Sucht - Die Macht von Düften
Kurze Einleitung: Im echten Leben kenne ich niemanden, auf den Gerüche solch eine starke Wirkung haben, wie es bei mir der Fall ist. Deswegen komme ich mir manchmal komisch vor und hoffe, dass sich jemand von euch in diesem Text wiedererkennt.
Es ist Freitag. Die Arbeit ist erledigt, das Wetter könnte besser nicht sein. Die Sonne zeigt sich von ihrer schönsten Seite und bringt die Farbenvielfalt der Herbstblätter perfekt zum Vorschein. Es liegt eine gewissen Unbeschwertheit in der Luft. Ein schönes Gefühl, das sich nur schwer in Worte fassen lässt.
Ich mache mich fertig für das Date mit meiner Freundin und hole meine Lieblings Lederjacke aus dem Kleiderschrank. Der Herbst ist für mich DIE Jahreszeit, wenn es um Parfüm geht. Vielleicht liegt es daran, dass ich im Herbst Geburtstag habe und daher immer in dieser Jahreszeit in den Genuss neuer, besonderer Düfte komme. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass mein Gemütszustand in den kalten, dunklen Monaten meist etwas schlechter, als in den sonnigen Sommermonaten, ist, und die Anschaffung neuer Parfüms ein (verzweifelter) Versuch ist, mir etwas Glück und Freude zu kaufen. Wie dem auch sei.
Ich stehe vor meiner akribisch ausgewählten Sammlung an Düften. Wenn ich die Stunden an Zeit ausrechnen würde, die ich in das Lesen von Duftbeschreibungen und das Testen verschiedener Düfte investiert habe, um nun genau diese Düfte in meinen Regal stehen zu haben, würde sich mir wahrscheinlich der Magen umdrehen.
Deswegen blende ich diesen Gedanken direkt wieder aus und suche den Duft des heutigen Tages aus. Ich muss nicht lange überlegen, denn die Kombination aus Jahreszeit, Anlass und meiner heutigen Stimmung geben den Weg vor. Es muss der Valentino Uomo Intense werden.
Ich habe mir den Duft vor ungefähr zwei Jahren mit der Hoffnung gekauft, dass ich endlich DEN perfekten Duft für die kalte Jahreszeit habe und dann erstmal kein neues Parfüm mehr kaufen muss. Selbsttäuschung nennt man das. Aber dazu kommen wir noch.
Der Flakon liegt wie angegossen in meiner rechten Hand und ich sprühe exakt viermal aus einer Entfernung von etwa 30 cm auf meinen Hals und schließe kurz die Augen. Dopamin wird ausgeschüttet. Ein Gefühl von Nostalgie, Hoffnung und für einen kurzen Augenblick sogar volle Zufriedenheit. Ich frage mich, ob andere Menschen genauso viel und stark fühlen, wenn sie einen bestimmten Geruch wahrnehmen. Habe allerdings meine Zweifel daran und stelle den Flakon wieder ins Regal.
Nun bin ich fertig für das Date. Dieser süß, pudrige Duft von Leder lässt mich besser fühlen. Ich fühle mich attraktiver. Die Marketingexperten, die den Kapitalismus für sich zu nutzen wissen, haben einen soliden Job gemacht. Ich bin ein Opfer dieses Systems und bin mir dessen bewusst. Doch für diesen Moment bin ich das sogar gerne, denn ich fühle mich gut.
„Oh, du riechst heute wieder gut. Welcher ist das?“, fragt meine Freundin, kurz bevor wir das Haus verlassen. An dieser Stelle möchte ich gesagt haben, dass ich von fremden Menschen (so gut wie) nie Komplimente für meine Düfte bekomme und ich auch nicht zu den Menschen gehöre, die mit aller Macht versuchen Komplimente zu bekommen, indem sie sich in einer der "Top 3 Beastmode Düfte" duschen. Diese Marketingkampagne konnte ich Gott sei Dank abwehren. Aber dieser nervige Trend mit den Komplimenten ist einen eigenen Beitrag wert und nicht das heutige Thema. Also zurück zum Thema.
Natürlich freue ich mich trotzdem über die Tatsache, dass meine Partnerin meinen Duft als anziehend und gut empfindet. In meinem Kopf steigert die Wahl meines Dufts die Aussicht auf Fortpflanzung. Ich glaube die jahrelange Beeinflussung der Medien und Werbung hat mich zu diesem Glauben kommen lassen.
Beim Spazieren durch die Allee sehe ich die Schönheit des Herbstes. Kastanien und bunte Blätter liegen auf dem Boden. Die Luft ist kühl, aber doch angenehm. Ab und zu nehme ich einen kurzen Schwall des Valentinos wahr. So muss das sein, denke ich mir. Wir schlendern durch die alten Straßen der Stadt und betreten einen kleinen Laden, der unter anderem auch hochwertige Seifen verkauft. Selbstverständlich steuere ich auf direkten Wege auf die Seifen zu und rieche an diesen.
Die erste Seife riecht nach Lavendel. Ich rieche an ihr und der Geruch versetzt mich direkt zurück in meine Kindheit. Genauer gesagt in die Toilette meiner Großeltern. Es ist wirklich verrückt, dass ich nahezu verloren geglaubte Erinnerungen nur durch das Riechen an einer Seife, wieder so klar in meinem Kopf habe. Fast schon unheimlich, was da im Gehirn vor sich geht. Als Kind wusste ich nicht einmal was Lavendel ist, geschweige denn, dass es im Bad meiner Großeltern nach Lavendel roch.
Ich nehme eine andere Seife in die Hand. Das Design der Verpackung ist mehr als ansprechend. Nach italienischen Zitronen soll sie riechen. Ich rieche an ihr und habe das klare Bild einer italienischen Küstenstraße vor Augen. Diese Seife versetzt mich in meinen Urlaub an der italienischen Riviera zurück.
Es fühlt sich so an, als würde mich Italien ausgewählt haben und rufen. Sehnsucht kommt in mir auf.
Spontan rufe ich meiner Freundin durch den Laden zu: „Wir müssen irgendwann mal nach Italien!“ Ich kürze es an dieser Stelle ab. Wir verbringen nächstes Jahr eine Woche in Italien.
Das Gefühl, das beim Riechen an der Seife in mir ausgelöst wurde, war nicht der alleinige Grund für diese Entscheidung, aber war definitiv ein Impuls, der den Stein ins Rollen brachte.
Die Macht von Düften.
Wir verlassen das Geschäfte und spazieren weiter. In meinen Gedanken kommt die Frage auf, ob es in den Parfümerien vielleicht Neuheiten gibt, die ich bisher noch nicht kenne? Stimmt, der letzte Besuch ist bestimmt schon wieder sieben Tage her. In dieser langen Zeit hat sich sicherlich viel getan. Also schlage ich vor, einen kurzen Abstecher in die örtlichen Parfümerien zu machen.
Ich rechtfertige mich bei meiner Partnerin, weil ich mir dem Ausmaß meiner Sucht bewusst bin und verkaufe es als spontane Idee. Doch uns beiden war beim Verlassen des Hauses bereits klar, wo wir heute noch landen würden. Und damit meine ich nicht das Bett.
In Bekleidungsgeschäften halte ich es nicht länger als fünf Minuten aus. Zu viele Leute, zu viel Auswahl an verschiedenen Kleidungsstücken und meist ist mir viel zu warm. Ich hasse es.
Doch sobald ich eine gut ausgewählte Parfümabteilung sehe, schaltet etwas in meinem Kopf um.
Ich bin in meiner Welt. Alle Gedanken des Alltags sind weg. Und das meine ich genauso wie ich es schreibe. Ich kann nur schwer Abschalten und entspannen. Mein Kopf ist konstant am Arbeiten. Doch sobald ich die Duftabteilung betrete, bin ich gegenwärtig.
Beim Riechen kommen mir meist direkt Assoziationen in den Kopf. Es entstehen Bilder und manchmal sogar mehr oder weniger starke Emotionen.
Diesmal ist es der Black Afgano, der mich in seinen Bann gezogen hat. Ich kennen den Duft bereits seit einigen Jahren, aber damals war ich noch nicht bereit für ihn. Doch dieses Mal hat er mich für sich gewonnen. Es ist nicht der schönste oder angenehmste Geruch, aber er zieht mich an. Er löst ein unbeschreibliches Gefühl in mir aus und darum geht es doch, oder?
Die Suche nach DEM perfekten Duft habe ich glücklicherweise aufgegeben. Ein paar Jahre habe ich in dieser Illusion gelebt und mich selbst angelogen. Sobald ich ein neues Parfüm gekauft habe, ging die Suche nach einem neuen los. Begründet habe ich das ganz rational damit, dass der vorherige Kauf einfach nicht der richtige war. Es war doch nicht DAS perfekte Parfüm.
Mittlerweile weiß ich, dass ich nie fertig bin und mir das Suchen nach neuen Düften mehr Spaß macht als einen bestimmten Flakon zu besitzen. Anders als im echten Liebesleben, möchte ich, wenn es um Düfte geht, nicht monogam leben. Und das Schöne ist, dass ich dies auch nicht muss. Ich möchte Abwechslung. Ich möchte immer wieder das Gefühl von etwas Neuem.
Heute ist es der Black Afgano und morgen ist es vielleicht schon wieder etwas ganz anderes.
Manche Düfte musste ich auch verkaufen, weil sie mich an einen Lebensabschnitt erinnerten, an den ich nicht mehr erinnert werden möchte.
Kennt das Jemand?


Bei Dir scheint das eine Passion zu sein ... möchtest Du nicht vielleicht beruflich etwas mit Deinem sensiblen Riechsinn und Deiner Neigung zu schönen Farben & Düften anfangen ?
Besonders schön und treffend ist der letzte Absatz - ein Hoch auf die Duftpolygamie!
Zu deiner Frage : natürlich nutzen sich in der Regel Gerüche mit Lebensjahren/Erfahrungen etwas ab.
Wer will schon in der Vergangenheit duften bleiben? 😅
Mein Tipp: Mehr als e i n Hobby haben, bei dem man so empfindet. Und zwar auch mindestens eins, was nix kostet, eins, was ein bisschen mit Sport zu tun hat, und eins, was man auch bei Dreckwetter/verletzt/krank ausleben kann. So läuft das Leben! Niemand sollte ein schlechtes Gewissen haben, wenn seine Seele eine Pause macht.
Ich bin auch ein Fan von Assoziationen, Geschichten und Erinnerung in Verbindung mit Düften. Habe auch schon erlebt, wie Erinnerungen plötzlich hervorgerufen werden, von denen man nicht wusste, dass es sie gibt. Geniale Zeitreisen!