Sarungal
Sarungals Blog
vor 9 Jahren - 12.06.2015
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Die Bewertungsfalle - x-tes Traktat zum Thema

„Braucht es tatsächlich noch’n Blogeintrag zur Duftbewertung? Die ist doch wirklich oft genug durchgekaut worden – also shut up, Sarungal, und mach’ was Sinnvolles mit deinem freien Tag."

„Will ich aber nicht!", maule ich mein lenoriges Gewissen *) entschieden an. „Ich will mich jetzt ausmähren dürfen…" Mein Alter Ego startet einen letzten Versuch und droht dämlicherweise mit dem Staubsauger, um mich an häusliche Pflichten zu erinnern.

Sorry, Leute – nun wird’s erst recht ein Blogeintrag.


Gestern abend sitze ich auf dem Sofa, den Hauch von drei unterschiedlichen Düften strategisch gut verteilt am Leib. Ich glotz’ TV, schnüffle hier, schnuppere da. Guerlains Vetiver Extreme und Lalique White zeigen eine nachvollziehbare süßgrasige Verwandtschaft, Mister Marvelous verströmt auf der anderen Körperhälfte seine in keiner Weise kompatiblen Aromen. Die beiden Vetiver-Vertreter riechen auf jeden Fall sehr lecker – allein: im direkten Vergleich zeichnet den Guerlain-Duft eine satte Fülle aus, die Lalique abgeht. Schlimmer noch: Ich erschnuppere ein (subjektives) Qualitätsgefälle, das sich in meiner Bewertung so nicht niederschlägt. Die beiden trennen nur 10 Prozent voneinander.

Ich schüttle den Kopf, zappe mich durch die Programme – eigentlich ist’s doch wirklich scheißegal! Irgendwann findet sich meine Nase über dem linken Handrücken. Vetiver-entwöhnt leuchtet Mister Marvelous plötzlich sehr viel überzeugender; seine etwas eigenwillige Komposition hat Charme und sogar eine gewisse Originalität – auch und gerade im Vergleich zu den beiden anderen Düften.

Stop – in deinem Bewertungsranking liegt der doch hinter Lalique und Guerlain?

Mein Gerechtigkeitssinn quengelt, die Vernunft verweist darauf, dass ich mich sehr, sehr glücklich schätzen darf, wenn das mein akutestes Problem sein sollte. Recht hat sie, die Vernunft – aber sie ist chancenlos: Manchmal denkt’s mich einfach.

Ich überlege: Wieso nur hat "Mister Marvelous" von mir weniger Prozente erhalten als "Lalique White" bzw. "Vetiver Extreme" – und daneben ebenso viele wie "Terre d’Hermes"? Richtig: der Byredo ist der Teuerste (und weist eine geradezu blamable Haltbarkeit auf), der Hermes-Duft dagegen ein Schnäppchen - und Lalique quasi zum Discountpreis erhältlich. Außerdem kann ich Terre d’Hermes olfaktorisch vor- und rückwärts buchstabieren; da ist viel Gewöhnung im Spiel und eine gewisse Abstumpfung.

Eigenartige Kriterien, die da in deine Bewertung einfließen, denkt es mich weiter – darf dat dat? Gerade der Hermes-Duft und deine Nase sind doch äußerst kompatibel. Da taucht ein kleines Teufelchen aus der Versenkung auf: „Weil den doch jeder hat!", flüstert es mir ein. Als ich beifällig nicken will, stutze ich – in meiner maßgeblichen Umgebung trug und trägt ihn fast niemand; dieses Argument ist also für die Tonne.

Ich fühle mich plötzlich unfair – und bescheuert dazu: Als ob irgendein Duft beleidigt sein, gar zukünftig weniger gut duften könnte, um es mir heimzuzahlen.

Ich setze meinem Denkautomatismus ein massives Stoppschild.

Es steht knappe 10 Minuten, dann rollt die Dampfwalze an…

Mal von oben gedacht: Welcher Duft hat denn die höchste Punktzahl? Encre Noir und Kenzo Air Intense sind die Spitzenreiter. Stimmt nicht ganz; Kenzo ist ideell eine Nasenlänge vorn. „Ist ja auch quasi Nische im Mainstream gewesen!", raunt es von irgendwoher, „…und kaum mehr erhältlich…".

Und das sollen Argumente sein? „Vergiss Mainstream, Air Intense ist einfach wie für meine Nase komponiert", argumentiere ich. „Soso", raunt es zurück, „Und du hättest ihn auch entdeckt, wenn er…" – bösartiges Kichern – „ …bei dm an der Dufttheke erhältlich gewesen wäre?"

Ertappt! Irgendwie spielt Lifestyle auch eine Rolle, und dazu eine etwas schwachbrüstige Idee von Luxus.

Kaum hab’ ich das gedacht, kriecht die linke Bazille aus ihrem politischen Reservat und richtet anklagend den Zeigefinger gegen mich: „Teuer gleich gut? Was für ein Müll! Wenn’s ans Portemonnaie geht, musst du doppelt kritisch sein; jeder kleine Fehltritt führt zum Punktabzug! Wirst sehen – relativiert sich alles ganz fix."

Ich ächze. Jetzt habe ich also subjektive Vorlieben, Exklusivität, Originalität, Individualität, das Preis-Leistungsverhältnis und dazu die Haltbarkeit auf meiner Bewertungsliste. Haltbarkeit? Die hat doch eine eigene Kategorie?! Hat sie – aber ich muss der linken Bazille recht geben: Wenn Lalique White manchmal etwas schwachbrüstig erscheint, ist das (angesichts des Preis-Leistungsverhältnisses) etwas völlig Anderes als bei Mister Marvelous – oder?

„Übrigens gibt es insgesamt 11 Bewertungsstufen, Sarungal", meldet sich an dieser Stelle entnervt, aber hinterlistig, das lenorige Gewissen. „Im Mittelfeld ist da eher wenig los bei dir!" Da hat es leider recht, das Gewissen. Das liegt auch am eigenen Gedächtnis: Es speichert Mittelmaß nur mit Mühe (scheint eine Frage der Ökonomie zu sein).

Die (bislang überschaubare Zahl der mir bekannten) Nasenfeinde allerdings verfügt über Präsenz. Ausgerechnet der in weiten Teilen unserer Community hoch geschätzte "Dior Homme" kommt da extrem übel weg. Die Ursache: massive Inkompatibilität zwischen meiner Nase und dem Duft. Aber ist das fair? Müsste ich nicht dennoch das Handwerk anerkennen, die Expertise, die hinter der Komposition steckt? Müsste ich wohl, könnte ich vielleicht – aber ich bin nicht Stiftung Warentest (die seit dem Ritter-Sport-Debakel auch ein paar Flecken auf der Weste hat). Ich bin ebenso wenig Journalist, der zumindest im Bemühen um Distanz eine halbwegs abgewogene Einschätzung abgeben sollte. Wenn mein limbisches System „Nein!" schreit, werde ich ihm in diesem Zusammenhang nicht widersprechen (was ohnehin sinnlos ist!). Ich werde auch meinem Großhirn keine dialektische Zwangsübung verordnen und Gründe zusammentragen, derentwegen ich eigentlich schätzen müsste, was meine Nase verabscheut. Allerdings werde ich immer begründen, welche Faktoren es sind, die mich zu einem negativen Urteil kommen lassen (sofern meine Motivation ausreicht, einen subjektiv unangenehmen Duft mit einem Kommentar zu „adeln". Verrisse zu schreiben kann zwar höllisch Spaß machen; es besteht allerdings immer die Gefahr, von der Lust am Runterschreiben davongetragen zu werden – böse Falle!)

Puh – zumindest am unteren Ende der Skala habe ich mir selbst Klarheit verschafft; wie ich oben eine wenigstens mich selbst befriedigende Hierarchie etablieren soll, ist mir noch immer völlig unklar. Außerdem gibt es da ein weiteres Problem: die Tagesform, die allen Urteilen eine außerordentliche Volatilität beschert. Strategie und Anlass spielen bei meiner Duftsauswahl bestenfalls untergeordnete Rollen; ich folge einem hedonistischen Prinzip. Wenn ich also beispielsweise "Ecsentric 01" auflege, hat der – ungeachtet der hier dokumentierten Zahlen – aktuell 100 Prozent. Irgendwie (das Wort, das nichts anderes ausdrückt als argumentative Leere) bleibt Kenzo Air Intense zwar dennoch an der Spitze, aber…

Ich mach’ jetzt mal’n Punkt. Quintessenz gibt’s keine, nur eine gewisse Ratlosigkeit, die sich wunderbar mischt mit der im Forum wie in Blogartikeln dokumentierten Suche nach dem Stein der Weisen. Vielleicht hilft es dennoch dem Einen oder Anderen dabei, die ausgeprägte Subjektivität meiner jeweiligen Prozentangaben einzuordnen. Sofern eine Bewertung von einem Kommentar gestützt wird, ist der ohnehin aussagekräftiger als jede Zahl: das komplexe Erlebnis „Duft" lässt sich eben kaum auf Prozente reduzieren.

*) Grüße aus den 70gern; wer kann sich noch an die Dame erinnern, die Zwiesprache mit sich selbst hielt? Absurd genug, dass ich an die Lenor-Werbung denke, während es gleichzeitig in meinem Kopf trällert: Lavendel, Oleander, Jasmin, …. Na, welches Konkurrenzprodukt wurde im Dreivierteltakt besungen?

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