Ttfortwo
Ttfortwos Blog
vor 1 Jahr - 09.02.2023
63 65

Erinnerungen an eine Institution

Ich bin ja in den 70er Jahren als rechtes Landei aufgewachsen. In der dörflichen Peripherie eines der unterfränkischen Staatsbäder gab es: Eigentlich gar nix.

Und eigentlich gab es auch in der Kur-Stadt selbst kaum was, aber wir hatten eine Parfumerie, das Sehnsuchts-Epizentrum eines Landwürstchens wie mir: Die beste – weil einzige – Parfumerie war eine Institution und  überaus stolz darauf, Depots französischer Luxusmarken führen zu dürfen. Zu Recht, denn das war streng reglementiert damals. Es wurden Guerlain-Düfte offeriert, selbstverständlich auch die von Chanel und Dior und ich meine, mich auch an Houbigant erinnern zu können, zumindest ich bin mir ziemlich sicher, den wunderschön reliefierten „Quelques Fleurs“-Flakon zum ersten Mal dort in einem der Schaufenster gesehen zu haben.

Das Gesamtangebot nahm dennoch (im ersten Haus am Platze!!!) nicht mehr als sechs, vielleicht sieben laufende Regalmeter ein. Davor gab es noch einen langen gläsernen Tresen, in dem noch einige Düfte, mehr noch Accessoires arrangiert waren.

Niemals hätte man als Kunde den Raum hinter dem Tresen betreten dürfen, der war heilig und unbetretbar. Hier huschten und agierten adrette Damen in Kittelschürzen, die – dem hohen Anspruch des Hauses an (vermeintlich französische?) Eleganz folgend - zartrosa waren mit kleinen Rüschenapplikationen am Saum. Der Kunde wurde ausschließlich über diesen Tresen hinweg bedient, leise, präzise. Niemals hätten die Damen so laut gesprochen, daß es das Verkaufsgespräch einer Kollegin beeinträchtigt hätte. Ein voluminöser altrosa Teppichboden (die zartrosa Kittelchen!!!) dämpfte Schritt und Sprache, die Wände waren dunkel holzgetäfelt und beleuchtet wurde der Verkaufsraum – nein, das hab ich nicht erfunden, das war so: Mittels zweiarmiger Kristall-Leuchter samt zartrosa befranster  Lampenschirmchen an der Taflierung der Wände. Es herrschte eine durchaus gediegene, ja fast edle, ruhige und dunkle Stimmung.

Die Hürde, in diesem Haus eine Anstellung zu bekommen, war übrigens sehr hoch, mußten die Damen nicht nur mehrsprachig sein, sondern auch eisern kniggesicher und sowohl korrekte Anrede als auch Tonfall im Umgang mit eventuell in der Stadt kurenden Mitgliedern europäischer Adelshäuser beherrschen. Hier angestellt zu sein, das adelte geradezu, es war eine Art Ritterin-Schlag des Einzelhandels: „Sie arbeiten bei XXX? Oh, beeindruckend!“.

Eine Schulfreundin, die in diesem Haus eine Lehre als Kosmetikerin begann, wurde – noch bevor sie ihren ersten Tiegel öffnen durfte – auf einen Benimmkurs geschickt. Der Abschluß der Lehre scheiterte übrigens auch an ihrem Unwillen, dem Anspruch an die beschriebenen Umgangsformenen nachzukommen.

Das Regiment der Damen über ihre Kundschaft war in gewisser und auf überaus höfliche Weise absolutistisch und eisern. Vermutlich wurde jeder Kunde belehrt, ich kann aber nur für mich sprechen. Ich jedenfalls wurde belehrt, höflich zwar, aber belehrt, über den Duft an sich, darüber, ob der nach Vorstellung der Damen für mich (meine Eltern, Großeltern usw.) geeiget sei, Widerspruch wurde - ebenso höflich - nicht geduldet.

Aber klar, ich war ja eine kleine Heranwachsende und sehr unerfahren im Umgang mit duftenden Kostbarkeiten und nebenbei gesagt, war das damals durchaus die vorherrschende Art, wie kleine Heranwachsende insgesamt behandelt wurden und es fühlte sich für mich daher nicht wirklich beleidigend oder herabsetzend an.

Insbesondere die konvenierende Verwendung der erstandenen Produkte war ein Belehr-Thema: Zu jedem Duft wurden damals auch die Körperpflegeprodukte angeboten, fast immer eine Cologne-Variante sowie ein Extrait, das war völlig selbstverständlich und hat auch etwas über den Stellenwert, den Parfumierung damals noch hatte, ausgesagt. Parfumierung wollte sorgfältig überdacht und abgewogen werden. Es ging selten darum, welcher Duft heute getragen werden wollte, denn frau hatte damals kaum jemals mehr als einen Duft. Von diesem aber hatte sie die ganze Produktreihe. Reicht heute der hintergründig-zarte Duft der Körpercreme alleine aus? Vielleicht noch mit einem Hauch des passenden Colognes? Darf es doch ein wenig deutlicher werden? Oder steht ein Anlaß ins Haus, ein Grund das kostbare Extrait zu zelebrieren?

Ob ich diese Art Parfumerie vermisse? Ja und nein. Ich war damals sehr beeindruckt und habe mich erwachsener, wohlhabender, gebildeter und welterfahrener gefühlt, wenn ich das Haus mit einer eben erworbenen Preziose verlassen habe, was – den limitierten finanziellen Möglichkeiten einer Heranwachsenden in den 70ern geschuldet – nicht allzu oft geschah. Bleibende Erinnerung. Aber auch ein heute ziemlich aus der Zeit gefallenes Konzept, insbesondere, was den Umgang mit den Kunden betrifft.

Was ich vermisse: Sensibilisierung und Unterweisung für einen sorgfältig abwägenden, fingerspitzigen Umgang mit Duft und Beduftung. Das konnte man dort nämlich lernen. Ich vermisse Colognes. Und: Extraits in Tupf-Flakons. Die langsame, bedächtige und sinnliche Geste, die damit verbunden war. Das Bewußtsein, etwas kostbares verwenden zu dürfen. Und sich dabei Zeit lassen zu können.

Aktualisiert am 09.02.2023 - 09:26 Uhr
63 Antworten

Weitere Artikel von Ttfortwo