Kreuzfahrerwasser

Mamski
19.11.2017 - 03:23 Uhr
28
Top Rezension
8
Flakon
6
Sillage
6
Haltbarkeit
9
Duft

Ein guter Schluck

Mein Großvater war Winzer und so kam es dazu, dass auch wir Kinder alljährlich zur Traubenlese mit in den "Wingert" gingen und halfen, die prallen Früchte zu ernten. Nicht selten war es frühmorgens sehr kalt und der Nebel hing schwer in den steilen Weinbergen. Die selbstgestrickten fingerlosen Wollhandschuhe wärmten nicht so recht, die kleinen Finger kühlten schnell ab und man hatte kaum noch Gefühl in diesen. Ab und zu haben wir uns mit der Schere leicht in den Finger geschnitten und es erst bemerkt, wenn ein wenig Blut herunter tropfte. Dann stapfte man zu Opa, hob den verletzten Finger in die Höhe, er murmelte etwas vor sich hin, zog einen Flachmann hervor und schüttete einen guten Schluck Trester über die Wunde, um diese zu desinfizieren. Opa war nie ein Mann der vielen Worte, erst recht nicht liebevoller Gesten, doch diese kleine Verarztung hatte etwas rührendes, wohlwollendes und liebevolles an sich, wenn er einem im Anschluss die Haare über dem Kopf verstrubbelte, leise lächelte und nicht wie sonst in Platt, sondern in hochdeutsch flüsterte: "Pass besser auf!".

An diesen Geruch des guten Schluck Tresters erinnert mich das Kreuzfahrerwasser im Auftakt, wenn auch in abgedimmter Form, und es verwundert mich kein bisschen, dass als Grundlage für diesen Duft 85%iger Obstler verwendet wird. So wie ein guter Schluck Trester schüttelt es mich erst mal harsch und es ist bestimmt nicht angenehm, nach Schnaps zu "duften", doch es ist ein ganz kurzer Augenblick, der sogleich verfliegt, denn dann macht der Duft das, was auch ein guter Schluck Trester im Körper macht: Er wärmt. Und arbeitet.

Es riecht medizinisch-krautig, ätherisch, ein wenig küchenwürzig und für mich ist das Kreuzfahrerwasser kein Parfum, sondern ein Duft, der sich um mich kümmert und mich in liebevolles Wohlwollen einhüllt. Das mit Ölen und Kräuterauszügen versetze Obstwasser (ein bisschen Anis, viel Thymian, viel Fenchel und ein wenig Rosmarin lassen sich hervorragend heraus riechen und der Lavendel wird so umschmeichelt von diesen Kräutern, dass er auf- und erblüht, aber dabei nie überheblich wird) hinterlässt tatsächlich eher den Eindruck eines medizinischen Suds oder einer Heilsalbe. Etwas süß wird es auch. Blumen kann ich keine ausmachen, auch Weihrauch und zitrische Noten spielen in meiner Dufterfahrung eher keine Rolle. Die Kräuter sind harmonisch miteinander verwoben, aber hier wurde kein superduper Parfum kreiert. Es riecht genau so, wie es ist: Als hätten sich ein paar Mönche zurückgezogen und ein altes Rezept heraus gekramt, dies hingebungsvoll umgesetzt und den Duft in Flakons abgefüllt.

Diesen Duft trage ich immer dann, wenn es mir nicht gut geht. Wenn ich mich kränklich fühle, angeschlagen oder genervt oder wenn ich garstig bin, wenn mir einfach alles und jeder auf den Wecker geht und ich mich nach Ruhe sehne. Denn genau das gibt mir das Kreuzfahrerwasser: Ruhe. Es beruhigt, es eilt nicht, es hat seine Zeit, es desinfiziert (auch garstige Gedanken), heilt meine innerlichen Wunden und wärmt. Es erinnert mich. Es erinnert mich innerlich an vieles, was ich in hektischen Zeiten vergesse. Als ob Opa mir über den Kopf wuschelt und sagt: "Pass besser auf!".
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