Buchmensch
Panik, Plüsch und Plunder
vor 9 Jahren - 06.01.2015
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Hau ab, du stinkst!

Parfüms haben mich schon als kleines Mädchen fasziniert, aber bis ich so weit war, sie auch wirklich zu tragen, brauchte es einen lagen Weg - und vor allem Mut.

Ich bin in den Achtzigerjahren auf dem Land großgeworden, aber ich war ein Fremdkörper in meiner Umgebung. Bis ich achten Lebensjahr hatte ich im Ruhrgebiet gelebt, und als ich ins Münsterland kam, klebte meine Vergangenheit an mir wie der Kohledreck der Halden, auf denen ich mit meinen Freunden herumgetobt war. Ich kleidete mich anders als meine Mitschülerinnen, achtete nicht auf Mode, trug die Kleider meiner älteren Cousine auf und später, weil ich offenbar den Eindruck erweckt hatte, unsere kinderreiche Familie müsse mittellos sein, die meiner größeren Mitschülerinnen. Ich fand nichts dabei, und ich wäre nicht auf die Idee gekommen, dass ich spätestens dann unten durch war, als ich in den aussortierten Hosen und Pullis meiner Klassenkameradinnen zum Unterricht erschien.

Ich war eine gute Schülerin und stolz drauf, ich schrieb meine eigenen Geschichten, wollte lieber Detektiv und Seeräuber spielen als mit Barbies, und versuchte allen Ernstes, mich mit Jungs anzufreunden, so wie ich im Ruhrgebiet ganz selbstverständlich mit Mädchen und Jungen gespielt hatte. Ich war eine Niete im Sport, insbesondere im Völkerball, und eine Mannschaft, die mich im Team hatte, wusste schon vor dem ersten Wurf, das sie verloren hatte. Ich ging so gar nicht, und meine Mitschüler ließen wenig Gelegenheiten aus, mich das wissen zu lassen. Aber das Schlimmste war meine Haut.

In den Achtzigern war Neurodermitis noch eine Seltenheit, und mein schlimmer Ausschlag an Händen und Gesicht und die Tatsache, dass ich mich ständig jucken und kratzen musste, machten mich erst recht zu einer Außenseiterin. Es half wenig zu beteuern, dass das wirklich nicht ansteckend war, und dass ich schon jeden Tag mit Salben eingeschmiert wurde und gegen den Juckreiz Saft bekam, der heute unter Betäubungsmittelgesetz fallen würde. Ich war, in den Augen des Dorfes, eklig. Und ich stank. Zumindest habe ich das sehr häufig zu hören bekommen: Hau ab, du stinkst.

Ich will nicht ausschließen, dass ich wirklich anders als andere gerochen haben könnte. Zu den Salben, mit denen ich eingerieben wurde, gehörte eine Teersalbe, die wirklich so abartig stank, dass meine Eltern Tricks anwenden mussten, um mich so weit zu bekommen, dass ich sie auftragen ließ. Und auch Talkumpuder auf nässenden Stellen riecht nicht toll. Aber vor allem war die lautstarke Behauptung, dass ich stänke, eine Beleidigung, und so fasste ich sie auch auf. Ich war ein kluges, empfindliches kleines Ding. Vor allem aber war ich störrisch. Und ich wollte eines ganz sicher nicht: denen, die mich hänselten, recht geben.

Meine Großtante in Essen, bis heute die einzige Frau in meinem Umfeld, die ich ohne zu zögern als Dame bezeichnen würde, versorgte mich mit allen erdenklichen olfaktorischen Köstlichkeiten. Ich bekam kleine duftende Seifen von ihr, die ich wegen meiner Haut nicht benutzen durfte, aber um so lieber beschnuppern. Und sie besorgte mit Parfümproben, die ich hüteten wie einen mächtigen Schatz. Wenn man schlecht sieht und auch nicht das allerbeste Gehör hat, dem erschließt sich die Welt über die Nase, und ich hatte schon früh einen sehr empflichen Geruchssinn. Diese Seifen und Düfte eröffneten mir eine völlig neue Welt, regten meine Phantasie an, schickten mich auf Gedankenreisen in ferne Länder, und ich träumte davon, selbst einmal so zu duften wie die kleinen Seifen und Glasröhrchen, die meine Tante mit mitbrachte. Aber ich konnte es nicht.

Sicher, niemand erwartet, dass sich eine Neunjährige parfümiert, egal wie gern sie heimlich an Parfümflaschen schnuppert. Aber bei mir dauerte es bis über mein Studium hinaus, bis ich es erstmals wagte, parfümiert aus dem Haus zu gehen. Auch wenn ich schon vorher bei Yves Rocher die Sonderangebote plünderte und mich abends ein bisschen einduftete, wenn sicher war, dass ich nicht mehr vor die Tür gehen würde - meiner Umwelt parfümiert zu begegnen, hätte bedeutete, dass die Feinde meiner Kindheit recht hatten. Dass ich wirklich stank, dass ich es nötig hatte, meinen Eigengeruch zu übertünchen wie wieland Louis XIV, der auf Duftwasser statt Seife schwor, Ich wollte nicht stinken, und darum durfte ich nicht duften.

Es war ein langer Prozess, mich aus dieser Situation zu lösen. Andere Mobbingopfer werden das nachvollziehen können - auch wenn man es hinter sich hat, wenn man vielleicht noch vom Chef schikaniert wird, aber sich niemand mehr hinter dem Rücken zusammenrottet, um über einen zu lästern und einem niemand mehr Gemeinheiten ins Gesicht sagt, wird man dieses Gefühl nicht los. Völlig unbeteiligte Menschen auf der Straße scheinen zu tuscheln. Man bewegt sich wie ein Schatten, bestrebt, bloß nicht aufzufallen. Parfüm macht das Gegenteil. Parfüm schreit »Hier! Schaut mich an!« - und dem muss man gewachsen sein.

Ich musste mehr als dreißig Jahre alt werden, um mich erstmal zu trauen, solche Aufmerksamkeit zu erregen, und selbst jetzt, wo ich auf die Vierzig zugehe, wo ich mutig genug bin, in der Öffentlichkeit T-Shirt mit Krawatten zu kombinieren und jeden Tag aus meiner anständig gewachsenen Sammlung das Parfüm passend zu meiner Stimmung auswählte, tendiere ich dazu, in der Öffentlichkeit verhaltene, unauffällige, tendenziell langweilige Düfte zu tragen - bloß nicht zu exzentrisch, auffällig, knallig. Viele meiner Mitmenschen, namentlich in überfüllten Bussen, werden es mir danken. Aber ich hoffe, dass ich es irgendwann schaffen werde, wenn ich einen Auftritt habe, eine Autorenlesung, eine Matinee auf der Buchmesse, etwas, wo ich auffallen darf und mich nicht verstellen muss, etwas von den Düften zu tragen, die ich wirklich liebe.

Und wenn dann irgendjemand meint, ich stinke, einfach nur die Schultern zucken und sagen »Tja, Guerlain ist nicht jedermanns Sache.« Und mich dann stolz erhobenen Hauptes in meine Sillage hüllen wie in einen edlen Kaschmirschal, und davonzustolzieren als mein eigener Mensch, mein eigener Duft, in mein eigenes Leben.

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