Nordique

Nordique

Rezensionen
1 - 5 von 10
Zeitreisende Duftinfluenceronkel, oder: Warum es sich lohnt, sich nicht nur auf‘s Schwarmwissen zu verlassen
Düfte haben die Kraft, die schönsten Erinnerungen im Leben wieder aufleben zu lassen. So oder so ähnlich wird diese Aussage hier auf dieser wunderbaren Plattform seit geraumer Zeit immer mal wieder zitiert. Irgendjemand Kluges wird da auch der Urheber sein, ist mir jedoch gerade entfallen, wer genau. Jean-Paul Guerlain, Gaultier, Sartre, Grenouille oder doch Peer Steinbrück - alles möglich, jedoch auch völlig nebensächlich. Was zählt, ist die Message. Und die trifft‘s doch - immer wieder und wieder.

So verfasste ich vor geraumer Zeit - muss jetzt schon etliche Jahre her sein - einen Forumsbeitrag in der Duftberatung, verzweifelt auf der Suche nach Hilfe bei der Bestimmung einer olfaktorischen Erinnerung aus meiner frühen Kindheit, so um das Jahr 1997 herum.
Damals waren wir mit der gesamten Familie über Ostern an der portugiesischen Algarve. Und während meine visuellen Erinnerungen an diese tolle Zeit langsam aber sicher über die Jahre verblassten, blieb mir der olfaktorische Eindruck des wundervollen, himmlischen, warm-frisch-seifig-würzigen After Shaves/Eau de Toilettes meines Lieblingsonkels über die Jahrzehnte messerscharf im Geruchsgedächtnis. Dieser waberte jeden Morgen durch das lichtdurchflutete Ferienhaus und sorgte bereits damals für ein unbeschreiblich wohliges Gefühl bei mir. So sehr, dass ich in meiner Parfumo-Anfangsphase (ca. 2017) alles versuchte, um diesen Duft zu identifizieren.
Wie bereits erwähnt: Forum bemüht, die komplette Datenbank nach dem populären Herrenmainstream der damaligen Zeit durchforstet, Proben/Flakons bestellt, getestet, getestet, getestet - und immer wieder enttäuscht worden.
Zu allem Überfluss weiß auch mein - noch immer stets gut riechender! - lieber Herr Onkel beim besten Willen nicht mehr, was er damals verwendete.
Ich resignierte irgendwann, erklärte die Suche für gescheitert.

Fast forward Frühjahr 2025.
Nach mittlerweile acht Jahren aktiver Parfumozeit und über 1300 getesteten Duftwässerchen habe ich einige Lehren ziehen können, was dieses wunderbare Hobby anbelangt. Eine davon hat sich in gleich doppelter Hinsicht als besonders wertvoll herausgestellt: Einfach mal in der Drogerie ins unterste Duftregalbrett greifen und schnuppern, was einen so erwartet - ganz ohne Voreingenommenheit durch potenzielle Online-Bewertungen dieser Kandidaten. Das spart - bei diesem zweifelsohne auch gerne mal finanziell intensiver werdenden Hobby - einerseits viel Geld und hält darüber hinaus die eine oder andere unverhoffte Duftüberraschung bereit.
Auf diesem Wege habe ich über die vergangenen Jahre eine ganze Reihe an nominellen olfaktorischen „Billigheimern“ kennenlernen dürfen, welche meinen persönlichen Duftgeschmack häufig besser treffen konnten, als es bisher jede noch so gut sortierte Nischenparfümerie zuvor vermochte. Vielleicht habe ich aber auch einfach keinen besonders fein kuratierten Duftgeschmack - kann natürlich auch sein.

Wie dem auch sei.
Beim vergangenen Drogeriebesuch war dann dieser Davidoff‘sche Mittelklasseduft meine zufällige Wahl zum Test. Und nach so viel erzählerischem Vorgeplänkel können wir uns nun sicherlich denken, was mir da in Sekundenbruchteilen ins olfaktorische Langzeitgedächtnis schoss: Kann‘s denn sein?! DAS ist ER!! Jahrzehnte der Ungewissheit sind vorbei - mein Onkel trug Davidoffs geruchstechnisches Midlife-Crisis-Abenteuer!!

Handy raus, Parfumo konsultieren.
Aha, Obi-Wan Kenobi mit weißem Schaltuch.
Nach duftinflationärem Bewertungsmaßstab ziemlich miese Ratings.
Sesam?! Okay.
Erschienen 2008, hm.
Antoine Lie, wohlbekannt.

Moment mal … erschienen 2008?!
Mir war schon immer bewusst, dass mein Onkel viele besondere Fähigkeiten besitzt - aber in der Zeit reisen gehörte bisher eigentlich nicht dazu!

Letztendlich ist es also absolut unmöglich, dass es sich Ende der 90er bereits um Davidoffs „Adventure“ gehandelt hat.
Das Duftprofil trifft meine Erinnerung jedoch dennoch zu konservativ geschätzten 98%.
Diese faszinierende Melange aus dezenter Seifigkeit, wie sie zum Beispiel in Burberrys Herrenkreationen der späten 90er Jahre vorzufinden ist. Das Ganze unterlegt mit hell anmutenden Hölzern, leicht blumig-moschusartig im Stile eines „L‘Homme“ von YSL, gepaart mit markant warmer Würze, die diesen Duft trotz seines sanften Gesamterscheinungsbildes unverkennbar maskulin wirken lässt. Reife, Geborgenheit, emphathiegeprägte Souveränität.

Und wieder einmal die Frage: Warum habe ich diesen - ganz persönlichen! - Weltduft nicht schon vorher getestet?
6.8 Punkte in der Gesamtbewertung - kann ja eigentlich gar nicht gefallen.

Letztendlich bin ich hellauf begeistert - welch unverhoffte, längst aufgegebene Dufterkenntnis! Naja … zumindest im Duftprofil.
Was auch immer mein Onkel da damals trug - ich habe zumindest Davidoffs Pendant dazu endlich entdecken können! Und das fühlt sich richtig gut an!

Zum Abschluss plädiere ich entsprechend wieder einmal für mehr Wagnis, was die Auswahl potentieller Testkandidaten im eigenen Dufthobby angeht. Quasi im Stile klassischer Blindtests: Erst Schnuppern, dann Recherchieren - auch, wenn‘s sich in der Drogerie erst ganz nach unten gebückt werden muss. Es warten eine Vielzahl an schönen Überraschungen - da bin ich mir allerspätestens jetzt absolut sicher!

Vielen Dank für deine Zeit!
5 Antworten
Hässlicher Erpel, oder: Johnny Depps Vadder
Skandinavier lieben Inneneinrichtungs- und Dekomärkte. Was sie noch lieben sind Ladenkonzepte, die die potenziellen Kaufenden in einem vorgegebenen labyrinthartigen Pfad durch das Geschäft führen, um sicherzustellen, dass auch ja das gesamte Sortiment begutachtet wird, bevor man (un)verichteter Dinge das Etablissement wieder verlässt. Schlau, schlau … würde man beide Aspekte kombinieren könnte man mit Sicherheit einen Haufen Geld machen. You‘ve heard it here first, folks!

Wie dem auch sei, so bin ich letzterer Geschäftsstrategie der freundlichen Nordmenschen doch recht dankbar, hätte ich ohne sie den mir heute vorliegenden Duft sonst vermutlich nie unter die Nase bekommen.
Im Rahmen meiner gerade vergangenen Reise durch das schöne Dänemark führte der Weg unter anderem in eine landesweit vertretene Drogeriekette mit einem recht ulkigen Identity-Design. Als bekennendes Marketingopfer übelster Sorte spricht mich sowas natürlich direkt an und ich trat ein, eigentlich auf der Suche nach Lakritzprodukten aller Art, denn davon gibt‘s im hohen Norden eine schier endlose Auswahl (Lakritzzahnpasta - say what?!).
Meinen Weg durch das Verkaufslabyrinth bahnend blieb ich dann selbstverständlich auch am zugegebenermaßen recht übersichtlichen Herrenduftregal kleben. Dieses befand sich interessanterweise zwischen Chips, Trockenfleisch, Rasierklingen, Fußcremes und feuchtem Klopapier - quasi einer gebündelten merkantilen Präsentation urmännlicher Bedürfnisse. Dufttechnisch zur Auswahl standen lediglich sämtliche La Rive-Klone, die gesamte Pflegeserie „Brut“, einige Düfte der Marke Van Gils (it‘s a thing in Denmark!), ein paar versprengte Hugo Boss-Klassiker sowie neben dem klassischen „Tabac Original“ auch der mir bisher unbekannte „Tabac Man“. Trotz allem mir stereotyp verhaftetem Progressivismus der von mir ausgewählten Urlaubsregion gab mir dieses olfaktorische Line-Up amtliche Vintage-, oder zumindest Retro-Vibes.

Kannte ich doch bereits den Großteil der verfügbaren Düfte, griff ich zum Tabac Man und bedieselte großzügig meinen Handrücken.
Im Verlaufe der nächsten Stunden schlenderte ich wie beseelt durch meinen Urlaubstag, fasziniert von dieser unverhofften olfaktorischen Melange aus patchouliunterfüttertem Fougère, reminiszent mir hochgeschätzter Coumarinfeingeister wie „Ungaro pour Homme III“, kontrastiert mit seichten, möglicherweise als „duschgelartig“ verschrienen Elementen, wie sie in Johnny Depps Haus- und Hofdiesel prominent vorzufinden sind.
Eine kleine Hommage an Davidoffs großen „Zino“ (zur Information: DAS ultimative Meisterwerk zeitloser Herrenduftkunst - gern geschehen!) vermochte ich auch zu vernehmen. Das reicht bei mir simplen Gemüt zumeist bereits, um Begeisterung auszulösen.
Euphorisiert konsultierte ich per Smartphone unser aller Duftdatenbank des Vertrauens, vorwurfsvoll nach Antworten auf die Frage suchend, wie dieser - Achtung, Duftpolemik! - Bückwarenbilligheimer über sieben Jahre und 1332 getesteter Düfte es geschafft hatte, sich meiner Nase zu verweigern. Dabei bin ich entsprechend kategorisierten Düften grundsätzlich alles andere als abgeneigt.

Erschienen 2000, aha …
Ähnlich der gleichnamigen After-Shave-Lotion, tatsächlich, mhm, …
Würzig-holzig-frisch, jo, stimmt …
Rosengeranie, definitiv, mhm, ja …
Wertung 6.9 - WAS?!?!?!
Das entspricht in inflationären Duftbewertungszeiten ja quasi einer Schulnote 5 - oder 6 oder sogar 7!

Ich war völlig fertig. Welch Achterbahn der Gefühle - hatte ich etwa gerade durch Zufall ein hässliches Duftentlein gefunden?! De gustibus non est disputandum - ja, ja, weiß ich doch (wie im Übrigen auch, dass Dänemark geografisch gesehen nicht zu Skandinavien gehört - ääätsch, Besserwisserkommentar verhindert!)
6.9 erschien mir jedoch ob der Vielzahl der vertrauenswürdigen Vintage- und Retroaficionados der Plattform ganz schön wenig. Denn sowohl das eine als auch das andere - vintage und retro - ist der Tabac Man gewiss. Und eigentlich auch kein Entlein - eher ein Erpel, trifft er aus meiner Sicht doch ziemlich gut die (derbe!) Kerbe eines richtig schönen Männerdufts. Quasi das, was Johnny Depp seit Jahren auf Plakaten für Dior visuell versucht darzustellen - das steckt olfaktorisch im Tabac Man! Nur halt eine Generation früher … und wesentlich weniger haltbar … und im weniger schönen Flakon … und ohne Tattoos!
Bitte nicht falsch verstehen: Tabac Man riecht keineswegs wie - das von mir ebenso geschätzte - Sauvage. Er bedient meines Erachtens jedoch die gleiche recht unmissverständliche Kategorie von Duft.

So kehrte ich schließlich am Ende des Tages in den progressiven Vintageretroverkaufstempel zurück, wurde um einen Flakon reicher und um umgerechnet neun Euro ärmer. Ein richtig guter Deal, wenn ihr mich fragt.
Diejenigen, deren Interesse ich wecken konnte, begeben sich nun bitte direkt morgen zur nächsten Drogerie des Vertrauens und bemühen das feine Näschen.
Erst morgen, wichtig, denn heute ist nämlich Sonntag, da haben die hiesige Drogerien zu.
Bei den progressiven Nordmenschen hätte man allerdings auch heute schon losziehen können.

Ich bedanke mich für‘s Lesen - und bitte um die Beachtung meines Augenzwinkerns, wie bei all meinen Texten ;-)
2 Antworten
Aristokratische Duftidentitätskrise, oder: Im Palast riecht‘s!
Im Laufe der letzten Jahre schickte sich der schottische Möbel- und Küchendesigner Clive Christian an, einem ganz besonderen Teil seines Dufterbes durch Neuinterpretationen glorreicher Klassiker vergangener Tage zu huldigen: Die „Crown Collection“ ward geboren!

Äh, moment mal - Küchendesigner, Dufterbe … klingt irgendwie seltsam, passt nicht so recht. Dabei habe ich den Text nicht mal von einer KI „schreiben“ lassen …
Ah, klar - beinahe vergessen! In den 1990er Jahren übernahm unser schottischer Bespokemöbelexperte die mittlerweile etwas in die Jahre gekommene „The Crown Perfumery“, welche im ausgehenden 19. Jahrhundert wohl tatsächlich dafür gesorgt hat, dass die Queen Victoria und ihre Gang immer feinst beduftet wurden. (Kritischer Parfumo aus dem Off: Und ich dachte immer, das wäre William Penhaligons Job gewesen - potzblitz, wie verwirrend … Blaublüter, ts!)

Wie dem auch sei - Klassiker wie „Crab Apple Blossom“ oder eben nun auch „Town & Country“ sollten in neuem Gewand erstrahlen und ein wenig des olfaktorischen Glanzes vergangener Tage in die Gegenwart transportieren. Und als wäre der Geschichtsträchtigkeit hier noch nicht Genüge getan, so war es im Falle des hier nun vorliegenden Releases angeblich niemand geringeres als Sir Winston mit Melone und Zigarre, der diesen Duft in seiner ursprünglichen Form regelmäßig trug (Kritischer Parfumo aus dem Off: Und ich dachte immer, für die Churchill-Posse wäre das „Blenheim Bouquet“ entworfen worden … hä?! War Mr. Winston etwa der allererste Parfümverrückte dieser Erde?! Mit gleich mehreren Signaturdüften?!).

Was bietet uns diese zeitgemäße Neuinterpretation denn nun überhaupt rein olfaktorisch?
Soviel dufthistorisches vorweg: Ich möchte stark bezweifeln, dass Mr. Winston etwas trug, dass auch nur annähernd mit dieser Neuinterpretation „seines“ Klassikers d‘accord gehen würde.
Zum Auftakt wartet eine aromatische Kombination auf, dominiert von recht prominentem Wacholder - etwas scharfen Vetiver vermag ich ebenso zu vernehmen, in seiner Gesamtheit doch durchaus reminiszent eines „Terre d‘Hermès“-Vibes, Abstufungen hin zur synthetisch-filligranen Umzäunung eines „Bal d‘Afrique“ und Co. Das Ganze wird getragen von einer guten Portion Synthie-Hölzern (den Begriff habe ich hier irgendwo mal aufgeschnappt - finde ich total klasse, und trifft den sprichwörtlichen Nagel hier voll auf den Kopf!).
Alsbald kommt ein Grundgerüst zum Vorschein, welches ich am ehesten als Unterbau moderner fougèreartiger Herrenzeitgeistler identifizieren würde: Salbei, angesüßter Lavendel - olfaktorische Wärme vermittelnd, dabei jedoch stets frisch geduscht wirkend.
An sich finde ich das ganz und gar nicht unangenehm - und es hätte so schön sein können, doch der Duft stellt sich von vornherein selbst ein (Nasen-)Bein: Das Ganze ist so dermaßen überzogen, laut und brachial inszeniert, dass es alsbald einfach unangenehm daherkommt.
Den ersten Test führte ich vor rund drei Tagen durch - zwei Sprüher aus einer Probenphiole auf ein Stück Papier im Gästezimmer. Endergebnis: Die gesamte Wohnung (inklusive Treppenhaus/Hausflur!) riecht bis heute recht gut wahrnehmbar nach oben beschriebener Kombination.
Ich kann mir schlichtweg einfach nicht vorstellen, wie man so eine „Keule“ freiwillig zu tragen vermag. Und auch die Herzdame ist ob dieser Penetranz alles andere als amused. Mit Stil - British charm/elegance/understatement - hat das Ganze meines Erachtens leider nichts (mehr) zu tun.

Es wirkt tatsächlich ein wenig so, als hätten die friendly folks at Clive Christian nach etlichen Jahren mittlerweile mitbekommen, dass ihre - bisher ja durchaus mit recht klassischem Anspruch versehenen - Kreationen durch online-pop-up Uhrenverkäufer und ältere Herren mit Schuhfetisch (Disclaimer: Ich trage auch gerne Schuhe - ist einfach bequem!) aus good ol‘ Germany einem breiteren Publikum schmackhaft gemacht werden, letztere dem Anschein nach hauptsächlich auf olfaktorische Potenz und Präsenz zu setzen scheinen und die Briten mit ihrer neuesten Kreation versuchen, diesem Kriterium für die entsprechende Käuferschicht zu entsprechen - ohne dabei jedoch ihren gewohnt eher retroesquen Stil zu verlassen. Das will hier so jedoch leider nicht recht funktionieren.
Das ist dahingehend schade, da ich sowohl mit einigen Clive Christian-Kreationen der jüngeren Vergangenheit durchaus etwas anfangen kann, als auch dahingehend, dass ich das olfaktorische Grundgerüst des neubelebten „Town & Country“ keinesfalls misslungen finde. Er ist in seiner doch eher synthetisch anmutenden Brachialität jedoch ins durchaus penetrant-nervige „verkomponiert“ wurden … what a pity that is!

Interessanterweise fühlte ich mich in dieser Tragik sofort an very British Penhaligon‘s Release vom „Sports Car Club“ letztes Jahr erinnert: Ein ebenso durchaus ansprechendes olfaktorisches Grundgerüst, in seiner Präsenz jedoch auch völlig überzeichnet und daher eher penetrant denn angenehm.
Irgendwie scheinen bei den Hoflieferanten die Regler auf distortion zu stehen …
5 Antworten
Astro-TV für die Nase, oder: William hat Bock!
William Penhaligon war im Sternzeichen Widder. Dem Scharfsinn, der Wesen dieses Tierkreiszeichens nachgesagt wird, ist es Erzählungen nach zu verdanken, dass der einstige Meisterbarbier aus dem malerischen Cornwall die seltene Gabe besaß, selbst feinste Bartstoppeln seiner blondesten, hochadeligen Kunden bereits vor ihrem Eintreten in sein Badehaus zu erriechen. Das machte ihn wahrlich einzigartig in seiner Zunft und schon bald durfte er sich daher per royalem Dekret um die Beduftung und den Bart der Queen Victoria höchstpersönlich kümmern.

Das habe ich mir gerade (fast) alles ausgedacht.

Welche Aspekte davon nun der Wahrheit entsprechen und welche meiner Fantasie entspringen ... ist ja auch eigentlich völlig egal. Ich selbst bin im Sternzeichen Krebs - fantasiebegabte Wesen, wie auch die tierischen Vorbilder in freier Wildbahn! Seitwärts laufen, die Leibspeise sämtlicher Seevögel sein, leckeres Beinfleisch besitzen ... toll!

Ach, lassen wir das. Ich habe absolut keine Ahnung von Astrologie.

In jedem Falle passt dieser Einstieg jedoch hervorragend zum mittlerweile seit 2016 praktizierten Marketing der Portraits-Reihe des britischen Dufthauses Penhaligon‘s. Eine tief verworrene Geschichte um eine englische Adelsfamilie, in welcher ein jeder Ableger der Serie seinen Teil zu dieser erzählt und beiträgt.
Nennen wir es Kitsch. Nennen wir es Pastiche. Nennen wir es britischen Humor. Nennen wir es unheimlich gut funktionierendes Marketing - und nennen wir es meinetwegen auch viel Lärm um Nichts. Ich gebe offen zu: I am a sucker for it - wie der Franzose sagt - obwohl mich mit dem Lord George bisher lediglich nur einer der Portraits-Düfte nachhaltig aus den Socken hauen konnte. Dafür aber umso heftiger, so ist dieser doch durchaus einer der schönsten und stilvollsten Herrendüfte am Markt, wie ich finde.

Nun bekommt also - denn zumindest soviel aus dem Anfangsparagraphen stimmt - der Gründer dieses besagten Dufthauses, William Penhaligon, seinen eigenen Duft in dieser Reihe gewidmet. Das ist mal ein Statement. Ein Duft mit Flaggschiffqualitäten muss das sein - alles andere wäre sicherlich eine herbe Enttäuschung. Das wäre ja in etwa so, als würde eine traditionsreiche deutsche Automarke nicht ihr Luxusmodell, sondern lediglich einen kleinen City-Flitzer nach ihrem Gründer benennen - undenkbar!

Oh, hoppla - schon längst passiert. Geht also wohl doch.
In diesem Sinne aber gut für eine gesunde Erwartungshaltung meinerseits zu diesem Duft.

Durch einen wunderbaren Zufall konnte ich diese Neuerscheinung bereits vor der Ankunft meiner offiziellen Sharingpost testen und somit die vergangenen beiden Tage duftend eingehüllt in Penhaligon‘s Gründerduft verbringen.

Dunkelgrün kommt das Nasenelixir daher, abgefüllt in einem schweren Flakon, der, Portraits-typisch, einfach nur schön ist ... für meinen Geschmack. Aber das Thema hatten wir ja oben bereits - Neusprech: Ich lieb‘s.
In der offiziellen Ankündigung des Duftes durch die Marke selbst wurde das Augenmerk deutlich auf den zu erwartenden Vetiver gelegt. Grüne Flüssigkeit, Vetiver - alles klar, ich weiß, was kommt. So dachte ich zunächst unweigerlich.
Und in den Anfangsminuten erfüllt der Duft dieses vorgeprägte Bild zumindest teilweise. Ein weicher, minimal krautiger, sehr glattgebügelter Vetiver, der jedoch verblüffenderweise nicht meiner synaptisch fest verankerten Definition eines „grünen“ Duftes zu entsprechen scheint - welche ich jedoch niemals effektiv verschriftlichen könnte - und mich somit, im Hinblick auf Erwartung, vor ein erstes Paradoxon stellt. Vielmehr ist es ein vanilliger, beinahe gourmandiger Eindruck, der die ersten Minuten bestimmt. Um einen Vergleich zu bemühen: Trotz Grundverschiedenheit beider Düfte, komme ich nicht drum herum, in dieser Phase an den späteren Verlauf von Hermès Vetiver Tonka zu denken. Untermalt von einem etwas subtil dahertröpfelnden ... Rosmarin?!
Alsbald zieht sich der nominelle Hauptdarsteller beinahe gänzlich zurück und macht Platz für die eindrucksvolle Darbietung des, so mein Gesamteindruck, eigentlichen Stars dieser Komposition - dem Sandelholz. Bedürfe es einer festen, inhaltsstoffzentrierten Einordnung des Duftes, so würde meine Nase ihn zweifelsfrei in die Sandelholz-Ecke stellen. Um auch hier einen vorsichtigen Vergleich zu wagen: Cremiges Sandelholz à la Jacques Faths Pour l‘Homme, oder auch dem roten Aftershave von Proraso entsprechend - beides durchaus Allzeitfavoriten im Hause Nordique.
Auf dieser Stufe verharrt der Duft letztendlich einige Stunde, bleibt dabei jedoch stets zurückhaltend - vielleicht gar etwas zu sehr. Ein stilvoller Wohlgeruch, ein leicht süßlicher, sandelholziger, moderner Barbershopduft, absent jeglicher Frischeelemente. Klassifizierungen, die ihn im Geiste durchaus in die Nähe seines geweihtragenden Mitstreiters vom selben Hofe, Lord George, rücken, ohne jedoch allzu viele Ähnlichkeiten im Duftverlauf vorzuweisen.
Zedernholz? Leider nein. Weihrauch? Jo, mit einer guten Portion Fantasie ... auch nicht so recht. Das in weitreichenden duftaffinen Kreisen oftmals verrufene Ambroxan? Gott bewahre, Teufelszeug - hat letzterer in diesem Falle wohl wieder mit ins Fegefeuer genommen.

Ich für meinen Teil bin durchaus angetan von diesem neuen Ableger der Exklusivreihe Penhaligon‘s. Dennoch beinhaltet der wundervolle Widderkopfflakon mitnichten ein Gebräu, welches das olfaktorische Rad auch nur ansatzweise neu erfinden zu versucht. Sei es drum. Ich habe ihn die letzten zwei Tage über sehr gerne getragen - und freue mich bereits auf das nächste Mal.

In der Zwischenzeit genieße ich einfach mal den reinen Anblick des neuesten Ablegers der Portraits-Serie - und warte darauf, dass Penhaligon‘s demnächst vielleicht auch mal mein Sternzeichen in Form eines Krebsdeckels in die Serie bringt. Vielleicht als „Crappy Cedric“ ... oder „The Cringy Cupbearer Colin“. Das wäre doch mal was!

Vielen Dank für deine Zeit!

PS: Den Bockwitz aus dem Titel MUSSTE ich einfach als allererster bringen! Es tut mir leid.
5 Antworten
Kommt gut Ding will Zeit Rat haben, oder: Warum Vorsicht der Elefant auf der Mutter im Porzellanladen ist
Redewendungen und Sprichwörter zählten noch nie zu meinen generell als überschaubar einzuschätzenden Stärken.
In der achten Klasse wurde mein – subjektiv mit viel Fleiß und Hingabe erarbeiteter – Deutschaufsatz zum bekannten Proverb „Es ist nicht alles Gold was glänzt“ mit einer glatten 4 quittiert, da ich zwar die seitenlange, wunderbar selbstausgedachte Odyssee eines am Ende enttäuschten Goldgräbers detailreich darlegte (er folgte tagelang und mühevoll einem Schimmern in der Dunkelheit, welches sich als reflektierendes Brillenglas herausstellte – potzblitz!), den eigentlich übertragend zu erfassenden Sinn dieses Sprichwortes damit jedoch leider nur allzu wörtlich genommen hatte.

Ähnlich erging es mir – und jetzt wird letztendlich mal vernünftig übertragen, liebe Frau Arnold! – mit Amouages Communitydurchschnitts-Strandhüttenklopper.
Nach der sich quälend lange hinziehenden, und dennoch neuerlich erfolgten Entdeckung meines eindeutigen Lieblingsvertreter dieses Dufthauses (siehe Kommentar zu „Honour Man“ – like, subscribe, lasst ein Abo da, Däumchen wär’n Träumchen, ab 20.000 Likes verschenke ich iPads und Hundewelpen*), gelang es mir, sämtliche Erwartungen für auch diesen, vergleichsweise mau bewerteten Kollegen vor dem olfaktorischen Testlauf in gesunder Mitte zu halten.

Vor allein auf den Namen zurückzuführenden evozierten Bildern konnte ich mich jedoch, wie so häufig schon, im Vorfeld nicht freimachen: Strand, Meer, Karibik, Südostasien, „Sommer, Sonne, Kaktus – playing featherball on the beach – blauer Himmel, gute Laune and a beautiful girl auf’m Schoß“ (H. Schneider, 2013).
Was nach dem Aufsprühen folgte, erfüllte jedoch nicht eine dieser Vorstellungen auch nur im Entferntesten. Nun gut, blauer Himmel und gute Laune geht hier definitiv trotzdem. Das beautiful girl sicherlich auch, nur war meine Herzdame zu dem Zeitpunkt gerade leider auf der Arbeit.
Aber: keine Aquatik, kein Salz, keine (Sonnen-)Creme, kein pazifischer Blütenkranz. Stattdessen saß ich frisch rasiert mitten in Europa, im flachen, grünen Norddeutschland – und der Duft passte absolut perfekt hierhin! Ich war ein wenig – vielleicht auch ein wenig sehr – verblüfft. Grünlich, gar leicht chlorophyllartig, dezent skandinavienholzig (lies: minimalst saunaharzig) mit einer wundervollen, markanten Würze. Dabei niemals zu schwer, niemals erschlagend – und dennoch dauerhaft präsent.
Zugegebenermaßen: Der Auftakt ist amouagesque harsch und gewöhnungsbedürftig – was nach rund zehn Minuten jedoch für Stunden (ja, vielleicht sogar Tage!) folgt, ist ein olfaktorischer Herrenfrisör oberster Güte. Und, im Vergleich zu seinen – zweifelsohne ebenso sehr gelungenen – zwei Schwesterdüften Bracken „Nelkenbomber“ Man und Sunshine Man durchaus das tragbarste und schönste Duftkunstwerk dieser Klasse.

Beach Hut Man ist ein wundervoller Duft mit wirrem Auftakt – und absolut katastrophal irreführender Namensgebung. Ein Misnomer in Reinform. Ich möchte den kreativen Köpfen dahinter keinesfalls zu nahe treten, werden sich schon etwas dabei gedacht haben, aber wie wäre es denn zum Beispiel gewesen mit … hm, ja … wie denn nun?!
Gar nicht mal so leicht, einen passenden Namen zu finden. Ich eröffne hiermit den Beach Hut-Ersatznamensfindungswettbewerb! Der Sieger bekommt ein Herz von mir auf die Pinnwand ;)

Feststehen tut für mich nach all den Jahren nun Folgendes:
Es ist nicht alles Strandhütte, was Beach Hut heißt – sondern vielmehr wunderbarster Schönwetterfougère mit Duschüberlebenspotenzial (beides in diesem Falle bitte so positiv auszulegen, wie nur möglich – danke)!
Gebt ihm Zeit – steht den harschen Auftakt durch … und ihr werdet (guten) Rat erhalten ;)

Vielen Dank für`s Lesen und für eure Zeit!

P.S.: Warum der Elefant Vorsicht heißt und warum er auf der netten Porzellandame steht, weiß ich leider auch nicht.

*Clickbait
8 Antworten
1 - 5 von 10