Ronin
Faits Divers. Wasserstandsmeldungen.
vor 11 Jahren - 13.02.2013
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Die fiktive Entstehungsgeschichte von Five o'clock au gingembre

Valentinstag 2012 - Valentinstag 2013: eine Collage aus Dufterfahrungen und -erkenntnissen eines Jahres

Das 1. Treffen. Rotwein, Kaffee, Tee.
Jean-Claude Ellena kann es nicht fassen. Es ist ihm peinlich. Sicher, Hervé ist mitten in der Pubertät, aber muss das sein? Muss er den Gast nach diesem schönen Dinner so in die Enge treiben?
Noch gestern hatte er seine Kinder ermahnt, gute Gastgeber zu sein. Ein junger, talentierter Parfumeur namens Christopher Sheldrake war zum Essen eingeladen. Jean-Claude mochte ihn sehr. Das Potential war offensichtlich, wenn er auch noch keinen großen Auftrag gewinnen konnte. Aber die Zeiten waren hart, selbst für arrivierte Nasen wie Ellena. Wenn er ihm also auch keinen Auftrag vermitteln konnte, so wollte er ihm doch zumindest einen schönen Abend bereiten. Jean-Claudes Frau Susannah hatte gekocht, es hatte allen geschmeckt. Der Wein mundete dem Gast sehr gut, schon die zweite Flasche des erstaunlich mineralischen, frischen Rotweins war geleert - Susannah und Jean-Claude hatten diesen beim Urlaub in einer verlassenen Ecke der Dentelles de Montmirail für sich entdeckt. Sie saßen beim Kaffee, als Hervé das Wort ergriff: „Du bist ja auch ein Parfumeur. Kannst Du auch wie mein Vater natürliche Düfte nachstellen?" „Ich denke schon." „Wenn ich Dir einen Duft sage, den Du nachstellen sollst, kannst Du das also." „Nun, es hängt vom Duft ab, aber vermutlich - ja." „Als Céline und ich klein waren, konnten wir uns einen Duft wünschen, und als Vater am nächsten Tag nach Hause kam, brachte er den Duft mit - den von Madeleines, Schnee, stinkenden Socken. So etwas kannst Du auch?" „Nun, vielleicht nicht so gut wie Dein Vater, aber, doch, ja." „OK, wollen wir ein Spiel spielen? Ich sage Dir einen Duft, den ich gern hätte, und wenn Du uns das nächste Mal besuchst, bringst Du uns den mit!" „Hervé!" rief Jean-Claude dazwischen und schaute Christopher Sheldrake entschuldigend an. Der aber winkte ab und lächelte „Ja, warum nicht?" „Gut", sagte Hervé und grinste dabei böse. „Dann mach mir den Duft von - Tee!"

Alle am Tisch erstarren. Jean-Claude schaut abwechselnd böse seinen Sohn und flehentlich, entschuldigend den Gast an. Die introvertierte Céline, etwas älter als ihr Bruder und schon deutlich reifer, schämt sich für ihren Bruder. Sie interessiert sich immer mehr für Parfums und hat bisher mit großem Interesse den Gesprächen gelauscht. Sheldrake lächelt immer noch, aber gequält. „Christopher, Sie müssen nicht …" setzt Jean-Claude an, aber nach einiger grüblerischer Bedenkzeit wandelt sich das gequälte Lächeln in ein breites Schmunzeln. „Doch, gerne!"
Die vier wissen: Jean-Claude hat erst kürzlich mit dem Erfolg des Teeduftes „Eau Parfumée au Thé Vert" für erhebliches Aufsehen in der Parfumwelt gesorgt. Jahrelang konnte niemand etwas mit seiner Entdeckung anfangen, dass bei der Kombination zweier synthetischer Blütendüfte der Geruch von Tee nachgestellt werden kann. Jahrelang reichte er dieses Duftkonzept ein, ohne Erfolg - „zu kreativ". Er wurde zum Gespött der Kollegen: „Jean-Claude und sein Teeduft …!" Doch dann, als Bvlgari einen Raumduft für ihre Geschäfte entwickeln ließ, bekam Jean-Claude seine Chance: ein frischer Duft mit zentraler Teenote kam auf den Markt, und entgegen aller Prognosen der großen Häuser wurde er ein großer Erfolg. Nicht als Raumduft, sondern Eau de Cologne. Bvlgari war in aller Munde, Jean-Claude auch und auf einmal wollte jede Parfummarke einen eigenen Teeduft.

Wie perfide von Hervé, als Sohn des „Meisters der Teedüfte“, solch eine Aufgabe zu stellen. Sheldrake kann dabei doch nur verlieren. Aber er hat sich auf dieses Spiel eingelassen. Ein weiteres Mal beim Abschied entschuldigt sich Jean-Claude und versichert, dass Sheldrake dieses Spiel nicht spielen müsse. Der winkt ab, bedankt sich für das vorzügliche Mahl und sie einigen sich auf ein Treffen in vier Wochen.

Zwischenspiel. Nachtjasmin.
Céline findet das Verhalten ihres Bruders unmöglich. Um ihn zu ärgern, sammelt sie einige Jasminblüten aus dem Garten und steckt sie mit Kardamom, Zimt und Sternanis in sein Kopfkissen. Als Jean-Claude das bemerkt, weist er sie zurecht, kommt aber nicht umhin zu bemerken, wie gelungen diese Kombination in einem Parfum sein könnte.

Das 2. Treffen. Ein Duftgemälde.
Vier Wochen später. Ein etwas angespannter Christopher Sheldrake kommt mit einer Phiole erneut zu Besuch. Ohne große Worte besprüht und reicht er Jean-Claude einen Teststreifen. Der riecht ... Was soll das sein? Er runzelt die Stirn, sagt nichts und sprüht etwas von der Probe auf seine Haut. Nein, nicht besser. Ärger kommt in ihm hoch, aber er sagt immer noch nichts. Sein erster Gedanke, dem er sich nicht hingeben will: So eine Frechheit! Das hätte Sheldrake doch besser hinbekommen können. Eine Ingwernote, aber nicht frisch und saftig, sondern ziemlich dumpf und schal. Eingetrocknet. Eine Schokoladennote, die eher an billige Discounterkouvertüre erinnert als an eine hochwertige Variante. Dabei gibt es doch für Parfumeure zwei sehr elegante Wege, dieser Note gerecht zu werden: Patchouli mit Vanillin führt zu einer Note von Kakaopulver, nicht zu süß und sehr trocken. Etwas für Liebhaber dunkler Schokolade. Wie eine Ganache deutlich süßer und saftiger ist die Kombination Isobutylphenylacetat, Ethylvanillin und Zibet. Das, was Jean-Claude vor der Nase hatte, entsprach aber weder der einen noch der anderen Richtung. Der Höhepunkt der Frechheit aber ist die Teenote. Kein blumiger Darjeeling, mildwürziger Yunnan oder Oolong mit seiner Pfirsichsüße, sondern übelster Beuteltee aus englischen Supermärkten stieg ihm in die Nase. Welch Beleidigung, ihm so etwas zu präsentieren.
Auf einmal ist Jean-Claudes Ärger verschwunden. Er kann ein Lachen nicht unterdrücken. Sheldrake ist erleichtert, Jean-Claude hat ihn verstanden, denn der hat realisiert: Es ging Sheldrake nicht darum, einen besonders schönen oder tragbaren Duft zu erschaffen (und damit in Konkurrenz zu Ellenas Teeduft zu treten), sondern ein olfaktorisches Gemälde von einer englischen Teezeremonie! Als Teeliebhaber wird Jean-Claude nie verstehen, warum sich die Briten jeden Tag um fünf Uhr ein Ceylon-Assam-Gebräu zubereiten, was nur mit Milch genießbar zu sein scheint. Und warum sie dazu schokoladeumhüllten kandierten Ingwer reichen, erschließt sich ihm auch nicht. Nun gut, wenn er auch die Noten nicht mag, das Gemälde ist großartig gelungen. Es erinnert ihn vom Konzept an das kürzlich herausgekommene „Angel“, ein Spaziergang über den Jahrmarkt wurde hier olfaktorisch eingefangen. Auch dieses Parfum ist nicht auf Tragbarkeit angelegt, umso verwunderter registriert die Parfumbranche die steigende Popularität. Natürlich ist das Gemälde einer englischen Teezeremonie tragbarer, aber darum geht es nicht, sondern eine möglichst authentische Wiedergabe. Mehr Frische, weniger Süße würde den Duft als Parfum schöner, aber weniger authentisch machen.

L’art pour l’art.
Seit dem Aufsprühen des Duftes ist kein Wort gefallen. Kommunikation über Parfum ist schon schwer genug, hier findet Kommunikation durch Parfum statt. Erst jetzt ergreift Jean-Claude das Wort, sagt nur: „Serge Lutens!“ Er erinnert sich an ein kürzlich stattgefundenes Treffen, was leider nicht schön endete. Der immer engagierte Serge Lutens ist bei Shiseido für deren dekorative Kosmetik zuständig und möchte sich nun einem neuen Projekt widmen - einer eigenen Parfumserie. Deswegen lud er Jean-Claude ein, um ihm seine Ideen zu unterbreiten und die Parfumentwicklung anzubieten. Serge Lutens strebt dabei eine revolutionäre Parfumserie an, bei der es nicht darum geht, tragbar zu sein. Er möchte Parfum als wahre Kunst von der Fessel des Anspruchs der Tragbarkeit befreien. L’art pour l’art sozusagen. Vielleicht ist Jean-Claude zu sehr grassois, um diesen Ansatz zu verstehen. Parfum begann, Kunst zu sein mit Paul Parquets „Fougère Royale“, der erstmaligen Verwendung synthetischer Rohstoffe und dem Anspruch, etwas Neues zu schaffen und nicht die Düfte der Natur nachzustellen. Spätestens mit „Chanel N° 5“ mit der offensiven Verwendung der in keiner Weise natürlich riechenden Aldehyde waren die Schlachten geschlagen, ob Parfum Kunst sei. Jean-Claude sieht nicht, dass es eines weiteren Beweises bedürfte, in dem der Anspruch an Tragbarkeit vernachlässigt wird. Im Gegenteil, ihn reizt das Spannungsfeld, ein Parfum zu erschaffen, was seinem künstlerischen Anspruch ohne Einschränkung genügt und dennoch tragbar ist. Für Serge Lutens sind die Benutzer der Parfums nur eine Leinwand. Für Jean-Claude sind es Individuen, die ihre Persönlichkeit durch die Wahl eines Parfums unterstreichen wollen. Er ist Schüler des großen Edmond Roudnitska, dem Verfechter der einfachen, klaren Parfumformeln. Jean-Claude ist gerade dabei, eine eigene Formensprache zu entwickeln, aufbauend auf Roudnitska. Er möchte klare, sehr transparente Düfte erschaffen, deren wenige, klar abgegrenzte Akkorde so viel Platz wie möglich für die Individualität der Trägerinnen und Träger lassen. Er sieht dies auch als notwendige Konsequenz aus der olfaktorischen Umweltverschmutzung des Alltags: Parfum ist kein Luxusgut mehr, jeder verwendet es. Viel bedeutender, mittlerweile ist alles parfümiert, von Gebrauchsgegenständen bis zu Kaufhäusern. Nur aufs Wesentliche reduzierte Parfums sieht Jean-Claude als passend an für solch eine Umwelt.

Klar, dass Serge Lutens und Jean-Claude so nicht zusammen finden konnten. Mittlerweile tun Jean-Claude seine letzten Worte aber sehr leid: „Deine Kosmetik trägt man doch auch nicht so dick auf, dass man nichts mehr vom Gesicht sieht!“. Die Replik „Du ewiggestriger Grassois!“ war nun auch nicht wirklich nett. Mit etwas Abstand sieht Jean-Claude sehr klar, dass eine Umsetzung der Ideen von Lutens der Parfumbranche sehr gut tun würde (wenn er sie persönlich auch als Sackgasse empfindet - langfristig). Und nun sitzt ihm Christopher Sheldrake gegenüber, zwischen ihnen der Duft einer englischen Teezeremonie. Als Wiedergutmachung in Richtung Serge Lutens möchte er ihn mit Sheldrake zusammenbringen.

Wege in die Zukunft.
Während Jean-Claude sehr klar den Weg Sheldrakes sieht, ist er sich bei seinem eigenen nicht sicher. Die Konfrontation mit der Angst der großen Häuser vor Neuerungen, wie er es schmerzlich mit dem späteren „Eau Parfumée au Thé Vert" erfahren musste, hat ihn nachdenklich gemacht. Der Erfolg von Bvlgaris Duft zeigte ihm, dass es einen Markt für neue originelle Parfums gibt, wenn auch außerhalb der arrivierten Häuser, ob nun Dior, Chanel oder sogar Yves Saint Laurent. Auf der anderen Seite hat er sehr gute Erinnerungen an die Zusammenarbeit mit Jean Laporte von „L’Artisan Parfumeur“. Es hatte etwas sehr Befreiendes, für ein Nischenlabel Parfums zu entwickeln, die nicht gängigen Markttrends entsprechen mussten. Sollte er selbst ein Nischenlabel gründen? Thierry de Baschmakoff, der Flakondesigner des „Eau Parfumée au Thé Vert" hat ihn darauf angesprochen. Er sieht sich als Künstler, dort könnte er sich frei entfalten. Was dagegen spricht - Jean-Claude möchte die Parfumwelt verändern, er möchte selber Trends setzen. Das geht nur mit den großen Häusern. Der Stachel sitzt tief, dass Dior, die anfangs von seinem Teeduft begeistert waren, ihm die Chance verwehrt hat, einen Herrenduft auf den Markt zu bringen, der die Duftwelt so hätte beeinflussen können wie „Eau Sauvage“. Vielleicht ist die Zeit einfach noch nicht reif dafür. Vielleicht muss er einfach Geduld haben und eines Tages wird eine große Marke bei ihm anfragen, ob er ihr Hausparfumeur werden möchte.

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