Esrafalet

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6 - 8 von 8
Esrafalet vor 9 Jahren 14 4
10
Flakon
8
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft
Die Erde Marokkos
Du fährst von Agadir am Atlantik nach Taroudant am Rand der Westsahara, nimmst die Route entlang ärmlicher Dörfer, Zitrusplantagen, Felder, Gärten, Palmenhainen, Oasen, das fruchtbare Soustal nährt und bewässert die Pracht, Arganbäume stehen in der Landschaft und du weisst, dahinter ist die Wüste - der ewige Sand, die Erde Marokkos. Die Berge rahmen die Landschaft ein und prahlen mit ihrer kargen Erhabenheit. Es ist trocken, heiss und der peitschende Wind bringt keine Erlösung von Staub und Hitze, sondern vergrössert die Pein. Am Strassenrand hocken die Plantagenarbeiter im Schatten der Arganbäume. Es ist Nachmittag, die Tagesernte eingefahren und jeder sucht Schutz vor der sengenden Sonne. Du kommst nach Taroudant, siehst die gelblich-ockerfarbene Mauer der Medina, parkst und betrittst die Stadt durch eins der beeindruckenden Tore. Auf einmal wimmelt es von Menschen. Sie sind fremd. Die Gerüche erregen dich. Du gehst in die Souks, die Hitze ist unbeschreibbar, doch über allem liegt der Duft von Zitrusfrüchten und Schmutz. Von den Gewürzständen dringen Pfeffernoten in deine Nase, In den Metzgereien liegt das Fleisch, es raucht und dampft, Orangensaft wird frisch gepresst, ein Gewürzhändler schreit dir die Preise fur Zimt und Ras el Hanouk entgegen. Leder duftet, Rauch steigt auf, Kleider, Stoffe, Menschen, Tiere, der Duft von Minze, Zitronenverbene und Arganöl. Irgendwo wird Fleisch gebraten und Fladen gebacken. Hier gibt es keinen heissen Wind, hier steht die Hitze inmitten der Gerüche. Steine werden behauen und Metall wird geschmiedet, dazu Abgase von den Mofas, die direkt durch die Menschenmassen brausen. Eine andere Welt - und da draussen lauert die Sahara. Du trinkst einen Minztee und beobachtest einen Jungen, der einen Esel durch die Gassen zieht, während ein Schmuckhändler, der Silberarbeiten von Berberfrauen anbietet, eine Bestellung für Kaffee aufgibt. Es herrscht die hektisch-chaotische Atmosphäre unter Menschen, die in der trockenen Hitze jeden Tag um ihren Platz kämpfen.
In dieser Welt herrschten lange die Franzosen. Yves Saint Laurent lebte zeitweise in Marokko. In den Jardin Majorelle in Marrakesch kann man sein Wirken in diesem Land in zaubenhaften Gärten und Ateliers bewundern. Warum er nicht Terre kreiert hat, wird ein Rätsel bleiben, er hat seine Eindrücke der schwülstig-dekadent-opulenten Schwere Marrakeschs in Opium verarbeitet. Serge Lutens hat in Marrakesch seinen Lebensmittelpunkt gefunden und lässt sich zu seinen fabelhaften Kreationen inspirieren, die unvereinbare Fusionen von Abend- und Morgenland hervorbringen. Monsieur Ellena hat sich in Marokko eindeutig seine Inspiration zu Terre in den Wüstenstädten geholt. Terre riecht wie Marokko und seine Erde, seine Metalle und Erze, seine mächtigen Gebirge, die Wüste - gewürzt mit Pfeffer und diesen zitrischen Noten der Oasen. Nachts wird es in der Sahara bitterkalt - du brauchst den Feuerstein, um ein Lagerfeuer zu entzünden. Diese polarisierenden Noten hat Terre unnachahmlich eingefangen: ein Meisterwerk, ein Wunderwerk, ein Monument von einem Parfüm. Dunkel wie die Souks, gleißend wie die Sonne, trocken, heiss, kalt wie die Felsen der Berge, auf den der Saft einer zerborstenen Orange tropft, durstig wie die Sahara, rein, schlicht, schmutzig und wundervoll.
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Esrafalet vor 9 Jahren 2
10
Duft
Egoiste - Missverständnisse über einen Namen (Eine Erklärung)
Viele Menschen stören sich an dem Namen dieser Kreation: Egoiste. Der Duft ist traumhaft schön, doch ein Egoist - das will doch kein Mann sein, das ist negativ! Warum heißt dieser Klassiker also Egoiste?
Die Antwort wird doch mit der Werbung mitgeliefert: Er ist mit einer Frau im Hotelzimmer, liebt sie (vermutlich sehr) und alle anderen Frauen schreien, dass er ein Egoist ist, bei dieser einen Frau zu sein und zu bleiben. Er ist ein Egoist, weil er sich nicht an alle verschenkt, sondern sich dort versteckt, obwohl sie ihn alle begehren und haben wollen. Er ist Egoist, weil er sich aufspart und treu bleibt - wilde, unkontrollierbare Begierde auf Grund des Duftes und seines Stils, seiner Attitüde.
Als Egoiste erschien, habe ich sofort zum Sturm auf die nächste Parfümerie angesetzt, denn ich benutzte den chanelschen Mythos der Altgriechen, der unbesiegbar war (heute sind die Griechen unbesiegbar im Euro). Kann ein Parfümhaus sich selbst besiegen? Ich sprühte los und schnüffelte neugierig. K.O.-Niederlage für den egoistischen Jungspund.
Mein beherztes Urteil war vernichtend: "Das riecht nach Krankenhaus mit Pflaume!" Medizinisch, wie ich befand. Danach habe ich ihn nie wieder eines Blickes gewürdigt, bis...
Zumindest lag ich mit der Pflaume gar nicht schlecht - denn die Zimt-Kuchen-Assoziation weist schon in die richtige Richtung. Fakten zu Inhaltsstoffen der Wässerchen wurden in dieser Zeit kaum oder gar nicht bekannt gemacht, man war auf seine Geruchsnerven angewiesen. Die Dufthäuser veranstalteten einen dem MI6 ähnlichen Geheimdienst-Kult ala Spectre. Ich war in den frühen 90ern bei einem Parfümeur in Wolfratshausen zugegen, der gerade verzweifelt versuchte, die Rezeptur von Paloma Picasso decheffrieren zu lassen. Kaum zu glauben, dass sich das Damenwässerchen dieser selbsternannten Design-Nebelkrähe sehr gut verkaufte. Schert sich mit Recht keiner mehr drum - um die Dame mit der ausladenden Nase.
Ich ging derweil meinen Weg in Begleitung des anderen Altgriechen vom Pariser rive gauche, wechselte zu Insense, Fahrenheit und Terre.
Es war auf dem Flughafen in Casablanca, ich schnüffelte mich so durch die Duty-Free-Reihen und landete am Chanel-Counter (Anglizismen forever). Nach all den geschnüffelten Bangs und Booms, Kokos und Ricos, Man, Hommes, Lui, Si, No und Amens war mir nach Klassik. Gekonnt hielt die Verkäuferin, Verzeihung Sales Consultant, einen Papierstreifen in der einen und Egoiste in der anderen Hand. Sie zielte routieniert und benässte zierlich die wehrlose Pappe, zog sie an meiner Nase vorbei und nickte bestimmend. Hielt sie mich etwa für einen älteren Herrn (was ich nicht bin) mit unangenehm medizinischem Körpergeruch? Wie grässlich.
In diesem Moment setzte in meinem Kopf der 4. Satz aus Mahlers Fünfter ein. Mein Gehirn zeigte mir die Lagune, das rauchende Dampfschiff, den Dunst und dahinter die Stadt, die langsam Konturen annimmt, den fürchterlichen Geck, den Lido und Murano: Der Tod in Venedig, die sinnliche Harfe, das Anschwellen der Musik, die irre Steigerung, das Erblühen der Leidenschaft, Sehnsucht, der Wahnsinn, die Seuche und schliesslich der hölzerne Tod. Egoistisch und konsequent schiebt sich der liebende Professor seinem Ende entgegen. Das ist es ihm wert, denn er hat das Schönste gesehen und erlebt, das er sich erträumen kann: die Liebe. Diese Musik klingt in Egoiste, denn die verzehrende Liebe, die dunkelrote Rose, das zimtene Begehren und der unvermeidliche Tod sind Egoisten, weil sie alles fordern. Bravo, all das ist Egoiste und verklingt mit der zärtlichen Harfe.
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Esrafalet vor 9 Jahren 18 4
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Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
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Duft
Ein Gefühl für die Ewigkeit - was zählen da 30 Jahre
Ich habe Antaeus in den 80ern getragen und sehr gemocht. Meine Alternative für warme Sommertage war Eau Sauvage Extreme. Dieses Jahrzehnt, in dem Düfte schwer und intensiv daherkamen und auch schon mal Kopfschmerzen bereiteten. Das war die Zeit, als Estee Lauders Spruch "Ein Parfüm muss man wahrnehmen, bevor jemand den Raum betritt und lange nachdem jemand es verlassen hat" galt. Ich kann mich an die Bomben wie Lagerfeld homme, Aramis, Zino, Kouros, Joop femme, Opium und Chloe (obwohl 70er), Fendi, Cinnabar, JPL, Youth Dew, Diva, Azzaro, Coco, Chanel No.5, Lair du temp, Obsession und besonders Poison im Original erinnern, Sequels und Ableger gab es nicht. Wahre Stinkbomben, aber irgendwie gut...sinnlich, präsent, aufdringlich und manchmal gehirnerschütternd. Anfang der 90er wandte ich mich angeblich moderneren Düften zu. Es war das Jahrzehnt des Wechsels zu verflüssigten Pipisteinchen (Ck one, be, shit...) und Meeresbiologen (Cool Water, Insense...), allenfalls unterbrochen von benzingetränkter Kamille (Fahrenheit, ich liebe dich). KAMILLE!!! Es folgten die Nullerjahre, die in Früchtchen ertranken und Nahrungsessenzen wie Nüsse und Obst (Maracuja, Ananas, Banane, Wallnuss), dazu Stein, Erde, Mineralien (Terre, zugegeben, ich liebe Terre) ins dezent duftende, domestizierte Fläschchen filtrierten. Und heute? Ich mache mich schlau und soll als gereifter Mann Düfte tragen, die wie Schokoküsse (Kokorico, Linstant), Süßigkeiten, nach gar nichts, allenfalls gewaschener Wäsche (Infusion) oder gebrannter Mandel mit flambierter Ananas riechen (CK Reveal). Nein, in mir reifte ein Entschluss: Kehr zu deinen Lieblingen zurück - oldschool, out, down, sinnlich, animalisch, einfach gut.
Flugs las ich im Forum über meinen ehemaligen Signalduft Antaeus: Reformuliert, krautig, zitronig, kastriert, Wirrwar von Gerüchen, Pipi, Urinal, Altmännerausdünstung? Das Meisterwerk meiner Erinnerung. Der Duft, den ich immer wiederzuerkennen glaubte, war zu einem Zerrbild geworden? Ich war irritiert und verunsichert und heute torkelte ich mit Schwung in meine Traditionsparfümerie und orderte vorsichtig den duftenden Halbgott.
Luft anhalten und Anstoß. WOW! Was für ein berauschender Auftakt. Dann Euphorie, ja, er ist es, er steckt noch im schwarzen Flakon, ER IST ES, ich habe ihn wieder, wir werde uns nie mehr trennen. Ich kann den Duft nicht beschreiben, weil ich ihn schon so lange kenne, es ist wie nach langer Reise ankommen. Er ist da. Tatsächlich nicht mehr ganz so sillagetrunken, doch immer noch voll, sinnlich ledern, animalisch, floral, süß und herb, wuchtig, elegant, und das Ganze in einem einzigen, harmonischen Akkord, der Antaeus-Akkord, denn alle widersprüchlichen Einzelteile fügen sich wie bei Wagners Musik zu einem einzigen Thema, verrauschen miteinander, verschmelzen zu einem einzigartigen Hauch der Welt. Das muss man schaffen, das ist ein Meisterwerk. Die Essenz dieser widersprüchlichen Welt, eingefangen in einem Duft. Für die Ewigkeit.
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