Oxpjotr

Oxpjotr

Rezensionen
Oxpjotr vor 5 Jahren 26 3
7
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Schrecklich... gut!
Ich hatte mal eine Freundin - so gehen wohl viele Gespräche los. Bei mir sogar manchmal Selbstgespräche. Ich erinnere mich dann an meine Begleitung auf Zeit. 5 Jahre, 10 Jahre, 3 Jahre... egal - nicht egal - vorbei. Sie alle stehen für etwas Positives, etwas Besonderes oder Bereicherndes. Alle haben sie mit ihren Vorlieben Lücken in mir selbst gefüllt und Interesse für Unbekanntes geweckt.

Meine erste Freundin bekam von ihren wohlhabenden Eltern beispielsweise ständig teure Parfüms geschenkt... Sie war es unglaublich leid und schimpfte mit ihren Erzeugern, denn wir waren beide gefühlt außerhalb des Mainstreams, lebten Punkrock, wollten unseren, wenn auch günstigen, Lifestyle selbst finanzieren, hatten also keinen Sinn für kostspieligen Tand. Es war Protest. Wir waren undankbar. Das war vor 20 Jahren. Ich schäme mich nicht dafür. Wir waren schreckliche Kinder.

Trotz aller Ablehnung des Etablierten standen also im Badezimmer immer Gucci Envy, Kenzo Flower, Diors J'adore, Le Feu d'Issey, Cacharel Noa etc. zur freien Verfügung herum. Wir hatten den Ruf weg, die bestriechende WG des Viertels zu sein… So war es auch mit dem Féminité du Bois von Shiseido. Während ich mich zwar mit den übrigen floralen Klassikern anfreunden konnte, brachte mich Pierre Bourdons holzig-warmer Zen-Duft um den Verstand. Schon die Flasche war ein potentieller Handschmeichler und irgendetwas berührte mich ganz tief. Das schaffen bis heute nur wenige Menschen und auch nur wenige Parfümkreationen.

Erst viel später erfuhr ich, dass Serge Lutens diesen Duft - gemeinsam mit Bourdon und Sheldrake - unter gleichem Namen innerhalb seiner Marke weiterführte. Die Hintergünde sind mir egal und welche der beiden Versionen besser ist, ebenfalls. Über das Shiseido lässt sich schwer richten, da es eingestellt wurde.

Und hier kommt Jovoys L'Enfant Terrible ins Spiel. Die klauen doch einfach die Féminité-Substanz und bauen ein seidenweiches Harmoniepflaster erster Güte daraus! Im Grunde ist es das, was in meiner Erinnerung die ursprüngliche Fassung ausgemacht hat: die Sonne auf dem Holz unserer WG-Dielen, der milde Honig aus dem Kroatientrip, die würzige Süße der selbstgebackenen Karamellwaffeln und eben diese Tiefe aus warmen Harz, Griesbrei mit Zimt, Pfirsich und einer Prise Sternestaub (haha).

L'Enfant Terrible bringt all das zurück, was mir an meiner Liebe rückblickend wertvoll erscheint. Im besten Sinne – und deswegen verzeihe ich Jovoy/Jaques Flori auch den fehlenden Mut etwas Eigenes zu erschaffen oder zumindest etwas, das über die ursprüngliche Féminité-Fassung hinausgeht. Mancher mag das bedauern und langweilig finden.

Für mich wird L'Enfant Terrible damit tatsächlich zum „Schrecklichen Kind“. Das eingebildete Gör, das unbedingt seinen Weg gehen will und von dem es denkt, er sei extrem, einzigartig und total neu. L'Enfant Terrible wird zur Reprise jeder Elterngeneration, die entweder völlig genervt ist von den Kapriolen ihres flüggen Nachwuchs' oder sich mit ihnen gemeinsam über jede juvenile Neuentdeckung freuen kann – je nach Perspektive. Mit diesem Duft lässt sich das ganz gut aushalten.
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