Carolina Herrera 1988 Eau de Parfum

Version von 1988
Süsskind
17.10.2018 - 17:20 Uhr
13
Top Rezension
6
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
8
Duft

Opulente Überraschung

Neulich kam ich von der Arbeit heim, da stand auf dem Küchentisch ein weißer Karton mit goldenen Punkten und der schlichten Aufschrift "Carolina Herrera, New York, Eau de Parfum". Mein Mann, der seit knapp zwei Jahrzehnten ausschließlich Herreras 212 trägt, das ihm auch vortrefflich steht, hatte es für mich bestellt; einfach so, als Überraschung, ohne es selbst zu kennen. Er fragt mich normalerweise immer, was ich so auf der Wunschliste habe, aber weil er sich dachte, aus dem Hause Herrera kann gar nix Verkehrtes kommen, hat er dieses Mal einfach einen Blindflug unternommen. Ich muss sagen, ich hatte den Duft zuvor gar nicht auf dem Radar - manchmal dreht man sich dufttechnisch ja nur mehr um die Lieblingsschauplätze, auch wenn man damit Gefahr läuft, nur mehr auf Düfte neugierig zu sein, die man gut einschätzen kann. Aber du lieber Himmel, man sollte sich viel öfter einmal überraschen lassen!

Was einem aus dem schlicht-eleganten Flakon entgegenfliegt, ist unerhört schön. Wir haben es hier mit einem bombastischen Blumenstrauß zu tun, der in allen Farben schimmert - Orangenblüte, frisches Grün, Maiglöckchen, Narzisse, Jasmin, Hyazinthe, Ylang Ylang, Aprikose, und oh mein Gott... Tuberose. Dieses Duftwunder, schwer und warm, süß und sinnlich, die Königin höchstselbst; die Herrin der Nacht, wie sie in Indien auch genannt wird. Das alles dezent orchestriert von Moschus, Ambra, Vetiver, Zeder, Rosenholz und Eichenmoos, um einen zumindest ansatzweise wieder ein bisschen zu erden, denn eins ist klar: dieser Duft zieht einem den Boden unter den Füßen weg, aber man fällt dabei nicht auf die Nase, sondern stellt fest, dass man fliegen kann.

Der Auftakt ist ein sagenhaft reiner, opulenter Ton, wie von einem großen Chor, der einstimmig einmal das Thema durchsingt. Erst nach dieser Eröffnung gliedern sich die einzelnen Stimmen auf und singen in perfekter Harmonie weiter; ein volltönender Bass, ein fein austarierter Tenor, ein zuverlässiger Alt - und über dem allen, tonangebend und ergreifend, der Sopran, dem alle anderen folgen, um die Basis zu bilden für seine raffinierten Höhenflüge. Wir haben es hier mit einer berauschenden, süßen Musik zu tun, mit Grandezza, großem Orchester und einem goldverzierten Musikvereinssaal. Wenn Carolina Herreras Duft Musik wäre, dann wäre er eine Oper, mindestens von Verdi, und mindestens mit der Callas in der weiblichen Hauptrolle. Sicher nichts für jeden Tag, aber wenn man sich ihm hingibt, ist er ein sinnliches, verzauberndes Erlebnis.

Die Haltbarkeit ist wahrlich beachtlich: mit einem vorsichtigen Sprühstoß komme ich durch den Tag und kann den Duft abends immer noch an mir wahrnehmen. Er ist übrigens, wenn man ihn sparsam dosiert, tatsächlich nicht nur alltagstauglich, sondern sogar ein wunderbarer, eleganter und charmanter Begleiter für alle Lebenslagen. Bei der Dosierung sollte man allerdings äußerst behutsam vorgehen. Ich denke, dieser Duft schlägt überdimensional schnell um in infernalischen Gestank, wenn man es damit übertreibt; daher gehört er nicht in unbekümmerte Kinderhände, sondern will von einer erwachsenen Persönlichkeit getragen werden, die genau weiß, dass weniger manchmal tatsächlich mehr ist.

Mich wundert übrigens, dass ich über diesen Duft hier nur so wenig finden kann. Wer ihn noch nicht kennt und sich zu blumigen, femininen Düften hingezogen fühlt, sollte ihn unbedingt ausprobieren. Und meinem Mann bin ich dankbar, dass er ihn mir gezeigt hat.
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