Buchmensch
Panik, Plüsch und Plunder
vor 8 Jahren - 26.08.2016
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Hundert Tage, hundert Düfte

Ich hab es mit Statistiken. Manchmal denke ich, dass ich Zahlen mehr liebe als Bücher, und das will etwas heißen. Und so habe ich auf Parfumo nicht nur meine Sammlung ganz unbibliothekarisch nach Farben sortiert, sondern nutze die Seite auch, um akribisch darüber Buch zu führen, welches Parfum ich wann getragen habe, seit inzwischen fast drei Jahren. Zwei Sachen haben sich dabei abgezeichnet: Zum einen, ich habe zwar gerade im Anfang meiner Sammlerzeit Unmengen von Düften angeschafft, viele davon aber nie getragen. Zum anderen, ich benutze im Winter und Herbst deutlich öfter Parfum als im Sommer.

Natürlich kann letzteres daran liegen, dass ich im Winter mehr ein Bedürfnis nach Wärme und Geborgenheit habe, wie winterliche Düfte es versprechen - aber ebensogut kann es einfach sein, dass ich noch nicht den passenden Duft für die Sommermonate gefunden habe. Ich wollte schon eine Anfrage im Parfumo-Forum stellen, als mir aufging, dass ich mindestens ein Drittel meiner Sammlung überhaupt noch nicht ausprobiert hatte - gut möglich, dass der perfekte Sommerduft für mich darunter sein konnte. Statt also blind noch mehr Düfte zu kaufen, sollte ich erstmal das ausprobieren, was ich habe. Schließlich besitze ich genug Parfum, um den ganzen Sommer lang jeden Tag einen anderen Duft zu tragen! Und so entstand die Idee zu dem hundert Tage-Experiment.

Die Prämisse könnte einfacher nicht sein: Hundert Tage lang jeden Tag ein anderes Parfum benutzen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich von rund 120 Düften meiner Sammlung erst 72 mindestens einmal getragen, mit dem Experiment sollte ich gezwungen sein, 28 neue Düfte auf meiner Haut auszuprobieren, Ich kann nicht sagen, warum ich diese Scheu habe, Sachen, die ich mir gekauft habe, auch zu benutzen. Es geht mir mit Musik so, CDs, die ich kaufe und in mein Regal stelle, aber niemals höre, mit Büchern sowieso, und auch mit Parfums - und bei letzteren habe ich zum Teil einen echten Widerwillen, sie aufzusprühen, auch wenn ich zumindest einmal gedacht haben muss, dass die Duftpyramide gut genug klingt, um einen Blindkauf zu tätigen. Auch wenn viele dieser Käufe Schnäppchen auf Ebay waren - nichts ist so teuer wie etwas, das man nie benutzt.

Ich begann mit meinen vertrauten Lieblingsdüften, dann fing ich an, ab und zu einen der unerprobten Düfte einzuflechten. Es waren erfreuliche Überaschungen darunter: "Maja" von Myrugia, das ich mir bereits im Herbst 2013 gekauft und nie probiert hatte, hat mich absolut begeistert und wird sicher in Zukunft keine drei Jahre mehr warten müssen. Auch Elizabeth Taylors "White Diamonds" war ein echter Glücksgriff, an den ich mich nie herangetraut hatte. Yves Rochers "Ispahan" stellte sich als ein würdiger Opium-Ersatz heraus. Und "Vanderbilt" war nicht so schlimm wie erwartet.

Mit anderen Düften hatte ich weniger Glück. Das von den Parfumo-Rezensenten hochgelobte "Moods by Krizia Donna" roch so penetrant nach eingeschlafenen Füßen, dass ich davon ausgehen muss, eine gekippte Flasche erwischt zu haben. Auf "Naughty Girl - Nuttendiesel", das ist mir vor allem wegen des Namens angeschafft hatte, reagierte ich allergisch. Und manche Düfte wollten einfach überhaupt nicht zu mir passen, allen voran "Pure DNA Homme" von Police: Mein erster Versuch, ein Herrenparfum zu tragen, kam meiner genderfluiden Identität überhaupt nicht entgegen, sondern ließ mich sehr unwohl in meiner Haut zurück. Ich werde, was das angeht, an anderer Stelle weiterexperimentieren, gehe aber bis auf Weiteres davon aus, dass ich einfach keine Herrendüfte mag, weder an mir noch an meinem Mann, noch an anderen Männern.

Die meisten neuen Düfte, die ich ausprobierte, waren, wie auch jene Parfume, die ich in den letzten drei Jahren gekauft, ausprobiert und nie wieder benutzt hatte und die ich jetzt wiederentdecken musste, einfach nur Blah. Sie waren nicht schlecht, aber sie bewegten nichts in mir. Ich blieb meinem Plan treu, hundert Tage lang jeden Tag ein, und nur ein, Parfum auszuprobieren, trug die Düfte stoisch bis zum Schlafengehen, aber tatsächlich wurden mir die hundert Tage sehr, sehr lang. Mehr und mehr kam ich zu dem Schluss, dass ich zu viele Parfums habe. Statt mich der olfaktorischen Vielseitigkeit zu erfreuen, vermisste ich mehr und mehr meine Standards - allen voran, ausgerechnet, "Wish", was gemeinhin überhaupt nicht als Sommerduft gilt.

Das war die andere Erkenntnis: "Der" Sommerduft war nicht darunter. Ich hatte ein paar Parfums darunter, von denen ich meinte, dass sie besser in die warme Jahreszeit passen könnten, aber bei keinem davon hatte ich das gesteigerte Bedürfnis, sie jetzt öfter zu tragen. Vielleicht ist es wie mit den Herrendüften so, dass ich einfach die leichten, sommerlichen Düfte an mir nicht mag. Umgekehrt habe ich aber wirklich kein Problem damit, im Sommer schwere Orientalen zu tragen, auch wenn ich zurückhaltender als im Winter damit bin, so vor die Tür zu gehen - mehr aus Rücksicht vor meiner Umwelt denn aus persönlichen Vorlieben.

Das kann auch der Grund sein, warum ich im Sommer tendenziell weniger Parfum nutze als im Winter: Ich habe mehr Angst, olfaktorisch aufzustoßen, vielleicht, weil sich in warmer Luft die Duftmoleküle weiter von meinem Körper entfernen, vielleicht, weil weniger Stoffschichten meine Umwelt vor meinen Parfums schützen. Was Selbstbewusstsein angeht, habe ich noch einen weiten Weg vor mir. Ich mag ausgefallene Düfte, ich will nicht beliebig riechen, aber sobald ich damit in die Stadt fahre, zum Gesangsunterricht, zum Arzt, etc, suche ich mir die zahmsten, neutralsten, langweiligsten Düfte raus, um nur ja niemanden zu stören, nicht aufzufallen - selbst wenn ich die betreffenden Düfte an mir eigentlich nicht mag.

Die letzte Erkenntnis aus dem Experiment ist die schmerzhafteste: Meine Haut mag es nicht, hundert Tage lang ohne Erholungspausen parfümiert zu werden. Meine Neurodermitis hat mich dieses Jahr ohnehin sehr im Griff, deutlich stärker als in den vergangenen Jahren, und meine empfindlichen Handgelenke sind buchstäblich hinüber, nicht erst seit der Nuttendiesel-Affäre. Ich sollte in Zukunft jede Woche mindestens ein, zwei duftneutrale Tage einlegen, damit die Haut auch mal Luft atmen darf. Aber da ich mein ganzes Leben lang mit dieser Hautkrankheit lebe und ziemlich an sie gewöhnt bin, lebe ich unterm Strich lieber mit gereizten Handgelenken und beglückendem Duft, als ganz aufs Parfum zu verzichten und dafür auf drei andere Sachen allergisch zu reagieren.

Für die Zukunft werde ich auf Ebay-Schnäppchen-Blindkäufe verzichten. Es ist zu vieles dabei rumgekommen, das ich nicht trage und, nachdem ich es jetzt ausprobiert habe, auch eher nicht wieder tragen werde. Sammelwut hin oder her, Parfums sind keine Pokémons, und auch bei Parfumo geht es nicht darum, jedes Parfum der Welt zu besitzen. Ich habe ein gutes Dutzend Parfums, die ich über alles liebe, und ein paar auf meiner Wunschliste, die ich auch sehr, sehr gerne hätte, aber wo ich zehntausend Bücher besitzen kann und jeden Tag ein anderes lesen, ohne sich zu langweilen, brauche ich eher keine zehntausend Parfums. Wahrscheinlich brauche ich nicht mal die 120, die ich jetzt habe.

Ich werde meine Sammlung nicht aus ihrem Schrank hinauswachsen lassen. Und ich werde nicht nochmal hundert Tage zwanghaft auf meine Lieblingsdüfte verzichten, nur weil andere Düfte noch nicht dran waren. Es geht doch nicht um Statistiken und Strichlisten, sondern darum, wonach einem gerade ist, was man fühlt, und wie man sich fühlen will. Es war ein interessantes Experiment, das ich nicht bereue - aber ich muss es ganz sicher so schnell nicht nochmal wiederholen.

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