Von Gärten, Sehnsucht und Duft: Zu Besuch bei Abderrazak Benchaâbane

Von Gärten, Sehnsucht und Duft: Zu Besuch bei Abderrazak Benchaâbane

Gemeinsam mit Ronin erlebt und verfasst

Eine grüne, tropische Oase mitten im staubigen, hektischen und lauten Marrakesch: Der Majorelle-Garten. Letztes Refugium von Yves Saint Laurent, der das Haus mit dem verwilderten Garten in den Achtzigern des 20. Jh. kaufte und mit seinem Partner Pierre Bergé und der fachlichen Hilfe eines marokkanischen Gärtners und Botanikers wieder herrichten ließ. Im ersten Jahrhundertdrittel hatte der Maler Jacques Majorelle das kleine Paradies eingerichtet und ein Kunstwerk aus Natur und Kultur, Garten und Architektur geschaffen. Bis zu seiner Rekonstruktion schlummerte das Anwesen in einem Dornröschenschlaf des Vergehens und Verwitterns, bis viel Arbeit und Liebe es wieder in altem, buntem Glanz erstrahlen ließen. In den letzten Lebensjahren Saint Laurents war es sein privater Rückzugsort und seine Asche wurde 2008 im dortigen Rosengarten verstreut.

Üppig und grün, dicht und prächtig, trotzdem nicht wie in einem wilden Dschungel, sondern dem Menschen freundlich und einladend zugewandt, umrankt uns der überreiche Garten, während wir hindurch streifen. Neben all der Schönheit, die sich dem Auge bietet, sind wir bezaubert von der unglaublichen Geräuschkulisse: Unzählige Vögel singen gemeinsam in den Zweigen. Aus einer Kakophonie von verschiedenen Melodien wird ein einziger harmonischer und vielfältiger Klangteppich, der alle Geräusche der (vielen) anderen Touristen überdeckt.

Wir sind uns einig: Es ist unglaublich schade, dass wir Monsieur Benchaâbane nicht treffen werden. So beeindruckend wie dieser Garten ist, wären wir jetzt, neben allem Parfumspezifischen, optimal für ein Gespräch mit ihm vorbereitet. Der marokkanische Botaniker und Gärtner, der mit YSL und Bergé den Wiederaufbau dieses begehbaren Kunstwerks gestaltete, war Abderrazak Benchaâbane, heute Parfumeur und Besitzer des Labels „Les Parfums du Soleil“. Wir hatten versucht, ihm anlässlich unseres Marrakesch-Urlaubs ein Treffen und ein Interview vorzuschlagen, aber unsere Texte ohne seine private Mailadresse offensichtlich ins Internet-Nirwana verschickt. Denn bislang hatten wir keine Antwort erhalten.
Der Schöpfer des wunderschönen „Soir de Marrakech“, das so häufig die Louce-Haut beduftet, und anderer in Deutschland nicht erhältlicher Parfums würde für uns wohl eines der vielen Marrakesch-Geheimnisse bleiben, die wir nicht entdecken würden.

Als wir blinzelnd im Sonnenlicht dann draußen vor der Mauer des Majorelle-Gartens stehen und ein halbes Dutzend nicht erfragter Taxiangebote bekommen („Good Price, good price, come with me!“), sehen wir ein paar Meter weiter ein Ladenschild… „Les Parfums du Soleil“! Sofort gehen wir in das Geschäft und versuchen den Mitarbeiterinnen auf Französisch zu erklären, wer wir sind, was Parfumo ist, warum wir so gerne den Chef getroffen hätten und wie toll es ist, die gesamte Auslage durchschnuppern zu können… was wir jetztauch mit Eifer tun. Im Hintergrund wird währenddessen mit ihm telefoniert, dann der Hörer weitergegeben und Abderrazak Benchaâbane sagt: „Ja, ich will Sie treffen!“.

Ganz spontan wird ein Termin in 3 Stunden verabredet, ein Fahrer holt uns ab und wir sind auf dem Weg zum Musée de la Palmeraie. Benchaâbane hat mit dem Museum einen weiteren außergewöhnlichen Ort in Marrakesch geschaffen: Gegenwärtige marokkanische Kunst ist umgeben von einen künstlerischen Garten; wieder berühren sich Natur und Kultur in einem beeindruckenden Ganzen (http://www.museepalmeraie.com/).

Dort begegnen wir einem überaus freundlichen und geistreichen Mann, der auf unserem Tablet gezeigt bekommt, was Parfumo ist, und sich sehr für diese deutsche und internationale Community interessiert. Sein Sohn hilft uns als Übersetzer und mit einem Mix aus Französisch, Englisch, Arabisch und Deutsch tauchen wir mit ihm ein in ein Gespräch über ihn, seine Arbeit als Parfumeur und seine Marke „Les Parfums du Soleil“.
Es hat drei wichtige Weichenstellungen für ihn gegeben, die ihn zur Parfumerie brachten: Seine Familiengeschichte, seine Ausbildung als Botaniker und seine Begegnung und Zusammenarbeit mit Yves Saint Laurent. „Meine Mutter hat damals Essenzen aus Rose und Orangenblüte selbst hergestellt. Ich bin mit Duft und Duftgewinnung aufgewachsen und dies war der Boden für meine weiteren Erfahrungen.“ Später kam seine wissenschaftliche und praktische Beschäftigung mit der Natur hinzu und dadurch dann die Arbeit am Majorelle-Garten. Er erzählt: „Yves war mir ein Freund. Er hat mich sehr inspiriert.“ Lächelnd und mit einem erinnernden Blick in die Ferne sagt er: „He opened my eyes“. Als YSL vor 10 Jahren die Idee hatte, für den Shop des für die Öffentlichkeit geöffneten Gartens ein eigenes Parfum zu entwickeln, vertraute er dieses Projekt Abderrazak Benchaâbane an und dieser trat ein in das, was er „the perfume universe“ nennt: YSL vermittelte Kontakte zu europäischen Parfumeuren und seine Studienreisen führten Benchaâbane nach Paris und Grasse. Durch Saint Laurents Tod und die neue Organisation des Anwesens wurde dieses Majorelle-Garten-Parfum von ihm nicht verwirklicht, aber der Keim war gelegt und Benchaâbane hatte begonnen, sich als Parfumeur zu verstehen und aus seiner bislang privaten Leidenschaft einen Beruf zu machen.
Er machte sich an die Entwicklung eines Duftes, der für ihn das Wesentliche Marrakeschs einfängt und mittels Geruch erzählt vom orientalischen Reichtum und vom Charakteristischen dieser Stadt. Hierbei war es ihm wichtig, den Abend in Marrakesch einzufangen – er betont, dass der Abend etwas ganz Eigenes dort ist und dass „Soir de Marrakech“ diese besondere Stimmung sinnlich abbildet. Er erzählt, dass echtes Ambregris darin verwendet wird. Wir fragen verblüfft nach, ob das denn tatsächlich wirtschaftlich möglich sei und ob dieser kostbare Stoff ausreichend zur Verfügung stünde. Er sagt, dass es gar keine Alternative für diesen Duft gibt –der unverwechselbare Geruch von echtem, natürlichen Amber ist wesentlicher Grundzug dieses Parfums und in Marokko gibt es noch die Möglichkeit, diesen Stoff in überschaubarer Menge zu bekommen. So speziell und bezaubernd wie die gleichzeitig pulverige und glatte Ambernote in „Soir de Marrakech“ ist, passt diese Information sehr gut zu unserer eigenen Dufterfahrung damit. Insgesamt verwendet Benchaâbane fast ausschließlich Ingredienzien natürlichen Ursprungs. Er sagt: „Es geht um den Duft der Natur. Den will ich in einer Komposition zur Entfaltung bringen.“ Ein Blick auf die Essenzen auf seiner Werkbank bestätigt diese Aussage.

Nach „Soir de Marrakech“ entstehen weitere Düfte, die jeweils einen marokkanischen Ort als Inspirationsquelle und Namensgeber haben, zum Beispiel „Mogador“, „Casablanca“ oder „Les Ciels Bleus d´Agadir“. „Mogador“ ist ausgehend von „Soir de Marrakech“ eine eher männliche Interpretation der gleichen Duftthemen und betont bei warm-ambrierter Grundlinie das Würzige und marokkotypisches Zedernholz. Mogador ist der historische Name Essaouiras, einer Stadt die für ihre Schnitzkunst berühmt ist - mit Zeder oder Berberthuja, auch Sandarakbaum, eine Zypressenart, was als Duftkomponente ebenfalls Teil der Pyramide ist. Der Zeder allein ist wiederum „Cèdre Divin“ gewidmet. Im traditionellen Baustoff Zedernholz und seinem Duft sieht Benchaâbane ein „Marokkanisches Erbe“, das er versucht, mit seinem tief herbtrockenen Soliflorduft auf möglichst authentische Weise einzufangen.

Als wir nach seiner Arbeitsweise fragen, erzählt er uns: „Zu allererst entsteht ein Parfum für mich. Nicht für andere, nicht für den Markt. Am Anfang habe ich eine Idee. Die ist zunächst noch sehr abstrakt. Diese Idee fasse ich in einen Text, oft ein Gedicht. Nach dieser Art von Übersetzung in eine andere Kunstform widme ich mich der Umsetzung mit den Mitteln des Duftes.“ Freilich fassen wir an dieser Stelle noch einmal nach und fragen nach dem Kunst-Charakter. Er sagt: „Ja, für mich ist Parfumerie Kunst. Weil es aus dem Inneren kommt, von Herzen. “

Abderrazak Benchaâbane orientiert sich nicht an den Bedingungen und Erfordernissen des Marktes, aber er ist sehr interessiert am Werk anderer und studiert riechend viele Parfums. Er betont, wie wichtig diese Art von sinnlicher Kommunikation für ihn ist. Wir fragen nach seinen liebsten Parfums anderer Parfumeure. Seine Top-3 sind: „Eau Sauvage“, das er für einen der wichtigsten Klassiker hält, „Terre d‘Hermès“, das er oft im Sommer tagsüber selbst trägt und in dem er die radikale Erneuerung der Duftsprache durch JC Ellena auf den Punkt gebracht findet, sowie sein persönlich liebstes Parfum im Kanon der Parfumkunst: „Habit Rouge“. Er sagt „JP Guerlain war der erste, der den Orient als Duft wirklich verstand.“
Er findet es gerade heutzutage ungemein wichtig, diesen sinnlichen Brückenschlag zwischen Orient und Okzident zu vollziehen. Das, was in Europa verbunden wird mit „dem Orient“, darf nicht nur bestehen aus Bildern und teilweise Zerrbildern von Konflikt und Unvereinbarkeit. „Es gibt eine Sehnsucht nach dem sinnlichen, dem schönen und reichen Orientalischen. Dieser Sehnsucht kann Duft begegnen. Darin besteht eine wichtige, weil fühlende Verbindung.“ Diese Sehnsucht nach einem sinnlich schönen Orient ist für Benchaâbane auch der Hauptgrund für die seit ca. 10 Jahren bestehende Oud-Duftmode in Europa. Der Duft von Oud, oft ein Mitbringsel von der Mekka-Pilgerfahrt, hat etwas Vereinendes für die islamische Kultur und ist daher nicht nur ein Wohlgeruch von „woanders“, sondern eine Art Symbolgeruch für den Orient.
Die Beantwortung dieser Orient-Sehnsucht und die Notwendigkeit einer Verbindung, eines sinnlichen Verstehens, ist für Abderrazak Benchaâbane ein wichtiger Teil seiner Arbeit: „Les Parfums du Soleil“ ist für ihn zuerst die eigene Parfummarke, die ihm Raum gibt, die eigenen Ideen zu verwirklichen, aber dann auch ein Weg der Verständigung. Er begreift seine Düfte als originär orientalisch und als eine Art Sprechen in der Sprache des Dufts.

In Deutschland ist diese Kommunikation derzeit noch sehr leise, denn es gibt keinen Deutschland-Vertrieb von „Les Parfums du Soleil“. Noch müssen deutsche Parfumo-Nasen die spannenden und schönen Parfums über das Netz beim Shop in Marrakesch bestellen (http://lesparfumsdusoleil.com).
Nach einem sehr informativen, gut gelaunten und langen Gespräch bei Minztee und Blick in den wunderschönen Garten sagt Abderrazak Benchaâbane, wie sehr ihm das Interview und unser intensives Fachsimpeln gefallen haben und grüßt alle Parfumo-Nasen, die er über den Blog erreichen wird.
Das Teilen von Dufterfahrung, wie es Parfumo ermöglicht, entspricht für ihn dem eigentlichen Charakter von Parfum: „Duft ist teilbare Erinnerung.“

Wir sind ihm dankbar, dass er seine Zeit und seine Gedanken mit uns teilte… und seine schönen Düfte mit allen Duftbegeisterten teilt.

„Soir de Marrakech“, das wir vorher schon lieben konnten, wird ab jetzt voller Erinnerung an seinen Parfumeur und an Marrakesch wahrscheinlich noch ein klein bisschen besser riechen und Ronins „Mogador“ wird dazu die männliche Duftseite beisteuern, wenn wir im kalten deutschen Frankfurt unseren mitgebrachten marokkanischen Minztee aus bunt verzierten kleinen Gläsern trinken und uns gemeinsam an unsere vielen magischen, fremden und schönen Orient-Bilder erinnern.

Aktualisiert am 06.09.2022 - 11:58 Uhr
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