Olfaktorischer Ellena-Minimalismus

Ganz automatisch wird beim Versuch der Beschreibung von Jean-Claude Ellenas Werk der Begriff „Minimalismus“ angeführt. Schon beinahe lexikalisiert und nicht hinterfragt, ist Ellena „der Minimalist“, der „minimalistische Duftkunst“ produziert.

Jedes Mal, wenn ich das lese oder höre, habe ich einen kleinen Widerhaken im Hirn, der ein geschmeidiges Denken mit dieser Begrifflichkeit erschwert. Den möchte ich in diesem Blogartikel zum Thema machen.

Minimalismus. Dieser Ismus wird beim Sprechen über Kunst in mehrfacher Bedeutung benutzt. Es gibt den Stil in der bildenden Kunst, Minimalismus in der Architektur und Minimal Music. In der linguistischen Theorie gibt es darüber hinaus das Minimalistische Programm, weiterhin das Gebot des Minimalismus in fernöstlicher Kunst (z.B. Haiku-Dichtung). Tatsächlich haben diese ganzen Minimalismen wenig und teilweise gar nichts miteinander zu tun.

Man kann „minimalistisch“ auch als rein deskriptives Adjektiv auffassen, das eine Herangehensweise, nicht eine stiltheoretisch klar umrissene Methode, beschreibt. Das minimale Verändern und Material Einsetzen wird dort, wo es bewusst passiert, zum Ismus. Die Reduktion als Programm kann Minimalismus genannt werden, auch wenn dieses Programm nicht selbständig ausformuliert sein muss.

Warum wird dieses Wort nun ständig bemüht, um die Arbeit Ellenas zu beschreiben? Nur deskriptiv oder wird damit ein Vergleich gezogen, soll eine Nähe aufgezeigt werden zu einer künstlerischen Richtung oder einer/einem konkreten Künstler/in?

Materialsparsamkeit: Ellena verwendet gern wenig Einzelbestandteile bei der Duftkomposition. Statt 200 finden sich in seinen Düften oft nur 20 angegebene Inhaltsstoffe (in der Duftpyramide dann noch weniger). Ob die Ellena-Düfte tatsächlich so wenige Bausteine haben, kann ich nicht beurteilen. Allerdings kann man sicher sagen, dass duftende, bemerkbar Charakter gebende Bestandteile bei ihm reduziert und nicht stark gemischt auftreten und deshalb als „weniger“ vorkommen.

Transparenz: Dieses bewusste Nicht-Mischen ist typisch Ellena. Oft sind die Noten bei ihm stärker zu unterscheiden als in Kompositionen von anderen Parfumeur/inn/en. Sie sind zwar interpretiert, inszeniert und dadurch verändert, aber nicht ihrer Eigenheit beraubt. Klare Distinktion und Eindeutigkeit bestimmen die Duftaussage, nicht das Feiern des Effektes. Dem Effekt, dem Spektakel, der Verblüffung entsagen Ellena-Düfte entschieden. Sie verdeutlichen gewissermaßen die Noten, denen sie sich widmen. Noten stehen nicht offensichtlich zeichenhaft für etwas anderes, sondern zunächst nur für sich selbst. Ein Ellena-Duft hat meist eine charakteristische Durchsichtigkeit. Eine Transparenz, die riechende Rezeption nicht vernebelt, betört und blendet, sondern sie zur Vertiefung und Genauigkeit einlädt.

Ist das minimalistisch?

Ja.

Ist das vergleichbar oder sogar stilistisch kongruent mit einem bekannten Minimalismus einer anderen Kunstgattung?

Nein. (Oder Jein?)

Daher mein kleiner Denk-Widerhaken.

Der Minimalismus der bildenden Kunst ist eine klare Abkehr von abstraktem Expressionismus. Wenn ich allerdings Vergleiche zur Malerei ziehen möchte, dann ist Ellena von der Methode her sehr nah bei Mark Rothko, einem der populärsten amerikanischen abstrakten Expressionisten und sehr weit weg von Elsworth Kelly, einem bekannten (Hard Egde-)Minimalisten. Andererseits ist Ellena sehr weit weg von Jackson Pollock (abstrakter Expressionismus), wiederum etwas näher bei Frank Stella (Minimalismus, auch Hard Edge) anzusiedeln. Offenbar lässt sich hier der Stilbegriff nicht 1:1 übernehmen. Kanten glättende Verallgemeinerung bringt hierbei keine Wahrheiten zutage, sondern lässt vielmehr Wahrheit verschwinden. Eine Verwandtschaft lässt sich zu einzelnen Künstler/innen sinnvoll ziehen, nicht aber zur Stilrichtung.

Der enorm augenfällige, verblüffend und evident ergiebige Vergleich mit Mark Rothko kommt auch Chandler Burr in den Sinn, wenn er über den vermeitlichen Minimalismus Ellenas spricht: Tiefes, maximal tiefes Einlassen auf eine Farbe, hartnäckiges Verfolgen weniger Harmonien und deren Zusammenspiels… das unbeirrbares Befolgen einer Spur. Diese Entschiedenheit im Ausdruck, diese Wahrheitssuche im Objekt kann man bei Rothko sehen und bei Ellena riechen. Rothkokunst ist aber das Gegenteil von Minimalismus.

In der Architektur schließt der Minimalismus bündig an andere Moderne-Konzepte an. Er huldigt einem Geometrismus, den ich überhaupt nicht in der Parfumerie Ellenas verorten kann. Die Regelbefolgung ist in der minimalistischen Architektur so stringent und unbedingt, dass nur sehr wenig Varianz möglich ist. Ellena verzichtet zwar auf Ornament und Schnörkel, aber er ist nicht durch eine unbedingte Festlegung so sehr eingeengt in der Wahl seiner Ausdrucksmittel. Varianz ist für ihn unbedingte Grundoption. Nicht gerade sehr verspielt, aber eine erforderliche Spielerei auch mal gerne zu Ende spielend, wenn sie in die Tiefe führt, ist seine Duftkunst m. E. nicht sinnvoll stilistisch vergleichbar mit beispielsweise der Grande Arche in Paris oder dem Gebäude der Tate Gallery in London.

Der Minimalismus der Minimal Music bietet schon eher Vergleichsfläche als der der bildenden Kunst, allerdings ist es ungeheuer schwierig, zwei dermaßen abstrakt funktionierende Kunstformen im direkten Bezug zu vergleichen, dass ich das lieber berufenen Musikwissenschaftler/inne/n überlassen möchte. Ungeheuer klare und stabile Harmonik, Nähe zu Fernöstlichem und die berühmte Phasenverschiebung könnten reizvoll sein im Ellena-Vergleich. Wenn jemand mit mehr als musikalischer Viertelbildung (so wie ich) das unternehmen möchte, bin ich schwer gespannt auf das Outcome, habe jedoch Zweifel, dass es direkte Aufschlüsse bietet.

Diese Versuche verlieren sich recht schnell in Ungenauigkeit, wie man sieht. Deshalb bin ich überzeugt, es ist sinnvoll, in Sachen Ellena nicht lapidar immer wieder von Minimalismus zu reden.

Er setzt minimalistische Methoden hier und da ein, verwendet oft eine minimalistische Reduktion, praktiziert einen an japanische Kunst erinnernden Minimalismus mit den Hermèssences (Haiku, Ikebana),  vertritt eine minimalistische Duftästhetik… ja! Mit der Stilrichtung des Minimalismus in der sonstigen Kunst hat das aber nur stellenweise zu tun.

 

Oflaktorischer Ellena-Minimalismus.

Yep.. das denkend spüre ich keinen Widerhaken.

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