Angel's Love 1998

MonsieurTest
19.01.2022 - 14:35 Uhr
34
Top Rezension
9
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
5.5
Duft

Zitrisch und gemü-selig duftet Engels Sperma. Glanz und Elend des Parfumsammelns

Entkorkt man diesen Spitzenflakon begegnet einem ein erstaunlich frisches Zitrus-Opening. Das geht wohl klar Richtung Limette (oder einer leicht mandarinisierten und grapegefruiteten Zitrone), was schon mal prima ist.
Darunter vermutet mein Riechapparat eingangs blumige Mittelsüsse mit fluffigem Moschus. Dann glaubt er nach ca. 30 Minuten, mitten im Herznoten-Land, ein paar schlaffe Küchenkräutlein (Kamille, Thymian….?) sowie zarte Noten von Hipp Karottenbreichen (könnte auch ein Karotten-Kürbis-Birnen Müslein sein…) flüsternd zu vernehmen. Leider wandelt sich der anfangs erstaunlich schöne Limette-Vibe nun in einen diffussen Industrie-Zitrik-Akkord.
Keine Ahnung, ob das alles vor gut 20 Jahren in den mir vorliegenden Mini dergestalt reingefüllt wurde. Es handelt sich bei Angel’s Love um einen bei Parfumo pyramidenlos, gleichsam nacktschneckig glitschig auftretenden & unbesprochenen Duft. Das macht nen Kommentar schwierig, freilich auch frei.

Die Liebe der Engel ist im übrigen nicht ausdauernd. Wer einen Duft für langwierige Dates oder All-Night-Loving-Sessions sucht, der/die/das sollte nicht zu Angel’s Love greifen. Die Abstrahlung verhält sich ebenso moderat. Die Adressaten des Dufts müssen einem damit Bestäubtem schon ordentlich auf die Pelle rücken, um von dieser leichten Erfrischung etwas abzubekommen.

Es ist, was das Engels-Gerede betrifft – trotz Morgensterns Gedicht ‚Scholastikerprobleme‘ –, eine durch Humanisten erfundene (erstmals im Pseudo-Meister Eckhart‘schen Traktat ‚Schwester Katrei‘ im 14. Jahrhundert) in polemischer Absicht erstunkene Falsch-Behauptung, mittelalterliche Scholastiker hätten sich eifrig um die Frage gestritten, wieviele Engel auf einer Nadelspitze Platz fänden.
Als moderner Denker interessiert mich das weniger; als Parfumo-Pionier und Erstbesteiger dieses (zumindest in flakonologischer Hinsicht) Spitzen-Duftes muss uns aber die Frage umtreiben: Wie duften Engel und ihre Sekrete? Davon wollen wir hier Zeugnis ablegen – und von einigen Umständen der Begegnung mit dieser Rarität.

Das Sammeln von Parfums, die Neugier auf stetig andere Düfte führt ab einem gewissen Kipppunkt zu seltsamen Auswüchsen. Interessiert man sich beispiels- und empfehlenswerterweise für spanische Feindüfte älteren Baujahrs, kommt man kaum an den aberwitzig verpackten, riesigen Literflakons (Varon Dandy; Puigs Agua Lavanda; Heno de Pravia der Perfumaía Gal) vorbei.
Beginnt man ausgestorbenen Preziosen des letzten Jahrtausends nachzujagen – und hortet zudem schon Großflakons, welche für die nächsten 3 Generationen wohlbedufteter Nachkommen reichen, so verfällt man irgendwann auf die geniale Idee, Sammlungen alter Miniaturen bei Ebay zu ersteigern. Denn neu gibt es viele Düfte nicht mehr. Als Normalflakons sind sie unauffindbar im Netz – oder unbezahlbar.

Doch finden sich Konvolute von 10 oder 199 Parfum-Miniaturen, deren Sammelei seit den 1970er Jahren offenbar ein verbreitetes Hobby war. Zu diesem ollen Hobby gehörte wohl, die Düfte in ihren niedlichen Flaköngchen nur zu bestaunen, nicht aber zu benutzen. Exakt diese Unsitte bereitet nun das Revier für Parfumos Jagdbegier, für Glanz und Elend der Kleinwildjagd auf Vintage-Trophäen. Jedem sentimentalen Parfumo-Tierchen sein Retro-Pläsirchen…
Allerdings angelt man bei der Kleinwildjagd mit dem Schleppnetz neben begehrten Klassikern natürlich auch Beifang. Abenteuer! Manchmal offenbart sich ein Beifang als feiner und schöner als die anvisierten Edelfische der großen Marken. Zum Jagdglück des Aufspürens selten gewordener Vintage-Schätzchen gesellt sich die Serendipität des Zufallsfangs, der einem ans Herz wächst. Oder der Kuriositäten, die man den Parfumokollegen gern als solche präsentiert.

Und jedes Mal beim Öffnen der eingetroffenen duftigen Liliput-Senioren steht die Kardinalfrage, atemberaubend spannend, im Nasen-Raum: Gekippt, angeknackst oder intakt?? Das Spektrum reicht vom leicht dumpfen Knacks oder Ausfall in der Kopfnote, über zarte Cognac- oder Sherrynoten im Herzbereich bis zum Knallmaggi in Vollfettstufe. So wird die eigne Nase nebenbei zum Spezialisten für Alterungsprozesse von Düften. Meine Zwischenbilanz hierzu lautet: Frischlinge, Aquaten und Düfte mit Zutaten ab Mitte der 1990er (vor allem so Morillas-Wässerchen in CK-One-Richtung) machen eher schlapp als kräftige Chypres, 80er Powerhouses oder kraftvolle Orientmischungen.
(Wäre interessant, wenn mir hier ähnlich veranlagte Jagdgenoss*inn*en die Diagnose bestätigen oder bestreiten könnten. Kein Jägerlatein!).

Zurück zur Engelsanalytik, zum abschließenden ästhetischen (erotischen?) Urteil über Angel’s Love. Der Flakon mit süssem Wölkchen, als spitz zulaufender Kegel (wie viele Engelstropfen gehen auf so ne stumpfe Spitze, fragt man sich doch...) ist eine Augenweide. Doch habe ich Schwierigkeiten mit Rosa, das in Parfumo-Collectionen als Fehlfarbe streng zu meiden ist…
– Ob es wohl Parfumos hier gibt, die mir eine miniaturflakontechnisch ausgewiesene Lackiererei empfehlen könnten, die den Deckel in ein frühlingsfrisches Grün oder ein unendlich elegantes armanihaftes Greige umlackieren könnten?

Bei jedem Genitiv lautet die zentrale, manchmal peinliche Frage: Was biste für einer? Haben wir es bei Angel’s Love mit einem Genitivus objectivus oder subjectivus zu tun? (Den Genitivus partitivus behandeln wir angesichts diese Düftleins von Angelitos noch nicht – der wird später in einem Aufbaumodul zu Teilmengen von Liebesdüften im Vertiefungsstudium traktiert).
Handelt es sich also um den Duft der liebenden Engel (wenn Engel Liebe machen…)? Oder um den Duft der Liebe zu Engeln? Da meine Neigungen&Begierden doch eher humanoide sind, fasse ich dieses Angelitos-Produkt nicht objectivus sondern subjetivus und übersetze: SO duftet die Liebe der Engel. SO dünsten die Engel beim Lieben.

Übrigens gibt es aus dem Hause Angelitos, das sein Schaffen ganz den Ausdünstungen der Fernmelder Gottes widmet (was ‚Engel‘ eben der Wortherkunft nach bedeutet: Für griechisch ángelos (ἄγγελος) ‚Bote, Botschaft‘ wird unter Verweis auf griechisch ángaros (ἄγγαρος) ‚reitender persischer Eilbote‘ orientalischer Ursprung vermutet. Vgl.: https://www.dwds.de/wb/Engel. Wobei unbedingt klargestellt sei, dass dieser Duft KEIN orientalischer ist und auch kein Oud enthält; soviel steht bei allem sonst Zweifelhaften fest!), äh, wo waren wir…genau: es gibt von Angelitos noch 4 weitere Düfte zu Aspekten des Engelsduftens: Der Atem der Engel, Der Atem der Engel nur für Männer, der Atem der Engel Gold und auch in Platin.
Da hierzu noch keine Parfumo-Einträge vorliegen und mir diese engelischen Atemdüfte Angelitos‘ noch nicht ins Netz gegangen sind, bitte ich um Ko-Referate ähnlich veranlagter Parfumos zu diesen Atem-Düften (Atemgold-Fans voran!), die bis auf weiteres als unaufgeklärt – doch unter Flankerverdacht stehend – gelten.

Um den Kennern hier bei Parfumo, die diesen Duft noch nicht unter ihren Nasen hatten, einen Vergleich und die grobe Richtung zu blasen, möchte ich auf das feinzitrische Tweety von Zara verweisen. Angel’s Love könnte die Vintage-Stiefcousine dieses Kinderfrischlings sein. Wobei man sich fragt, ob Zaras Tweety wohl in gut 20 Jahren noch so frisch düfteln mag und in Würde gealtert aus seinem lustigen Flakon hervorkriechen wird. Zudem ist die alte Engelsliebe mit ihrem Limetten-Auftakt erst einen Hauch eleganter; dafür hintenraus einen Tick muffiger.
28 Antworten