FioreMarina
FioreMarinas Blog
vor 4 Jahren - 09.05.2020
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Bertie Bott’s Bohnen oder: Warum wir Zauberer sind

Alle mal Handmeldung, die Harry Potter kennen: Ich gebe zu, das ist keine hohe Literatur, aber immerhin war es in den letzten 20 Jahren verdammt schwer, daran vorbei zu kommen. Ich persönlich habe die Bücher meinen Kindern so oft vorgelesen, dass ich sie inzwischen passagenweise frei rezitieren könnte. Und ich habe der Reihe die interessante Hypothese entnommen, dass es im Grunde zwei Welten gibt:

Das eine ist die Muggel-Welt. Diese Welt wird von Normalos bevölkert, Hardcore-Empiristen, die sich aus Mangel an besserer Kenntnis an das halten, was sie unmittelbar sehen, hören und in die Hand nehmen können und phantasielos genug sind, zum Beispiel zu glauben, um sich fortzubewegen bräuchte man zwingend seine beiden Beine, oder zumindest doch die Straßenbahn.

Neben dieser einen gibt es allerdings noch eine zweite, gewissermaßen parallele, unsichtbare und für die Muggel leider unerreichbare Welt.

Und diese Welt ist zauberhaft.

Wer nun denkt, Teil der zweiten Welt zu sein, sei von Beginn an mit dem erhabenen Gefühl, besonders zu sein verbunden, der hat Harry Potter wahrscheinlich nicht gelesen. Es geht eher Richtung: Was zur Hölle ist eigentlich mit mir los?

Ziemlich genau das dürften sich meine Eltern über mich gedacht haben, die mit Befremdung zur Kenntnis nehmen mussten, dass ich, damals noch recht klein, unartikuliert aber beharrlich sämtliche ihre Versuche, mich mit Puppen und Kuscheltieren angemessen zu sozialisieren, zurückwies und hartnäckig darauf bestand, ein vom Gebrauch weich gewordenes Stofftaschentuch meines Vaters mit einem (lieber waren mir allerdings zwei) Spritzer Givenchy III zum Einschlafen verabreicht zu bekommen.

Meine Affinität zur unsichtbaren Welt der Düfte blieb im Weiteren einigermaßen unbemerkt. Meine Eltern konnten ja nicht wissen, dass ich deshalb auf die Fortsetzung der Klavierstunden bestand (obwohl ich leider jegliches Talent vermissen lies und diesen bedauerlichen Mangel auch nicht durch Fleiß auszugleichen gedachte), weil meine Klavierlehrerin in betäubungsmittelgesetzgrenzwertverdächtigem Ausmaß den Duft von Quelques Fleurs verströmte. Ich kannte das Wort noch nicht, aber ja, ich denke, schon damals war ich eine Freundin üppiger Sillage.

Es folgte eine Latenz-Periode, in der ich versuchte, mich an dem zu orientieren, was meine Umwelt für angemessen hielt. Ich erinnere mich, dass ich Bewunderung für City-Men Duschgel heuchelte, weil meine beste Freundin das so „super frisch“ fand: Es roch wie Weichspüler mit Menthol-Kaugummi, aber zum Glück nur schwach und nicht lang anhaltend.

Mit Fünfzehn verliebte ich mich zum ersten Mal wirklich: Sie hieß Samsara, und wie es sich für die erste Liebe gehört, war sie mehr als nur eine Nummer zu groß für mich. Ich hatte ein kleines Pröbchen ergattert, Gott weiß wie, und ich hütete es wie einen Schatz bis… ja bis die russische Schauspielerin, die damals bei uns zu Besuch war, ihr Verständnis von deutscher Gastfreundschaft sozialistisch großzügig auf die Vergemeinschaftlichung von Parfum-Gebrauch ausdehnte. Ich weiß noch heute, wie sie die Treppe aus dem ersten Stock herunter kam, eine Bugwelle Samsara vor sich her schwappend; ich roch sie, ehe ich sie sah.

Ich könnte weitererzählen: Von meiner Studienzeit, in der ich zwei Hosen besaß, drei Sommerkleider – und etwa zwanzig Flacons, die ich sorgsam versteckte, wenn meine Eltern zu Besuch kamen, um nicht den Eindruck von Verschwendung zu erwecken.

Ich könnte von dem Kommilitonen berichten, der, an sich gut aussehend und sich selbst in hohem Maße für intellektuell haltend, mir einen Vortrag über die Oberflächlichkeit von Frauen hielt, die mehr als ein Parfum besitzen, während ich die ganze Zeit über mit pochendem Herzen hoffte, dass er nicht auf die Idee käme, mein Bad zu benutzen. Nach diesem Abend fand ich ihn übrigens nicht mehr so toll.

Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen, aber es ist nicht wichtig. Viel entscheidender ist der Augenblick, in dem ich erkannte, dass es Leute gibt, denen es geht wie mir. Und das war neu.

Das geschah, als ich auf dieses Forum stieß, wahrscheinlich genauso zufällig wie die meisten hier, eine Duftbeschreibung las, einen Kommentar, ein paar Statements. Für mich war das der Augenblick, in dem ich, wie seinerzeit Harry Potter aus der Welt heraus und in das Forum wie in die Winkelgasse hineinfiel. In eine Welt, in der man sich mit großer Ernsthaftigkeit über Sillagen und Herznoten unterhält. In der Patchouli, Bergamotte und Veilchen durch den (virtuellen) Raum flirren und eingefangen werden in immer neuen Bildern, Beschreibungen, Kommentaren, Fotos.

In der Menschen mit Begeisterung an Duftproben herumschnüffeln wie die Zauberschüler auf Bertie Bott’s Bohnen in allen Geschmacksrichtungen herumkauen: Probier das hier mal – Toll, die Vanille mit dem Jasmin! Und dieses hier – uuuh, das riecht nach Kuhstall…

Ich versuchte mich selbst an einem Kommentar und war außer mir vor Freude über den ersten Pokal, dann den zweiten, den dritten, weil ich nicht glauben konnte, dass jemand sowas wirklich liest. Leute, die sich in Bildern von Hühnchen präsentieren, als Komiker-Duo oder Cartoon- Matrosen, äußern sich freundlich, jemand sagt: Du solltest mehr Kommentare schreiben. Und dann erreicht mich aus heiterem Himmel eine Nachricht, gib mir doch mal Deine Adresse, ich schicke Dir ein paar Proben zu. Für mich war das mein persönlicher Du bist ein Zauberer, Harry- Augenblick. Der Moment, in dem mir klar wurde: Das ist eine andere Welt. Und ich gehöre dazu.

Seitdem fühle ich mich nicht gerade wie Harry Potter, der auserwählt ist, um die Welt zu retten. Aber doch schon wie Hermione, das naseweise Streberhexlein, wenn ich versuche, die Duftpyramiden zu erschnüffeln oder in einem Parfum stirnrunzelnd eine Kokosnuss ausmache, die da eigentlich gar nicht hingehört.

Und ich kann mit Nachsicht auf Mr.Lover blicken, der, mit mir am Frühstückstisch sitzend, sich in empathischer Einfühlung versucht, auf jedes Cleenex, mit dem ich unter seiner Nase herum wedele, tastend mit „Hmmm – gut!“ reagiert und damit meine Versuche, eine Initiation anzuregen, an die Wand fährt:

Hier, riech mal: Vanille Paradoxe!

Hmmm – gut!

Oder das hier: Oud Satin Mood.

Hmmm – gut

Und das? Salome?

Schlucken, Räuspern.

*komm schon!*

Äh – gut?

Er kann nichts nicht dafür. Er ist ein guter Mann, aber eben ein Muggel. Er weiß nichts von Bertie Bott’s Bohnen oder von Zauberern. Aber Ihr wisst es.

Und ich. Ja ja – und dafür danke ich Euch.

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