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vor 2 Jahren - 30.12.2021
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„Die Erde ist ein guter Planet, um Düfte zu mischen“ - Uwe Manasse

Seien wir ehrlich, jede/r von uns hat mindestens ein Parallelleben. Die Sehnsucht nach einer anderen Wirklichkeit. Ich träume von einem Boutiquehotel am Meer mit hauseigener Patisserie. Es ist an einem kleinen, abgelegenen Ort, hoch über den Felsen. Mein Blick sucht von der Terrasse aus das Ende des Horizonts, während ich gleichzeitig dem Flüstern des Seegrases zuhöre. Ich kann das Salz in der Luft riechen und schmecken. Ich spüre den rauen Wind, der meine abgenutzten Gedanken fortträgt und der auf meine blassen Wangen ein wenig gesunde Meeresfrische pinselt. Wir leben in einer kleinen Seifenblase dort, jenseits der Pandemie.

Aber ich wette um den Seelenfrieden aller meinen hunnischen Vorfahren, dass in einer hypothetischen Welt sich etliche Community-Mitglieder tagein, tagaus nur mit Parfüm beschäftigen würden.

Soweit, so gut. Wäre es aber nicht schön, statt über das große Unerfüllbare zu träumen, lieber einen kleinen realistischen Traum zur Wirklichkeit werden zu lassen? Einen Eindruck davon zu bekommen, wie es ist, ein Parfüm zu kreieren? Einzelne Duftstoffe zu riechen? Probieren, experimentieren, mit den eigenen Vorlieben zu spielen? Sich ein bisschen wie ein Alchemist zu fühlen?

Wenn du einen „Schnupperkurs“ bei einem Parfümeur buchen möchtest und nach einer Referenz suchst, wirst du immer wieder auf den Namen Uwe Manasse stoßen. Und ganz ehrlich, ohne mit ihm verschwägert, verwandt, befreundet oder sonst verklüngelt zu sein, kann ich einen Besuch in seinem Atelier jedem wärmstens empfehlen. Meine erste Begegnung mit ihm bei einem Workshop von Duftwerk liegt noch nicht lange zurück. 

Es ist an einem Samstagnachmittag im November. Ich weiß ganz genau, wie mir zuerst seine wachen Augen auffallen. Seine herzliche Begrüßung und der nette Empfang überraschen mich angenehm. Ich treffe jemanden, der mir zwar noch fremd ist, ich mich in seiner Gegenwart aber recht schnell willkommen und gut aufgehoben fühle.

Unser Kurs ist komplett ausgebucht, jeder Stuhl belegt. Natürlich sitzen wir in etwas größeren Abständen, so wie die Hygieneetikette es verlangt. Bei jeder Zweiergruppe oder Einzelteilnehmer stehen auch schon mehrere kleine Braunglasfläschen mit feinen Essenzen, aber dazu später etwas mehr.

Was zunächst folgt, ist eine Zeitreise, olfaktorische Impressionen aus den vergangenen Jahrtausenden. Vor unseren Augen tuen sich Bilder, oder sehr viel mehr Welten auf. Die Geschichte von den ersten dominant veranlagten Jägern, die sich üppig mit Hirschfett einschmierten, um sich Geltung zu verschaffen, aber noch viel mehr, um Damenherzen auf der nächsten Waldparty zu betören, bringt mich zum Lachen. Die Erzählung über die Pestdoktoren, die in ihren Schnäbeln Kräuter zur Neutralisierung des unerträglichen Gestanks und zur Desinfektion trugen, dabei aber nicht wussten, dass sie sich durch Flohbisse infizieren, bringt mich zum Staunen. Die Aufforderung, unsere Umwelt bewusster durch olfaktorische Eindrücke wahrzunehmen, regt mich zum Nachdenken an. Der Hinweis, wie man den richtigen Duft für sich findet, beschert mir einen Aha-Effekt. Es gibt so viel Input, so viele interessante Informationen und Denkanstöße, dass ich alleine deshalb schon gerne Teil dieser Klasse bin.

Eine Überleitung mit dem Thema Kopf-, Herz, sowie Basisnote und wie lange die einzelnen Phasen dauern, führt uns langsam aber sicher an unsere eigentliche Mission heran. Was heute hier entstehen soll ist ein „bespoke fragrance“. Natürlich nennen wir es herkömmlich einfach nur unseren Duft, immerhin ein persönliches Unikat. Es sollte für mich gepflegt und hautnah duften, eher cremig als seifig. Und auf jeden Fall und um jeden Preis Benzoe enthalten. Ich habe irgendwann festgestellt, dass dieser Harz die rote Linie in meiner Sammlung ist.

Ich lausche gespannt, als es darum geht, dass wir unsere Miniduftorgel – es sind immerhin 25 Essenzen – einzeln untersuchen sollten. Die Anweisung ist simpel. Wir müssen lediglich jedes Fläschen, das uns zur Verfügung gestellt wurde, öffnen, kurz daran schnuppern, und auf einer vorgefertigten Übersicht, die jeden einzelnen  Extrakt listet, Plus- oder Minuspunkte notieren. Am Ende sollten wir mit dieser Methode herausfinden, welche Nuancen uns am meisten Zusagen und unseren Lieblingsduft bilden könnten.

Die erste Enttäuschung folgt dann ziemlich schnell. Ich finde Benzoe in der Duftorgel nicht. Beunruhigt frage ich Uwe Manasse, ob er mir einen Ersatz empfehlen kann. Amber würde passen, meint er, die beiden Duftstoffe sind sich wohl recht ähnlich.

Dann stelle ich überrascht fest, dass mir Aqua sehr zusagt, obwohl ich immer dachte, aquatische Noten liegen mir nicht. Dafür lasse als nächstes dann – natürlich nur symbolisch – meinen geliebten Lavendel fallen. Diese krautige, strenge, fade Flüssigkeit hat nichts mit den Blüten in meinem Garten zu tun. Es gibt noch einige Kandidaten, die mich überraschen. Sandel und Iris scheiden ganz am Anfang aus dem Rennen aus. Das ist erstaunlich, ich hätte schwören können, dass wir uns mehr zugetan wären. Maltol mag ich dagegen sehr. Hier geht es um einen Geschmackverstärker mit einer karamell-malz-zuckerwatteartigen Aura. Passt leider nur nicht in das Gesamtkonzept.

Ich schwanke eine ganze Weile zwischen Cassis und Rose hin und her, denn beide zusammen - sagt mir zumindest meine Intuition - würden sich gegenseitig ausstechen. Schließlich entscheide ich mich für letzteres. Eigentlich ein feiger Zug von mir, denn ich gehe auf Nummer sicher und denke heute noch darüber nach, ob Cassis doch nicht die bessere Wahl gewesen wäre.

Nun kommen wir einen Arbeitsschritt weiter. Unsere Lieblinge sollten jetzt mit Hilfe von Pipetten – eine für jeden benötigten Rohstoff - Tropfen für Tropfen in den kleinen Flakon, in dem mein Unikat entwickelt wird. Die Rezeptur schreiben wir dann auf, d.h. die Anzahl der verwendeten Tropfen wird hinter der jeweiligen Essenz notiert.

Beim Pipettieren fällt dann irgendwann der Satz: „Die Erde ist ein guter Planet, um Düfte zu mischen“. Schließlich wäre es wesentlich komplizierter, die verschiedenen Flüssigkeiten ohne die Hilfe der Schwerkraft zu dosieren. Ich schaue kurz hoch und erhasche dabei den verschmitzten Blick von unserem Kursleiter. Wir lächeln uns kurz zu. Gleichzeitig muss ich aber auch daran denken, dass die Erde auch ein guter Planet ist, um Düfte zu mischen, weil es hier schlicht und einfach so wunderbare Pflanzen, Harze, Gewürze, sonstige Aromen und Duftstoffe gibt. Ich schaue wieder nach unten und ganz tief in mir breitet sich ein melancholisches Gefühl aus, das einen Augenblick länger bleibt, als mir lieb ist.

Ich versinke im Arbeitsprozess, schnuppere immer wieder mal begeistert, mal ratlos an den einzelnen Flakons, an meiner Mixtur, an den Kaffeebohnen in der Tischmitte und auch an der Kreation meiner Freundin. Sie benutzt viel Moschus und Maiglöckchen und kommt immer näher an den Duft heran, den ich mir vorgestellt habe. Läuft ja - fast - wie geplant.

Ich frage nach, wie man erreichen kann, dass eine einzelne Komponente sich zu unterschiedlichen Phasen der Duftentwicklung zeigt. Die Antwort lautet, dass manches sich grundsätzlich schneller verflüchtigt, weshalb zitrische Töne häufiger in der Kopfnote zu finden sind. Die Erhöhung der Menge kann aber dazu führen, dass z.B. Rose durch den gesamten Duftverlauf wahrnehmbar ist.

Ich merke schon an den  ergänzenden Ausführungen und Fragen von den Teilnehmern, dass wir heute Nachmittag nur einen kurzen Schulterblick in die Handwerkskunst eines Parfümeurs erhaschen werden, unsere Ausbildung würde Jahre dauern. Das mindert aber den Spaß nicht, den mir das Experimentieren bereitet.

Nach und nach entsteht mein eigenes Parfüm. Ich finde es schön, zart, aber nicht zu schlicht. Amber und Leder festigen Moschus und Rose. Ich zeige die Kreation meinem Lehrmeister und er nickt lächelnd. Ich fühle mich schwerelos, geehrt, zufrieden. Dann ändern wir noch ein bisschen die Rezeptur und multiplizieren die Anzahl der Tröpfchen. Ich vollende mein Werk, lasse mein Flakon mit einer Alkohollösung auffüllen und versiegeln. Es ist vollbracht, ein Augenblick leises Glück.  

Mein Fazit: Ein Parfümeur braucht bei Lubin ca. anderthalb Jahre mit immer neuen Anläufen und Änderungen an der Rezeptur, um einen Duft zu kreieren. Also scheint es mir so, als hätte ich eine ausbaufähige Basis geschaffen.

Mich hat durchaus überrascht, wie sehr meine eingeschränkte Sicht auf die einzelnen Duftnoten verändert wurde. Einige Komponente, die ich nach eigener Einschätzung mochte, fielen durch, andere verschafften sich Zutritt zur großen Bühne. 

Es war mir noch nie so klar, wie nach der direkten Metamorphose meines Parfüms, wie stark eine Alkohollösung die Lautstärke der Essenzen - teilweise sogar unterschiedlich - verstärkt. Durch die Verdünnung ist eigentlich ein ähnlicher aber doch eigenständiger Duft entstanden.

Zur guten Letzt möchte ich nur noch schreiben, dass ich mich auf den Nachmittag, den ich im Duftwerk-Atelier verbracht habe, mit großer Freude zurückdenke. Und dass mich mein achtsames Schnuppern zu der ca. 2,5 km weit entfernten "Keksschmiede" geführt hat. Ich kann ihre frischen, warmen Plätzchen mittlerweile - je nach Windrichtung - schon von unserem Gartentor aus “wittern” und sie duften wirklich herrlich.

Danke Uwe Manasse!

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