Crown Collection

Town & Country 2023

Nordique
02.04.2023 - 04:08 Uhr
8
Hilfreiche Rezension
9
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
7
Duft

Aristokratische Duftidentitätskrise, oder: Im Palast riecht‘s!

Im Laufe der letzten Jahre schickte sich der schottische Möbel- und Küchendesigner Clive Christian an, einem ganz besonderen Teil seines Dufterbes durch Neuinterpretationen glorreicher Klassiker vergangener Tage zu huldigen: Die „Crown Collection“ ward geboren!

Äh, moment mal - Küchendesigner, Dufterbe … klingt irgendwie seltsam, passt nicht so recht. Dabei habe ich den Text nicht mal von einer KI „schreiben“ lassen …
Ah, klar - beinahe vergessen! In den 1990er Jahren übernahm unser schottischer Bespokemöbelexperte die mittlerweile etwas in die Jahre gekommene „The Crown Perfumery“, welche im ausgehenden 19. Jahrhundert wohl tatsächlich dafür gesorgt hat, dass die Queen Victoria und ihre Gang immer feinst beduftet wurden. (Kritischer Parfumo aus dem Off: Und ich dachte immer, das wäre William Penhaligons Job gewesen - potzblitz, wie verwirrend … Blaublüter, ts!)

Wie dem auch sei - Klassiker wie „Crab Apple Blossom“ oder eben nun auch „Town & Country“ sollten in neuem Gewand erstrahlen und ein wenig des olfaktorischen Glanzes vergangener Tage in die Gegenwart transportieren. Und als wäre der Geschichtsträchtigkeit hier noch nicht Genüge getan, so war es im Falle des hier nun vorliegenden Releases angeblich niemand geringeres als Sir Winston mit Melone und Zigarre, der diesen Duft in seiner ursprünglichen Form regelmäßig trug (Kritischer Parfumo aus dem Off: Und ich dachte immer, für die Churchill-Posse wäre das „Blenheim Bouquet“ entworfen worden … hä?! War Mr. Winston etwa der allererste Parfümverrückte dieser Erde?! Mit gleich mehreren Signaturdüften?!).

Was bietet uns diese zeitgemäße Neuinterpretation denn nun überhaupt rein olfaktorisch?
Soviel dufthistorisches vorweg: Ich möchte stark bezweifeln, dass Mr. Winston etwas trug, dass auch nur annähernd mit dieser Neuinterpretation „seines“ Klassikers d‘accord gehen würde.
Zum Auftakt wartet eine aromatische Kombination auf, dominiert von recht prominentem Wacholder - etwas scharfen Vetiver vermag ich ebenso zu vernehmen, in seiner Gesamtheit doch durchaus reminiszent eines „Terre d‘Hermès“-Vibes, Abstufungen hin zur synthetisch-filligranen Umzäunung eines „Bal d‘Afrique“ und Co. Das Ganze wird getragen von einer guten Portion Synthie-Hölzern (den Begriff habe ich hier irgendwo mal aufgeschnappt - finde ich total klasse, und trifft den sprichwörtlichen Nagel hier voll auf den Kopf!).
Alsbald kommt ein Grundgerüst zum Vorschein, welches ich am ehesten als Unterbau moderner fougèreartiger Herrenzeitgeistler identifizieren würde: Salbei, angesüßter Lavendel - olfaktorische Wärme vermittelnd, dabei jedoch stets frisch geduscht wirkend.
An sich finde ich das ganz und gar nicht unangenehm - und es hätte so schön sein können, doch der Duft stellt sich von vornherein selbst ein (Nasen-)Bein: Das Ganze ist so dermaßen überzogen, laut und brachial inszeniert, dass es alsbald einfach unangenehm daherkommt.
Den ersten Test führte ich vor rund drei Tagen durch - zwei Sprüher aus einer Probenphiole auf ein Stück Papier im Gästezimmer. Endergebnis: Die gesamte Wohnung (inklusive Treppenhaus/Hausflur!) riecht bis heute recht gut wahrnehmbar nach oben beschriebener Kombination.
Ich kann mir schlichtweg einfach nicht vorstellen, wie man so eine „Keule“ freiwillig zu tragen vermag. Und auch die Herzdame ist ob dieser Penetranz alles andere als amused. Mit Stil - British charm/elegance/understatement - hat das Ganze meines Erachtens leider nichts (mehr) zu tun.

Es wirkt tatsächlich ein wenig so, als hätten die friendly folks at Clive Christian nach etlichen Jahren mittlerweile mitbekommen, dass ihre - bisher ja durchaus mit recht klassischem Anspruch versehenen - Kreationen durch online-pop-up Uhrenverkäufer und ältere Herren mit Schuhfetisch (Disclaimer: Ich trage auch gerne Schuhe - ist einfach bequem!) aus good ol‘ Germany einem breiteren Publikum schmackhaft gemacht werden, letztere dem Anschein nach hauptsächlich auf olfaktorische Potenz und Präsenz zu setzen scheinen und die Briten mit ihrer neuesten Kreation versuchen, diesem Kriterium für die entsprechende Käuferschicht zu entsprechen - ohne dabei jedoch ihren gewohnt eher retroesquen Stil zu verlassen. Das will hier so jedoch leider nicht recht funktionieren.
Das ist dahingehend schade, da ich sowohl mit einigen Clive Christian-Kreationen der jüngeren Vergangenheit durchaus etwas anfangen kann, als auch dahingehend, dass ich das olfaktorische Grundgerüst des neubelebten „Town & Country“ keinesfalls misslungen finde. Er ist in seiner doch eher synthetisch anmutenden Brachialität jedoch ins durchaus penetrant-nervige „verkomponiert“ wurden … what a pity that is!

Interessanterweise fühlte ich mich in dieser Tragik sofort an very British Penhaligon‘s Release vom „Sports Car Club“ letztes Jahr erinnert: Ein ebenso durchaus ansprechendes olfaktorisches Grundgerüst, in seiner Präsenz jedoch auch völlig überzeichnet und daher eher penetrant denn angenehm.
Irgendwie scheinen bei den Hoflieferanten die Regler auf distortion zu stehen …
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