FioreMarina
FioreMarinas Blog
vor 4 Jahren - 01.05.2020
12 29

Von der Weisheit des Veilchens

Wenn ich durch dieses Forum schlendere, Eure Beiträge wie Türen öffne, hinter denen immer neue Räume liegen, wenn ich Sammlungen bewundere, Kommentare lese, Statements, Blogs, stoße ich von Zeit zu Zeit auf den Begriff des Signaturdufts. Und das beschäftigt mich: Was soll das sein, ein Signaturduft? Kann es das geben, einen Duft, der für mich steht, der mich paraphrasiert, in dem ich ganz und gar aufgehe?

Und welcher Duft wäre das?

Ich habe Phasen; wahrscheinlich bin ich damit nicht allein. Wochenlang kann ich nichts anderes als Baccarat Rouge an mir akzeptieren und dann wache ich eines Morgens auf und weiß, es müssen Veilchen sein. Den ganzen Sommer habe ich mich auf einer Welle aus Kokos und Salz schaukeln lassen, mich nicht satt riechen können an Hamaca und jetzt brauche ich Blumen. Immer sind die Parfums, die ich trage, Wegbegleiter, und es fehlt etwas, wenn ich sie nicht an mir habe. Aber mehr als das werden sie nicht.

Es ist also vielleicht der Moment für etwas Grundsätzliches, für die Frage nämlich, wie der Duft aussähe, der tatsächlich zu meiner Signatur würde. Wenn ich, genauso genial wie Grenouille, nur weniger grausam, das Parfum komponieren könnte, in dem ich sichtbar würde, welche Duftstoffe würde ich verwenden?

Habt Ihr Euch das je gefragt?

Es ist natürlich ein Spiel. Aber wer weiß - vielleicht hat jemand Lust, mitzuspielen und sich diese Frage zu stellen.

Ich fange an. Und weil ich merke, dass diese Aufgabe zu schwer und zu komplex für mich ist, beschließe ich fast sofort, das Gebiet einzugrenzen - vielleicht auch zu entschärfen ;) - auf nur einen kleinen Ausschnitt; die Kindheit vielleicht. Wie würde Euer Parfum aussehen, wenn Ihr Eure Kindheit damit einfangen würdet?

Ich denke, zwei Säulen müssten die Basis tragen, die väterliche und die mütterliche, das männliche und das weibliche Prinzip.

Bei mir wäre das Weihrauch in der Basis für den Vater, klar und strukturiert wie die Bach-Choräle, die an so vielen Wochenend-Morgen durch die Zimmer wehten, wie die unzähligen Besuche in romanischen und gotischen Kirchen - immer nur in romanischen und gotischen - die ich auseinanderzuhalten lernte, noch bevor ich schreiben konnte, Und es wären Teeblätter dabei, bitter gewordener Darjeeling und die Trockenheit des Papyrus.

Die zweite Säule, die meine Basis trüge, röche nach Zedernholz und Akazienblüten für die Mutter, und nur ein Idiot könnte sich durch die Zartheit der Akazienblüten länger als nur einen Augenblick über die Stärke, die Standhaftigkeit, die Wucht der Zeder hinwegtäuschen lassen, Wurzel, Holz und Rinde. Und Zweige, die in den Himmel greifen, blasphemisch, unerschrocken.

Ich muss fast lächeln während ich das schreibe: angesichts dieses offensichtlichen Antagonismus in der Basis, der sich wie von selbst und ohne es gewollt zu haben einstellt und so vieles sagt, während ich doch eigentlich nur über ein Parfum nachdenke.

Die Herznote des Duftes meiner Kindheit hätte zwei Komponenten. Nur zwei: Himbeeren und Veilchen.

Die Himbeeren an die ich denke, findet man auf einer Waldlichtung am Johannishögel; ihr Aroma ist Lichtjahre entfernt von den aufgeblasenen Verwandten, die sich heute in den Supermarktregalen käuflich erwerben lassen. Sie sind auch nicht so leicht zu haben, weil sie sich mit Dornen und Zweigen gegen Übergriffe wehren. Meine Großmutter sammelte sie zusammen mit uns Kindern und ich bin mir fast sicher, dass sie sehr unzufrieden wäre, wenn sie sich mit den Himbeeren in Zusammenhang gebracht wissen würde. Es sollte wohl etwas glamouröseres sein, weißer Flieder zum Beispiel. Aber so sehr ich mich bemühe, der will nicht in meine Herznote hinein. Es bleiben die Himbeeren, in Milchkannen aus Email gesammelt, und das Lachen meiner Großmutter, die sie, häufiger noch als in die Kannen, in unsere verschmierten Mündchen steckte.

Die Veilchennote hat eine konkrete Szene; eine von diesen Szenen, die wir, obwohl klein und an sich nebensächlich, ein Leben lang in uns tragen. In dieser Szene - sie spielt übrigens ebenfalls auf dem Johannishögel - sehe ich mich als kleines Mädchen auf die Knie gehen, mein Gesicht in ein tief violettes Veilchen-Polster senken und ihren Duft einatmen, so unglaublich süß und schön, während mein Großvater daneben steht, und er, der Chemiker, der um die Flüchtigkeit der Stoffe weiß, sagt: "Du darfst sie nicht pflücken. Sie sterben sonst und verlieren ihren Duft."

Mehr noch als der Veilchenduft hat sich damals vielleicht die Erkenntnis in meiner Seele eingenistet, dass man den Augenblick nicht halten kann, nicht konservieren, aufbewahren. Dass man ihn nehmen muss, genießen, begreifen - und loslassen, wenn wir wollen, dass er lebendig bleibt. Und deshalb, deshalb muss das Veilchen in das Herz meines Parfums.

Die Kopfnote des Duftes wäre leichter, verspielter und flüchtig. Ich müsste die Rose bemühen. Nicht die türkische, nicht die bulgarische. Keine dieser wunderbar majestätischen Rosensorten. Es wären die Heckenrosen in unserem Freibad. Nichts in meiner Erinnerung duftet so sehr nach Sommer, nach dem Summen der Insekten, dem Lachen der Kinder, dem Wasserplatschen, nach Leichtigkeit und Freiheit. Es ist ein unkomplizierter Duft, der sich rückhaltlos ganz verschenkt.

Dazu müsste der Geruch nach frisch gefallenem Schnee. Und sagt nicht, der Schnee hätte keinen Geruch: für mich ist klar, dass er einen hat. Ich verliere die Fähigkeit mit der Zeit - aber als Kind konnte ich den Schnee riechen noch ehe er fiel. Kühle Frische, flockenleicht. Burgen bauen, Schneeballschlachten. Das Glitzern, wenn die Sonne darauf fällt. Der Duft nach Schnee ist nicht nur der Gegenpart zu den Heckenrosen, sondern auch ihre Ergänzung. Denn bei uns bleibt er bis tief in den Sommer hinein auf den Bergen und malt frische Klarheit in jedes Bild.

So oder so ähnlich müsste das Parfum meiner Kindheit duften. Ich versuche, zu resümieren und bin überrascht, wie intim gleich mein erster Artikel geworden ist. Auf der anderen Seite: Ist Intimität nicht die Überschrift über jeden Duft, der uns berührt? Ist es nicht so, dass der Geruchssinn uns unmittelbarer, schneller, unwiderstehlicher als jeder andere Sinn in Kontakt mit Gedanken, Gefühlen, mit Bildern bringt, die nur uns gehören und einzigartig sind?

Ein wenig davon habe ich heute mit Euch geteilt.

Und wäre es nicht schön, ganz wunderbar und einzigartig, wenn der eine oder die andere von Euch dasselbe täte?


12 Antworten