Bertel
18.04.2015 - 12:07 Uhr
9
Sehr hilfreiche Rezension
9
Duft

Struppig-blumiger Mastixstrauch

Bei vielen Düften hier auf Parfumo erübrigt sich für mich die Notwendigkeit selbst einen Kommentar zu verfassen - ich stimme mit Darlegung und Einschätzung des oder der Kommentierenden überein, finde die wesentlichen Merkmale wieder, alles gut.

Dies ist hier bei "Lentisque" nicht der Fall, ich empfinde diesen Duft ganz anders. Der Name verweist wie Louce richtig hinweist auf Pistacia lentiscus, den Mastixstrauch, dessen Harz hier die Kopfnote führt. "Lentisque" startet für mich sehr herb, fast etwas bitter, mit tiefen Blumennoten meine ich, der Jasmin hat er seine beste Zeit definitiv hinter sich und hängt schwer und düster da wie auf einem Vanitas-Stillleben. Grün, schon auch, allerdings das dunkle, herbe, sehr Chypre-mäßige Grün von durch den Herbstwind vom Baum fallender Blätter das nichts Helles hat sondern tief und beinahe erdig-farnig ist. Im Auftakt meine ich sogar leicht pfeffrige Noten wahrzunehmen, der trocken ambrierte, leicht nussige Ton der Ambrettesamen (Samen des Bisamstrauchs, auch Abelmoschus- oder Bisamkörner genannt, als pflanzlicher Ersatz für Moschuskomponenten verwendet) gibt seinen Teil dazu. Ein runder, saftiger, breiter Melonen-Ton (überreife Honig-, nicht Wasser-) rundet hier sehr schön balsamisch ab.

Im Herzen dreht sich dieser Duft weiter ins tief-dicht Florale. Jasmin bleibt, eine volle, nicht schwülstig-breite sondern sehr natürliche, beinahe "botanische" Rose kommt hinzu, sowie der von mir so geliebte tiefe, dichte, dunkle Iriswurzel. Dies alles ist hier so dicht verwoben und in den herb-dunkelstgrünen Chypre-Verbund eingebettet, mit der Amber-Note changierend, dass ich hier geraume Zeit gebraucht habe um die einzelnen Färbungen (von denen es dort drinnen nach meiner Empfindung noch einige mehr gibt die ich nicht klar benennen kann) herauszubekommen und auch nicht immer gleich wahrnehme. Zur Basis zu gesellt sich dann noch eine ebenso trocken-holzgrüne Vetivernote dazu, ein toller und absolut konsequenter grünbraun-holziger Ausklang.

Ich meine hier in der Tat hohe Qualität und hohe Kunst zu vernehmen, ein komplexer, nicht alltäglicher, ernster, nicht aufdringlicher, irgendwie herbstlich-trockener Duft der sich zumindest mir zuerst kaum gezeigt und erst nach etlichen Wochen und Trageerlebnissen erschlossen hat und mich weiterhin auf der Entdeckungsreise erfreut. Man hat ihn gerne um sich, ohne ihn oft direkt wahrzunehmen, dann ist die Aura plötzlich wieder sanft herwehend da, so etwas mag ich sehr. Dank der lieben und so großzügigen Lena kann ich jetzt einen Flakon in Händen halten der mir dies erlaubt und mir große Freude und sehr interessante Beschäftigung und Erkenntnis erlaubt.

Ich sehe diesen herben, maskulinen, sehr "old-schooligen" Duft übrigens eindeutig an Herren (wie der Parfumeur selbst auch). Die Haltbarkeit ist mit 10 Stunden einwandfrei, in der Sillage hält er sich angenehm zurück. Schon immer wieder spannend wie unterschiedlich die Wahrnehmungen auch hier wieder sind :-)
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