Leviathan 2015 Eau de Toilette

Writerhof
11.02.2021 - 08:26 Uhr
6
Hilfreiche Rezension
8
Preis
7
Flakon
9
Sillage
8
Haltbarkeit
7.5
Duft

Homo homini lupus

Freitag acht Uhr morgens, Politikwissenschaftsübung. An dem grauen Herbstmorgen habe ich meine alte Lederjacke übergeworfen, gehe unmotiviert aus dem Haus und mache mich mit der Tram auf den Weg zu einem alten Plattenbau-Unigebäude, das demnächst sowieso abgerissen wird. Der Raum ist nicht zu voll, Freitagmorgen ist nicht gerade die beliebteste Zeit, in die man sich seine Univeranstaltungen legt.

Zum ersten Mal lese ich aus Thomas Hobbes' Leviathan. Es wird nicht das letzte Mal sein. Der englische Staatsphilosoph hatte sich seinerzeit wenige Freunde gemacht. Im Naturzustand sah er den Menschen als „Wolf“ für seine Artgenossen an, der in einem Krieg aller gegen alle gefangen sei. Einziger Ausweg sei deswegen, seine Naturrechte auf einen Souverän zu übertragen, der das Gewaltmonopol habe und diesen Kriegszustand beendete. Auch wenn Hobbes damit als einer der Haupttheoretiker des Absolutismus gelten mag, trat er damit Monarchisten wie Liberalen zugleich auf die Füße. Letzteren recht offensichtlich, weil sie Abwehrrechte gegenüber einem zu allmächtigen Staat wollten. Ersteren gerade deshalb, weil Hobbes offenließ, wer das Gewaltmonopol innehaben sollte – es konnte ein König genauso wie jeder andere Autokrat sein.

Zurück aus dem 17. Jahrhundert ins Ostdeutschland des 21. Jahrhunderts wabert der Duft von schwarzem, gesüßtem Kaffee durch den Raum. Irgendwas braucht man ja, um sich zu einer solchen Un(i)zeit wach zu halten oder das Bierchen zu viel vom letzten Abend auszumerzen. Langsam wird der Kaffee kälter, aber trotzdem klammern sich alle an ihre Becher – gefüllt mit kalt gewordenem Kaffee, immer bitterer und rauchiger werdend.

Die Ausdünstungen der Holzmöbel im Seminarraum nimmt man nur noch leicht wahr. Zu lange tut das alte DDR-Mobiliar inzwischen seinen Dienst und ist abgesessen, aber gleichwohl damit unerwartet gemütlich.

Jetzt sind absolutistische Systeme weder in der praktischen Politik noch in der Politikwissenschaft heutzutage der „heiße Scheiß“. Trotzdem hat Hobbes nicht an Aktualität verloren. Seine Beschreibung des Krieges aller gegen alle ist bis heute eine der vorherrschenden Beschreibungen des Zustandes zwischen Staaten, zwischen denen es ja keine Zentralgewalt gibt, die effektiv ein Machtmonopol wahrnehmen könnte. Davon geprägt ist die durch und durch pessimistische Theorie des Neorealismus, der die Beziehungen zwischen Staaten vor allem in Kategorien von Macht und militärischer Gewalt beschreibt.

„Macht“ haben sich schlussendlich aber Freitagmorgens wohl die meisten gegen Ende des Seminars gedacht: „Macht endlich Schluss!“ Gegen zehn sind alle wieder frei und können nach draußen, in den Krieg aller gegen alle, freigelassen werden. Zähnefletschend (oder mag es doch gähnend sein) bewegen sich alle Richtung Tramhaltestelle und dann wieder nach Hause, um sich fürs Wochenende vorzubereiten. Erst dort, zu Hause, kommt wahrscheinlich die Moschusnote von „Leviathan“ durch. Diesen Duft werden die meisten dabei im Club aber wohl eher nicht aufgelegt haben, so wie ich mich an die Duftvorlieben der späten Nullerjahre zurückerinnere. In der schummerigen, alternativen Studikneipe, in der eine unbekannte Band viel zu laut spielt, könnte dieser schwere Duft aber durchaus seinen Charme ausspielen. Die Melange aus überbordendem, würzigen Kaffee, mit etwas Leder und einigen Holznoten, strahlt eine gewisse Wärme aus, wie man sie in einer solchen vollgestopften Kneipe finden konnte. Er bildet durchaus einen interessanten Gegenpol zum Patchouli, das man dort öfter riechen wird – nicht im Sinne eines Gegensatzes, sondern eher als Komplement dazu.
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