Brigida
30.01.2020 - 07:24 Uhr
18
Sehr hilfreiche Rezension
8
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
8.5
Duft

Grün, mattsilbergrau

Ein weiteres Jahr geht dem Ende entgegen. Auf ihrem Schreibtisch liegen Weihnachtskarten, die zu schreiben sie sich wieder einmal vorgenommen und nicht eingehalten hat; in der Not könnte sie eMails schreiben, das ginge vielleicht - die übliche Whatsapp-Nachricht an „Ihn“ liegt noch vom letzten Jahr im Ausgangsordner. Das unsmarte kleine Handy ist den Akkutod gestorben und wurde durch ein fast ebenso kleines Smartphone ersetzt. Ein paar Mal hatten sie telefoniert oder Nachrichten per Messenger ausgetauscht. Er schickte Bilder aus dem Urlaub; immer im Freien, am Wasser, aus dem Strandcafé, einen riesigen Eisbecher vor sich, in dem Ananas-, Mandarinen- und Melonenstücke leuchteten; vom Après Ski; aus seinem neuen Garten. Manchmal bat er sie um Rat bei Dingen, die er niemand Anderes fragen mochte. Ihr vertraute er sich an und sie riet ihm zu oder ab, so wie sie ihm damals zugeraten hatte, fortzuziehen und sein altes Leben - und damit auch sie - hinter sich zu lassen. Gelegentlich verschwand sein Avatar, um nach einer Weile durch ein neues Bild ersetzt zu werden.
Sie hatte ihre kleinen Rituale beibehalten, die Geburtstagsgrüße im April - manchmal, nicht immer, meldete er sich danach - und die in seine Muttersprache übersetzten Grüße zu Weihnachten mit den guten Wünschen für das Neue Jahr - nur selten hatte er darauf geantwortet. Seine neue Adresse kannte sie nicht, die Telefonnummer war ihre letzte Verbindung zu ihm.

Die Weihnachtsgrüße waren unbeantwortet geblieben, das Profilbild leer. Sie hatte lange nichts von ihm gehört, seit März nicht. Der unbebilderte Avatar irritiert sie plötzlich; sie kannten einander fast 10 Jahre und sie hatte sich an ihre fluktuierende Beziehung, seine Existenz im Hintergrund gewöhnt. Seine Adressen hatte er ihr nie verraten, doch er hat er einen Schnitzer gemacht, einmal ist ihm im letzten Jahr eine Unachtsamkeit unterlaufen. Sie wischt durch Fotodateien, richtig, da ist es noch - ein Foto, ein Kennzeichen und damit... ein Ort. Ein anderer als der, den er genannt hatte, als er wegzog, sie hätte es wissen können. Sie kannte es und war doch jedes Mal enttäuscht gewesen, wie wenig er ihr in dieser Hinsicht vertraute.

Ein paar Suchbegriffe auf der flachen, kühlen mattsilbergrauen Tastatur, eine Landschaft auf dem Bildschirm... ah, das passte, viel Grün, außerhalb der nahegelegenen Stadt. Ein Waldgebiet mit einer Lichtung, eine schmale Straße, ein kleiner Schotterparkplatz, Rasen, eine Hütte. Sie zoomt das Satellitenbild heran wie Agent K in „Men in Black“, der aus der Ferne seine Frau betrachtet. Die Auflösung ist nicht perfekt, dazu ist die Gegend zu ländlich - doch, das konnte tatsächlich sein Auto sein... Sie lacht leise. „Hab ich dich!“ Fast kann sie das Grün riechen, sich vorstellen, wie es dort aussieht, sie hat noch seine Bilder, wie er sein neues Eden mit eigener Hand zimmert. Ein kleiner Teich, mit weissen Steinen umrandet, eine Seerose schwimmt darauf. Daneben ein Zedernholztischchen mit einer hellen hölzernen Obstschale, einem Krug Fruchtsaft und Gläsern. Nein, jetzt geht ihre Phantasie mit ihr durch, koffeinhaltige Brause war sein Getränk der Wahl, eiskalt, Zucker schreckte ihn nicht. Ein Bach glitzert aus dem Schatten hervor. Pflanzensäfte, grün, herb, Kräuteriges, Holunder, Hölzer, erdiges Patchouli; Blüten, die sich um keine Jahreszeit und keinen Breitengrad zu scheren scheinen, pudrig duftende Mimose, Maiglöckchen, Rose, Jasmin, schwere Tuberose.
Ein Zeitungsartikel aus dem letzten Jahr mit einem Foto, ganz typisch das leicht verwegene Lächeln, er musste die Reporterin becirct haben, über das kleine Paradies zu schreiben. Dort so offenherzig, bei ihr so verschwiegen... Die junge Frau neben ihm trägt seinen Nachnamen.

Sie ist hin und her gerissen, ein bißchen traurig, sie hätte gerne von ihm selbst erfahren, dass er wieder geheiratet hat. „Du bist doch meine Freundin“ hatte er gesagt, wenn er sie um Rat fragte, sie getröstet hatte, als vermeintliche Freunde sie fallen ließen. Vergangenheit. Sie denkt lange nach, über die kleinen Ausflüge, die sie unternommen hatten, seine wohlerzogene Höflichkeit, sein Temperament, das aufblitzte, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte. Sie waren so gegensätzlich, sie, die sich scherzhaft „Treibhauspflanze“ nannte und er; es wäre, selbst unter den bestmöglichen Umständen, nie gutgegangen. „Hätte ich dich nur früher kennengelernt“ hatte er oft gesagt. „Im nächsten Leben vielleicht...“ denkt sie. „Das wäre interessant.“ Vielleicht sogar Kinder... er würde sie so hemmungslos fordern wie verwöhnen. Dieses „Eden“, das sie gerade von ferne sieht hat keine Schlange und wenn doch, dann ist es nicht sie. Sie könnte einen Brief an diese Adresse schreiben, ihm Grüße senden, doch sie wird es nie tun. Sie weiss, dass er es gut getroffen hat und dass es ihm gut geht. Sie kann ihn in Gedanken gehen lassen. Die Erinnerungen bleiben und ein Hauch von „Fahrenheit“, der sich unter „Eden“ zu mischen scheint, dessen Duft von dem Papierstreifen vor ihr aufsteigt.

Eden hält sich seit einem Vierteljahrhundert am Markt, selbst wenn eine seitdem wildgewordene Parfümindustrie ihn mit seinen Kolleginnen Loulou, Noa, Anaïs Anaïs und Amor in die Bückzone verbannt hat. Er hat etliche post-Y2K-Neuschöpfungen von Cacharel ausgestochen, deren Produktion wieder eingestellt wurde. Ihm ist auch nicht die Schmach widerfahren, von rosafarbenen Flankern abgelöst zu werden, zusammen mit einer etwas veränderten Loulou behauptet er sich als Solitär, auch wenn mir gerade etwas bange um ihn wird. Was hat es zu bedeuten, dass gerade vier Flakons mit der niedrigeren Chargennummer gekauft wurden und dafür jemand im „Galeria“ in die Knie gegangen sein muss...

Die Aufmachung wirkt auf den ersten Blick unverändert, im Vergleich ist die Kartonage einen Hauch stärker kontrastiert, zusätzlich steht „London“ neben „Paris“, „New York“ und „Montreal“ auf der Unterseite der neuen Packung. Eine Reformulierung obendrein?
Einen Vintage habe ich leider nicht, vermutlich ist der Duft in früheren Reformulierungen geglättet worden, die leicht herbe, krautige Note, die Viele beim Riechen am Flakon - Nicht in die Nase stecken, bitte! - zurückprallen lässt, hat er behalten. Ein Spröder, der sich nicht mit Jedem einlassen mag. In der Welle der gerade modischen zuckersüßen Düfte verbannt ihn das gnadenlos in die „Iiiih, Oma“-Riege, was er mit einem abgeklärten Nicken abtut, ohne Resignation, er weiß, dass er eben anders ist und dennoch seine Anhänger hat, die ihn kaufen werden, solange er nicht ganz entstellt wird, ohne sich darum zu scheren, wenn jemand ihn naserümpfend „Blumenwasser“ nennt. Der opake lindgrüne Flakon ist unverändert, möglicherweise etwas schlechter verarbeitet, verloren ging auf dem Weg durch 2 1/2 Jahrzehnte, was früher zu Düften gehörte: Seifen, Duschbäder, duftende Cremes, Nickytücher und andere Werbeartikel - sie sind, zu phantastophelischen Preisen, im temporären Museum namens „eBay“ anzuschauen.

PS: Was sich der Kaufhauskonzern mit den Ks und dieverse Seiten im Netz dabei denken, als Pyramide "Kopfnote Maiglöckchen, Hyazinthe, Melone, Freesie. Herznote Ylang-Ylang, Pfingstrose, Pfirsich, Jasmin, Rose. Basisnote Zedernholz, Moschus, Veilchen" aufzulisten, ist mir ein Rätsel.
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