Eau de Caron 1980

Axiomatic
14.04.2024 - 06:55 Uhr
35
Top Rezension
6
Preis
6
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft

Trügerisches Wasser

Das vorliegende Wasser ist wie eine Gratwanderung entlang der weiblichen und männlichen Geruchsgewohnheiten vergangener Jahrzehnte.
Trügerisch in der Aussage, was dieses Chypre sein möchte, bis es sich angeblich endgültig wandelt.
Und hier liegt auch die Gefahr des Duftes.
Denn nichts ist so wie es scheint.

Zisch!

Was soll ich sagen?
1980 konnte Caron grandios die Tradition des Hauses bewahren und mit herrlichen Hesperiden begrüßen.
Und diese sind zahlreich auszumachen, hier stimmt die Angabe der Duftpyramide.
Als da wären:
Sehr konzentrierte Bergamotte, helle Zitrone und eine wunderbar fruchtige Mandarine.
Sie alle werden nach Art des Hauses mit spielerischen Aldehyden in die Lüfte gehoben, während sie Schatten auf die ziemlich herben grünen Kräuter werfen.

Der Basilikum erinnert mich an so manch schöne Herrenerfrischung und wird durch den Muskatellersalbei noch markanter.

Leise pocht die süßlich harzige Basis wie ein stilles Herz, welches auf die Entwicklung hinweisen möchte.
Doch niemand hört auf die Warnung.
Typisch, man lässt sich von der Dramatik Pariser Eleganz blenden.
Ah, der Laufsteg der Schönen!

Eine blumige Gaze an Blüten, gleich dem Musselin bei den Vorentwürfen eines Kleids in der Haute Couture, drapiert die anfänglichen Kräutern, ohne viel verändern zu wollen.
Als wären die Blumen noch in der Stufe der Ideen verhaftet.

Und genau an dieser Stelle macht sich ein Akkord bemerkbar, welcher 1980 bei Dior für Furore sorgen sollte:
Gartennelke, Jasmin und Zeder zusammen mit dem Basilikum.
Jules stolziert selbstsicher durchs Bild, der eitle Gockel.
Hier allerdings muss der Lude aber etwas von seinem Getöse einbüßen und sich durch sanftere Blüten bändigen lassen.
Doch noch bezirzt er verführerisch gaunerhaft mit einem sehr mediterranen Thymian, Killergrinsen inklusive.
Die Wärme an dieser Stelle des Duftverlaufs ist kongenial, hier pocht die reine Fleischeslust!
Man möchte geradezu flehen: Augenblick, so verweile doch!
Der kleine Tod halt…
Pardon, ich drifte ab.
Unverbesserlich!

Leider hat aber unser Julchen die Rechnung ohne die Blüten gemacht.
Und so überdecken sie immer mehr den Macker. Er erfährt von den Schneiderinnen des hohen Hauses edler Schnitte einen Crash Kurs in Drapage à la Toile.
Monsieur übt sich in Manierismen.

Dass manche Orchideen riechen, machte sich Gerard Lefort zu Nutze.
Rosig vanillig duftet diese seltene Blüte in ihrer Beschaffenheit und er überlässt ihr nachsichtig das Steuer im Duftverlauf.
Es geht in Richtung ledrige Harze.

Und ehe wir uns versehen, haben wir das Marais-Viertel in Paris verlassen und sind nun in irgendeiner der feinen Boutiquen der Avenue Montaigne.

Die edle Basis des Duftes duftet exquisit bien comme il faut.
Ein paar Pinselstriche Eichenmoos, eine Schattierung vanilliger Harze hier, ein Hauch kosmopolitisches Patchouli da.
Dazu noch hochwertiges Leder, sanft und geschmeidig.
Die Ambra schafft hier die „je ne sais quoi Geste“ und rundet entzückend betörend ab.
Die feine Dame kann sich sehen lassen, Kostüm, Canotier und Kellytasche sitzen wie angegossen.
Jetzt auf zum obligatorischen Sehen und Gesehen Werden im Café Flore auf der anderen Seite der Seine. Husch husch!

Aber, aber, die Gefahr des Duftes macht sich erst jetzt bemerkbar.

Denn so eindeutig ist die Basis nicht, genau so wenig wie der vorherige Verlauf.
Da schwingt doch etwas herb Burschikoses mit bei den lieblichen Harzen.

Gut, ganz so deftig ist es nicht.
Etwas vom Thymian wird Madame dennoch in den Kopf steigen und sie resoluter stimmen.

Wer aber hier unsere genervte, am Taxistand der Avenue Montaigne stehende Schönheit im melodramatischen Kontrollverlust erwarten würde, wird leider enttäuscht werden.
Also, ich meine, sie wird sich nicht gerade deftig räuspern und auf die Straße spucken, weil kein Taxi in Sicht ist.
Und sollte ihr jemand das Fortbewegungsmittel vor der Nase weg schnappen, wird sie mit Sicherheit nicht den inneren Bauarbeiter raushängen lassen.
Sätze wie:
„Va te faire BIEB! Sale fils de BIEB!“
werden ihr nicht leicht über die adrett geschminkten Lippen gehen.

So ein:
„Espèce d´imbécile!“
wäre allerdings schon drin.
Ich meine, es ist menschlich.
Passiert jedem und kommt auch in den besten Familien vor.

Tja, wie sähe es denn beim Julchen aus?
Hier wird es dank der Blumen und Harze brenzliger, geradezu gefährlich.

Er, der König des Trou d´Enfer in der dunkelsten und berüchtigtsten Gasse des Marais, wäre nach ein paar Sprüher vielleicht versucht, sich im Kreise seiner Macker folgenden Fauxpas zu leisten.

„Écoute mon vieux, pas des clopes ce soir!
Ich bestelle mir heute eine dieser reizenden Religieuses zum Café Crème. Oder doch lieber die vortrefflichen Macarons à la double Framboise Virginie?“

Gut, gut, Julchen wird sich da noch etwas erklären müssen bei seinen Halbseidigen, wenn er wieder hochgepäppelt und aus der Narkose geweckt wird.
Ich meine, in der Notaufnahme werden sicherlich die Herzen jener Halunken erweichen, wenn sie ihr Oeuvre im grellen Lichte näher betrachten, die Prellwunden ihres Anführers an herrlich sanften Harzen.

Und wer weiß?
Vielleicht wirkt ja dieses Wässerchen von Caron zivilisierend?

Wie heißt es so schön, Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
Auch in der Stadt der Liebe.
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