Baptiste
Baptistes Blog
vor 8 Jahren - 24.07.2016
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La Guerlinade? Elle n'existe plus!

Guerlain. Ein Parfumhaus mit endloser Tradition. Eine beeindruckende Familiensaga über vier Generationen vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis hin zur Jahrtausendwende. Chemiker, nein, Künstler waren hier am Werk und erschufen Parfums, die bis in die heutige Zeit wirken und denen wir uns als Duftliebhaber unweigerlich stellen müssen. Die Guerlain’sche Kunst gilt als komplex, fein, tiefgründig, erotisch, elitär, faszinierend und mystisch. Wenn wir diese Düfte beschreiben wollen, scheitern wir an unserem olfaktorisch-limbischen System, weil es uns in Sachen Duftempfindung gegenüber dem geschriebenen Wort weit überlegen ist. Aber dennoch, oder vielleicht gerade weil, bei all den Versuchen ein Guerlain Parfum zu beschreiben, fällt immer wieder der Begriff der Guerlinade und alle nicken wissend. Die ganze Parfumwelt spricht davon und doch hat kaum einer eine Ahnung.

Schauen wir kurz in andere renommierte Parfumhäuser wie Chanel und Hermès, so lassen sich dort die Düfte recht deutlich ihrem Markennamen zuordnen. No 5, No 19, Cristalle oder die Exklusivreihe haben fast alle diesen eleganten, leicht herb-trockenen Touch, der für Chanel typisch ist. So auch Hermès, wo uns der erdig-mineralische Grundton überall begegnet. D.h. allein durch eine gemeinsame, sich wiederholende Duftzusammensetzung erkennt man die Handschrift der Marke. Und das hat das Haus Guerlain bereits früh erkannt.

Diese Guerlinade, dieser gemeinsame Nenner all der Guerlain Düfte schwebt durch die Jahrhunderte fast wie ein Mythos, wie eine sagenumwobene Königin auf einem verblassenden Mosaik in einem verfallenen Tempel. Sie gleicht einer Verheißung, einem Versprechen. Um herauszufinden, was die Guerlinade ist, benötigt man daher mehr als nur eine Internetrecherche oder die Betrachtung der Ingredienzen (Monsieur Guerlain hat einen sehr guten Blog über die Guerlinade verfasst).


Um herauszufinden, was die Guerlinade ist, muss man sie riechen! Leider. Denn das ist das eigentliche Dilemma, weil viele der großartigen Guerlain Düfte nicht mehr produziert werden und man heutzutage keine Originalrezeptur mehr zu riechen bekommt. Nicht ganz! Als Guerlain Liebhaber reist man selbstverständlich öfters nach Paris in das Stammhaus auf dem Champs-Elysées, wo man die alten Rezepturen neuerdings riechen kann. Außerdem hat man als Frankreich- und Parfumliebhaber so seine Quellen, gelle... Meine Duftreise in die Guerlain’sche Vergangenheit liegt etwas zurück und ich gebe zu, dass ich mich leider nicht mehr im Detail an alle Düfte erinnern kann, die ich zu riechen bekam. Aber was von dieser Duftreise zurückblieb, war für mich und meine Nase ein Eye-opener: die Guerlinade.


Vom ursprünglichen „Muguet“ von 1908 (riecht wie Nivea!) über „Cuir de Russie“, „Bouquet de Faunes“, „Guerlinade“, „Sous Le Vent“ bis hin zu „Cachet Jaune“ usw. tauchte ich in die alten Rezepturen ein und war schwer beeindruckt. Großartige Parfums, die leider alle verschwunden sind (Man möchte fast das Haus Guerlain, LVMH und die IFRA Richtlinien schlagen für den Verlust, den wir erleiden müssen). Nach einer Weile des Testens roch ich immer mal wieder an den Papierstreifen, Kopf- und Herznote waren zwischenzeitlich verblasst und es blieb die Basis. Wären nicht die Namen der Parfums dazu notiert gewesen, so hätte ich keinen Duft mehr zuordnen können, da sie, und jetzt kommt’s, alle gleich rochen. Das mußte diese Guerlinade sein! Fantastisch!

Schaut man auf die Zutaten all dieser Parfums, so sind nahezu immer die gleichen Substanzen vornehmlich in der Basis gelistet, die Aimé, Jacques und Jean-Paul in ihren Kreationen verwendet haben. Dazu gehören Iris, Jasmin, Tonka, Moschus, Amber und natürlich Vanille sowie die eher flüchtige Bergamotte und Orangenblüte. Selbstverständlich, und das macht einen Künstler aus, wurden diese immer wieder in den Konzentrationen und den Zusammensetzungen verändert, um dem Duft eine eigene Note zu verleihen. Dennoch unterzeichneten alle am Ende ihre Kreationen mit der gleichen Signatur, der Guerlinade.


Aber wie riecht denn nun die Guerlinade? Wie riecht der Stoff, aus dem die Träume sind?

Antwort: Sie riecht leicht blumig, cremig, etwas süßlich und geringfügig balsamisch. Das war’s. Ganz unspektakulär. Nicht ganz...


Ich lehne mich ein wenig aus dem Fenster hinaus und behaupte, keiner der heute existierenden Guerlain Düfte beinhaltet überhaupt noch die Guerlinade. Nicht die älteren Standarddüfte, nicht die Exklusiven, die von anderen Parfümeuren kreiert wurden und schon gar nicht die neuen Thierry Wasser Kreationen. La Guerlinade? Elle n'existe plus!

Was eine Enttäuschung. Und was für eine Lüge und Geruchsverfehlung, die uns hier ständig aufgetischt wird, wenn jemand die ach so tolle Guerlinade lobt.

Ausnahmen? Ja, es gibt Ausnahmen. Und zwar zwei: „Après l’Ondée“ und „Habit Rouge“. Diese beiden alleine geben einem eine Ahnung von der weichen, blumig-cremigen Basis der alten Düfte, wobei ich „Après l’Ondée“ den Vorzug geben würde. Hier ist die Guerlinade so präsent, dass sie den Duft vom Anfang bis zum Ende hin begleitet. Es ist also noch nicht alles verloren. Vielleicht doch, denn die vielen alten Düfte, die es nicht mehr gibt und die es allem Anschein nach nie wieder geben wird, waren traumhaft. Es sei denn, man hat das nötige Kleingeld. Dann ist bei Guerlain so einiges möglich. C’est domage...

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