Die unsichtbare Kirche - Fille en aiguilles von Serge Lutens

Puhh, mein erster Kommentar und das zu einem gar nicht so einfachen Parfüm, denke ich mal. Ich komme gleich zur Sache: über Fille en aiguilles von Serge Lutens hatte ich schon oft gelesen. Getestet -und gleich gekauft- habe ich ihn zum ersten Mal heute in einem Münchner Laden. Und meine Assoziationen gehen auch natürlich in Richtung Wald. Zunächst einmal. Aber keinen deutschen Wald. Zweitens: meine Assoziationen gehen in Richtung -und das noch stärker und in einem Ausmaß, das mich gerade erschreckt- Sonntagsgottesdienst und Kirche. Pinienharz und Weihrauch, ich habe noch nie so was erlebt und für mich und meine nicht empfindliche Nase war es heute ein Schubs von einer kräftigen Hand, als mir die Verkäuferin den benetzten Papierstreifen überreichte.

Denn ich stamme aus dem Süden und wenn die heilige Kommunion ein Parfüm wäre, würde ich darin baden. Gut, das eine hat nichts mit dem anderen zu tun, ich rede wirres Zeug wegen des Dufts. So hat es in Nase und Rachen gekitzelt, als mir der Priester sonntags den goldenen Löffel in den Mund steckte und ich wär nur ein siebenjähriger Bub und trotzdem hätte ich ihm am Liebsten gleich den ganzen Becher aus den Händen gerissen und ausgetrunken. Das ist auch die einzige Form von Alkohol, die mich bis heute zum Trinken einlädt. Blutroter, harziger Wein, Glut in den Adern, für mich die Urform von Ekstase, animalisch sakral. Und das -ausgerechnet das!- hat dieser Duft heute in mir erweckt.

Eine unsichtbare Kathedrale aus Rauchsäulen schwebt über meinem Kopf, Holzstühle, alles triefend vor klebrigem Harz und Myrrhe -kann denn die Bitterkeit niemand riechen?- und was hier von Gewürzen und Früchten geredet wird...das ist für mich Alkohol. Nichts als edler Alkohol, destillierte Sonnenglut aus dem Süden. Der ganze Duft als sinnliches Ereignis war ein Schubs. Kein Knall, denn es gibt kaum Düfte, die mich "schockieren" können, kein Elektroschock. Aber ein Schubs, schon. Am Liebsten hätte ich gleich ein Ticket gebucht. Fernweh oder Nostalgie oder kitschige Schwärmerei vom sonnigen Süden...was auch immer, wen interessiert das? Für mich ist es ein Urgefühl, das hier angesprochen wurde.

Über Physikalisches kann und darf ich kaum was berichten. Haltbarkeit und Sillage sind mir ein Mysterium. Meine Haut saugt selbst stärkste Reize, in diesem Kontext: Duftstoffe, wunderlich auf und somit können sich nicht mal legendäre Düfte auf meiner Haut irgendwie verewigen, und sei es nur für einen Tag. Ich habe alles versucht. Ich habe mich von Kopf bis Fuß eingenebelt. Vielleicht haben sie mich irgendwie "geprägt", unsichtbare Tätowierungen auf meiner abstrakten Substanz, meiner Aura quasi. Aber ich werde hier nichts über diese Eigenschaften des Duftes schreiben, denn ich bin keine zuverlässige Quelle für solche Einschätzungen. Trotzdem: selten so was Spirituelles oder Sakrales gerochen.

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