haben, dass ich meine Rezensionen in aller Regel mit einer persönlichen Geschichte, mit meinem eigenen Bezug zu diesem Duft beginne. Ich finde, das gehört sich so. Zu einem Duft, den man trägt, hat man ja nicht in erster Linie eine sachlich-nüchterne Beziehung, sondern eine ganz spezielle.

Andererseits wäre es enttäuschend, wenn das dann alles wäre, was ein Kommentar zu bieten hat. Man möchte ja auch sachliche Informationen: wie wird der Duft beschrieben, wie wirkt er, womit kann man ihn vergleichen? Und so bleibt in den Kommentaren wenig Platz, sich tatsächlich stärker mit dem eigenen Bezug zu einem Parfüm oder Düften im Allgemeinen auseinander zu setzen. Für diejenigen, die ausführlicher daran interessiert sind, werde ich im Laufe der Zeit hier das eine oder andere Mal einen Text einstellen.

Meine Leidenschaft für Düfte ist nicht neu - aber neu entflammt. Das hat mehrere Gründe. Zum einen spiegelt es meine persönliche Entwicklung wider, zum anderen hat es - und das hat das erste sicher mit beeinflusst - finanzielle Gründe. Und zum dritten sucht man sich eine Leidenschaft nicht aus - sie trifft einen einfach.

Als ich etwa 20 Jahre alt war, begann sich die Welt für mich auf nie da gewesene Art und Weise zu öffnen. Zur Schule zu gehen, war irgendwie alternativlos - das musste nun mal sein, und so was sucht man sich in aller Regel nicht aus. Auch sein Taschengeld kann man in tendentiell eher unmündigem Alter schlecht selbst festlegen - und damit war dann auch relativ schnell, kompromisslos und lange klar, dass außer Axe Africa nicht viel Wohlgeruch übrig bleiben würde. Die Jungs aus meiner Jahrgangsstufe dieselten sich derweil mit cK one ein und bekamen in der Konsequenz mehr, nicht unbedingt aber stilvollere Mädchen ab.Ich begann, aus der Not eine Tugend und aus der unterlegenen Männlichkeit eine Lebenseinstellung zu machen - fortan konnte ich nicht nur Calvin Klein, sondern gleich das ganze kapitalistische System nicht sonderlich leiden.

Das änderte sich schlagartig mit dem Stand meines Kontos. Durch einen mehr oder weniger glücklichen Umstand, den ich allerdings mittelbar so beeinflusst hatte, überwies mir meine Zivildienststelle jeden Monat einen dicken Batzen Geld und ließ mich sämtliche Mahlzeiten dort einnehmen - sie mussten das so tun, was ich nicht wusste, aber gekonnt nutzte: Fortan stand mir Geld in ungeahnten Dimensionen zur Verfügung. Das hatte seltsame Konsequenzen: Erstens begann ich Literaturklassiker zu lesen. Nicht weil ich das in der Schule musste, sondern weil ich mich aus freien Stücken dafür entschied. Kafka, Ibsen und Lessing landeten in meinem Bücherregal, und ich verschlang sie mit Hingabe und Leidenschaft.

Und nachdem danach immer noch genug Geld übrig war, begann ich dekadent zu werden und zum ersten Mal in meinem Leben mit einer eisernen Überzeugung zu brechen: Ich legte mir ein - für bisherige Verhältnisse unverschämt teures - After Shave zu, Jil Sander for men.

Es gibt bessere Düfte, signifikantere, frischere, aufregendere, persönlichere - aber ich kam mir vor wie King Dingeling. War ich auf Heimaturlaub, beachteten mich auf einmal Frauen aus meiner Jahrgangsstufe, die mich bisher stillschweigend ignoriert hatten. Was im Rückblick betrachtet eher daran lag, dass ich begann, eine etwas erwachsenere Persönlichkeit zu werden, als an einem Duftwässerchen. Aber weil es mich in meinem Weg bestärkte, glaubte ich daran. Und ich begann, auszuprobieren.

Häufig hat man ja ein diffuses Gefühl, dass früher alles besser, aufregender, spannender war. Und kann das nicht so richtig festmachen. Ich kann das sehr direkt darauf zurückführen, dass meine Sentimentalität in dieser Hinsicht mit der Entdeckung der Duftwelt zu tun hat. Warum? Vor einigen Monaten habe ich diesen Weg zum zweiten Mal beschritten.

Dass ich ihn überhaupt verlassen habe, hat ziemlich schnöde Gründe: Ausbildung, die erste eigene Wohnung und ein nicht ganz billiges Studium haben dafür gesorgt, dass ich die Prioritäten in Selbstpflege und Wohlbefinden umstellen musste. Wer zum Ende des Monats lange überlegen muss, ob er das übrige Geld nun für einen Sixer Bier oder lieber für ein paar Packungen Nudeln ausgibt, der hat wenig Gelegenheit, sich selbst etwas Gutes zu tun. Zugegebenermaßen, ich hatte mir das Studentenleben anders vorgestellt und keine Idee davon, dass man sich auch einen Independent-Lifestyle leisten können muss. Aber ich brachte diese Opfer mehr oder weniger freiwillig.

Diese Lücke in meiner Duftbiographie hat nun einen großen Vorteil: Ich kann zwei Generationen von Herrendüften von einander unterscheiden, weil mir die Betriebsblindheit fehlt, mit der man Entwicklungen, von denen man selbst Teil ist, unterschätzt oder gar nicht wahr nimmt. Als ich die Parfümerien dieser Welt vorerst verlassen hatte, waren die gängigen und auch weniger gängigen Herrendüfte noch im Wesentlichen markant, auf eine maskuline Art und Weise schmeichlerisch und hatten etwas unaufdringliches, aber dennoch bestimmendes.

Heute erkenne ich die Duftwelt kaum wieder, und es macht mir riesigen Spaß, mich neu zu orientieren, vor allem retrospektiv. Neben wenigen zeitlosen Klassikern, die die Zeit unbeschadet überstanden haben (Ich denke da an Kenzo Homme oder auch Emporio Armani lui) bietet sich der männlichen Nase heute eine Mannigfaltigkeit und Breite an Œuvres, dass ich mich von dem Gedanken, zwei oder drei Stammparfüms zu haben, schon jetzt verabschiedet habe. In Rochas man habe ich mich verliebt wie mit 17 in ein hübsches Mädchen, Le male kommt mir heute nicht mehr soft, sondern betörend vor, und selbst 1 Million kann ich Positives abgewinnen.

Und noch einen zweiten Grund gibt es, sich über ein neu entdecktes Hobby zu freuen: Mir braucht nichts mehr peinlich zu sein. Mein Geschichtslehrer roch jeden Tag drei Meilen gegen den Wind nach Kouros, und nichts wäre mir mit 20 peinlicher gewesen, als zu riechen wie er. Heute unterrichte ich selbst, und ich muss mich grinsend zurückhalten, wenn ich mir vorstelle, wie mein Kurs darauf reagieren würde, wenn ich selbst damit rumlaufen würde. Da ich in der Altenpflege unterrichte, ist der Kurs zum großen Teil weiblich und eher jung. Mal sehen, wann ich die Damen und Herren zu einer Wette auffordere, bei deren Gewinnen ich einen Tag lang damit rumlaufen darf.

Bis dahin gilt es noch vieles neu, anders als früher oder wieder zu entdecken. Die Sillage der neueren Parfüms gehört dazu, die muss ich vollkommen neu einschätzen lernen.Die bedingungslose Bewunderung ist ein Stück weit auch dem Neid gewichen, dass ich ein eher exklusives Hobby pflege. Auch das muss ich erst neu austarieren und mich darauf einnorden. Und auch das ist anders als 1999: Man findet für jeden Spleen Gleichgesinnte, mit denen man sich ganz wunderbar unterhalten kann. Erst das macht aus einem Zeitvertreib eine Leidenschaft.

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