11. Sender zweiter Instanz

Das Thema Zeichenhaftigkeit der Parfumerie lässt mich nicht los, ich bin da weiter am Rumdenken. Hmmm... ich glaube (hoffe?), das liegt nicht an meiner Verbissenheit in das Thema, sondern daran, dass es echt ertragreich ist. Ich glaube, dass bei den Gedanken zum Duftzeichen bisher noch völlig außer acht gelassen wurde, dass es ja noch andere außer dem/der Parfumeur/in gibt, die Duft zeichenhaft benutzen: Uns, die Anwender/innen!

Ich mag das eine Zeichensendung erster und zweiter Instanz nennen:
Die erste Instanz ist die der künstlerischen Duftschaffung. Hierbei werden Zeichen eingesetzt, um Ausdruck zu schaffen. Ausdruck des jeweiligen Parfums, des möglichen Kunstwerks.
Die zweite Instanz ist die der Duftverwendung. Hierbei werden die dem Duft mitgegeben Zeichen auch eingesetzt, um Ausdruck zu schaffen. Ausdruck der Persönlichkeit der Benutzenden.

OK... es ist eine Binsenweisheit, dass Parfum benutzt wird, um sein Selbstbild olfaktorisch zu zeichnen. Jedes Anziehen, Haare frisieren und Schmuck tragen ist auch Ausdrucksmittel in diesem Sinne. Aber die Betrachtung des Zeichensystems der Parfumerie bringt hierbei noch einen Gedanken mit, der darüber hinaus geht.
Sämtliche andere Zeichen, die ich einsetze, um mein Selbstbild zu gestalten sind konkret und verweisen nur recht schwach auf Abstraktes. Duftzeichen aber wirken per se abstrakt und reichen weit in einen abstrakten, quasi metaphysischen Bedeutungsraum.

Beispiel:
Person X kleidet sich sexy. Die Kleidung und das sexy Gesamtoutfit sind direkt und wirken konkret. Sie verweisen auch in einen abstrakten Bedeutungsraum und wirken zeichenhaft (indexartig) auf die Interpretation: "Aha, Person X ist ein sinnlicher, genussvoller Mensch mit einem bewussten, extrovertierten Triebleben."
Person X beduftet sich sexy. Das Parfum und dessen Wirkung aufs Gesamtoutfit sind indirekt und wirken abstrakt. Sie verweisen weit in den abstrakten Bedutungsraum und wirken vielfältig zeichenhaft (ikon-, index- und teilweise symbolhaft) auf die Interpretation: "Aha, Person X gehört zur Sphäre der Sinnlichkeit und des Genusses, sie ist auf "magische" Weise ein Teil der Welt von Trieb und Lust."
Die, die es gelesen haben, mögen sich jetzt an den Blogeintrag In der Höhle erinnern. Exakt genau diese Zuschreibung von Magie spielt hier mit!

Jetzt zurück zum Beispiel des Brotgeruchs aus Zeichen I: Der Sender erster Instanz ist Serge. Er packt eine Art Koffer mit verschiedenen Zeichen. Der Sender zweiter Instanz ist der/die Benutzer/in. Dieses Gepäckstück voller Zeichen wird ausgepackt, um sie zu verwenden - nicht zur Kunstschaffung, sondern als Benutzung der Kunst für etwas anderes. Aber Serge weiß das! Er kreiert nicht ein Parfum für´s Museum, nicht einen Kunstgegenstand, der an sich rezipiert wird, sondern immer in Benutzung, immer performativ, immer in zweiter Instanz. Da er das weiß, ist es Bestandteil seiner Handlungen als Künstler! Sein Schaffen erster Instanz ist nie frei vom Wissen um die notwendige zweite Instanz.

Serge ist ein Parfumeur, der hier ein besonders gutes Exempel abgibt: Denn er ist jemand, der (zumindest meiner Überzeugung nach) relativ weit entfernt von Überlegungen der zweiten Instanz kreiert. Andere sind da wesentlich näher dran. Uli de Varens produziert z.B. Parfum, das (neben Geldfragen) ausschließlich an Ansprüchen der zweiten Instanz ausgerichtet ist. Es gibt aber einige Düft, z.B. viele Guerlains, die eine sehr hohe Rücksicht auf diese Ansprüche der zweiten Senderinstanz nehmen und trotzdem sehr autark künstlerisch gedacht sind und funktionieren.

Wofür werden die zur Verfügung gestellten Duftzeichen vom Sender zweiter Instanz verwendet?
Freilich erstmal, um den beiden Grundfeldern menschlicher, natürlicher Psyche zu entsprechen, ganz psychoanalytisch gedacht: Agression (Kampfbereitschaft/Kampfvermeidung) und Sexualität (aktive Lockung/gelockt werden). Darauf bauen ganz viele unterschiedliche, enorm differenzierte Bedürfnisse auf. Jegliches Zeichen in einem Parfum bietet sich zu solcher Verwendung an, ist dafür da.
Die benutzende Verwendung von jugendlich, verrucht, klinisch, abgründig, souverän oder spielerisch wirkenden Duftzeichen ist ein Faktor, der die künstlerische Verwendung dieser Duftzeichen bedingt (unterschiedlich stark, aber immer). Während ein Gemälde im Museum hängt und keine Ebene zweiter Instanz aufweist, ist diese Ebene immanenter Bestandteil eines Parfumkunstwerks.

Das rückt wiederum das Parfum ein wenig näher in den Bereich Design oder Kunsthandwerk. Während ich in allen voran gegangenen Blogeinträgen den Kunstcharakter betont habe und Argumente für eine Sichtweise der Parfumerie als Kunst gesammelt habe, ist dies ein gutes Argument für die andere Auffassung.
Vieles, vieles spricht für ein Begreifen als Kunst - aber dabei sollte man nicht außer acht lassen, dass es auch andere wirksame Faktoren gibt und wenn es um ein An-sich-Begreifen der Parfumerie geht, muss man diese genauso wahr nehmen und mitdenken.

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