Signature for Her 2023

Sniffsniff
11.10.2023 - 17:18 Uhr
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Hilfreiche Rezension

Orient. Ambivalent.

Vor Kurzem stach mir auf der Parfumo-Startseite der Redaktionstext für die neue Carlo Colucci Signature-Reihe ins Auge. Zugegeben, das Flakon-Design sprach mich an, der Duftnotencheck ebenfalls. Carlo Colucci - irgendwo in meinem Hinterkopf kämpfen sich verschwommene Bilder aus den späten 90ern ans Tageslicht. Deutschunterricht, 10. Klasse. Herr R. bittet einzeln nach vorne, um die Klausurergebnisse zu verkünden. Er trägt gerne Wollpullover in gedeckten Erdtönen. Ich setze mich neben Herrn R. und entdecke ein kleines Label auf seiner Brust. Carlo Colucci. Mein pubertäres Bratzenhirn liest und macht sogleich aus Colucci "Polutschi". Während ich mich noch frage, ob Carlo Polutschi der außereheliche Bruder von Bruno Banani ist, bahnt sich ein Lachkrampf seinen Weg und will erst wieder enden, nachdem der sichtlich genervte Herr R. mir eine Dosis Frischluft vor der Tür verordnet hat.
Dieser Ausfall war mir in der Folgezeit sehr, sehr peinlich, denn Herr R. war ein ganz wunderbarer Mensch und Lehrer und es wäre mir niemals in den Sinn gekommen, seine Gutmütigkeit auszunutzen oder ihn in irgendeiner Form böswillig bloßzustellen.
Dass es die Marke noch gibt, hat mir beim Stöbern auf dieser Seite ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, denn ich denke heute gerne an meine Schulzeit und an Herrn R., der mich von der 7. Klasse bis in die mündliche Abiprüfung begleitete, zurück.
Und so wurde der Wunsch, den Duft zu testen, zu einer Herzensangelegenheit. Die guten alten Zeiten ...

Ich konnte also, trotz mangelndem Tester, nicht umhin, ihn zu erwerben, als er da plötzlich in seiner ganzen Pracht vor mir im dörflichen Rossi-Regal stand. Die Präsentation ist wirklich erste Sahne mit Kirsche. Da war dann auch das selbst auferlegte Blindkaufverbot schnell vergessen. Und immerhin konnte der Duft bereits auf 8.0 Parfumopunkte verweisen ... samt drei Statements, die sich nicht besonders abgeneigt zeigen. Wie Black Opium in orientalischer. Hey, warum nicht? Ich mag Black Opium, fand ihn aber immer etwas zu zahm.

Ich will gleich mit der Tür ins Haus fallen. Blumen, Black Opium? Hömma! Das ist ein 200-Dezibel-Gewürzkracher mit Oudrauschen! Zuckerwatte? Wo? Und wie riecht Zuckerwatte überhaupt? Ich rieche eine Wagenladung Zimt, mehrere Schaufeln anderer Gewürze, für deren Einordnung mir das Näschen fehlt, sehr viel Holz und die Sorte Moschus, die mich gemahnt, dass allzu intensive körperliche Betätigung im Polyesterleibchen olfaktorisch selten folgenlos bleibt. Also kein Saubermoschus, sondern eher die metallisch-animalische Variante. Auf meinem Pullover empfinde ich den Duft als spannend und sehr unerwartet. Gleichermaßen süß wie herb. Definitiv orientalisch. Und gaaanz weit weg vom aktuellen Damen-Mainstream. Viel mehr Wüste als Blumenmeer. Allenfalls die Rose kann ich mit viel gutem Willen und dem Wissen, dass sie in der Pyramide aufgeführt wird, erahnen. Früchte? Vielleicht ein homöopathischer Anklang. Gefällt mir gar nicht so schlecht. Irgendwie fällt er aus der Zeit, blind hätte ich ihn wohl eher um die Jahrtausendwende verortet. Allerdings ist da auch dieser Oud-Hauch, der ihn dann doch wieder ins Hier und Jetzt zurückholt. Wäre wohl grundsätzlich auch am Mann einen Versuch wert. Aber auf meiner Haut entwickelt sich der Duft leider absolut katastrophal. Künstliches Moschus-Schweiß-Holz. Klamotte hui, Haut pfui. Aber für meine Hautchemie kann ich Herrn Colucci ja keinen Vorwurf machen ...
Die Haltbarkeit ist beachtlich und Carlo silliert auch entsprechend potent umher.
Ob ich ihn behalten werde? Ich weiß es noch nicht, ich finde ihn wirklich ungewöhnlich und nicht reizlos - zumal ich ihn ja für 'ne schmale Mark in der Drogerie und nicht für teures Geld in meinem Lieblings-Nischenladen erworben habe. Sympathisch ist mir der Duft bereits durch die Tatsache, dass er sich durch seine Ecken und Kanten deutlich vom rundgelutschten Zeitgeist-Mainstream abhebt und einen klaren Wiedererkennungswert besitzt. Ich brauche wohl noch ein wenig Gewöhnungszeit, um zu wissen, in welche Richtung sich die derzeitige Ambivalenz entwickeln wird.
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