TimK

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6 - 7 von 7
TimK vor 12 Jahren 32 16
7.5
Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
10
Duft
Dunkler und verwegener als man denkt
Über Mitsouko noch mehr zu schreiben, mag ähnlich nötig sein wie die Hoden der Päpste. Anlass ist jetzt nur ein bisher vielleicht zu kurz gekommener Aspekt, nämlich der „verwegene“. Zurück in den frühen Neunzigern, ich war noch ein Bub, da gefielen mir auf unserem Gymnasium zwei Mädchen – einige Jahre älter als ich - mit einem besonderen Dresscode: Alles an ihnen war schwarz und staubig, sonnenbraun, abgewaschen und verfärbt; die Röhrenjeans, übergroßen Strickpullis und kurzen Kleidchen, die Netzstrumpfhosen oder solche mit Laufmaschen, die abgewetzten Springerstiefel, ihr einziges Make-up Kajal, die Glöckchen, Dreadlocks und sonstiges Zeug im Haar. Alles schwarz – mit süßen, stupsnasigen, herausfordernden Bubengesichtern. Die Zeit rast – und einiges später ging ich mit einer der Süßen aus, wir besuchten ein Konzert mit irgend einer Garagenband, rauchten „Schwarzer Krauser“ unter dem Sternenzelt, schliefen in ihrem Auto ein. Schön war’s. Und einmalig. Was blieb ist ihr Duft: Herb, schwer, balsamisch, dunkel-zitrisch, altmodisch wie aus dem Jugendstilschrank, irgendwie Räucherstäbchen „deluxe.“ Und so sehr passend zu dieser kleinen, dunklen Lady.
Das Erlebnis blieb haften, der Duft geriet in Vergessenheit. Jahre später bekam ich einen Jagdrucksack geschenkt, grober Leinenstoff und Lederbeschläge. Ein Bekannter – bekannt als „RK“ – gab ihn mir. „RK“ pflegte den gehoben-puristischen Stil des Manns: Jäger, Rotweintrinker, „Dark Twist“-Raucher, „Alter Herr“ der Verbindung; einer, bei dem die Unterschrift mit dem Mont-Blanc-Meisterstück, der Rausch bis zum Versinken auf der Jagdhütte und die Abende im Rokkokotheater Hand in Hand gehen. Mein Jagdrucksack war durchdrungen mit Rückständen von „RKs“ Duft: Herb, schwer, balsamisch, dunkel-zitrisch, altmodisch wie aus dem Jugendstilschrank, irgendwie Räucherstäbchen „deluxe.“ Und so sehr passend zu diesem großen, dunklen Lord.
Jedenfalls bekam ich dann Luca Turin in die Griffel. „Mitsouko“ war eine Konsequenz daraus und ein Blindkauf. Und welche phantastischen Erinnerungen! Herb, schwer, balsamisch, dunkel-zitrisch, altmodisch wie aus dem Jugendstilschrank, irgendwie Räucherstäbchen „deluxe.“ Und so sehr passend ins Futter meiner groben, alten Lederjacke.
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TimK vor 12 Jahren 8
10
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft
Fahrenheit von Bingen
In unserem Landstrich im Nordwesten von Baden-Württemberg, Kraichgau genannt, gibt es – leider immer weniger - charakteristische Auwälder: Lichte Jungbäume, Pappeln, Eschen, Buchen; Sträucher wie Wacholder, vereinzelt Tollkirschen und eine typische Bodenvegetation mit Buschwindröschen, Waldmeister, Wiesenschaumkraut, Schlüsselblumen, wilden Veilchen und Einbeere. Oft bleibt Totholz liegen und verrottet. Im frühen Frühling marschieren wir dort hin und suchen Morcheln, also Pilze. Das Herumstreifen im schattigen Wald, gerade auch bei Regen und wenn es neblig ist, wenn es früh oder spät dämmert, mit plötzlich aufspringenden Rehen und losflatternden Schnepfen, hat eine besondere, leicht düstere, spannende Stimmung in Molltönen, leise und doch kräftig. Und außerdem riecht es toll.
„Vivacité(s) de Bach“ wirkt wie eine Abstraktion von so einem Spaziergang, wie die romantische Idee von Eigenschaften wie krautig und moosig, farnig und wässrig, waldig und erdig, nebelig und regnerisch, diffus und weiß, frühlingshaft und doch eher düster. Nichts und doch alles davon duftet nach all diesem; mit einer ziemlich mächtigen Sillage, die es eher museal als tragbar macht. Denn bei aller Düsternis, ist VdB ein heftig blumiges, ein süßes Parfüm.
Kürzlich kam mir „Breath of God“ unter – ein Riesending wegen seiner Einzigartigkeit. „Vivacité(s) de Bach“ ist auch so ein Riesending – seine Einzigartigkeit aber eine völlig andere Schiene. Verwandtschaft besteht – nach meinem Empfinden – trotzdem: Dadurch. Also „Breath of Pan“, „Breath of Artemis“ oder „Breath of Sonstwas-Naturmystisches“?
Als ich den nicht gerade spottbilligen, lustig nach Naturalienkabinett aussehenden Flakon ein Weilchen schon herumstehen hatte, fiel mir gestern die treffendste (wenn auch lapidar klingende) Beschreibung ein:
Hildegard von Bingen versucht sich am alten „Fahrenheit“.
Ich mag es.
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