Goldfalter

Fabistinkt
26.06.2018 - 18:07 Uhr
18
Top Rezension
10
Flakon
5
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft

Sou ebbes Gudds kummt aus Hallbrunn?!

Die "Kölnischwasserfabrik" Fochtenberger bestand seit dem 19. Jahrhundert in Heilbronn im Württemberger Unterland. Es ist eine hübsche Gegend, in der Trollinger angebaut und Autos fabriziert werden, in der von Süden kommend das Schwäbische mit pfälzisch und hessisch anmutenden Dialekten kollidiert. Heilbronn war bis zum zweiten Weltkrieg eine schöne Stadt mit prächtigen Bürgerhäusern, die im Bombenhagel 1944 komplett in Schutt und Asche aufgingen. In der Nachkriegszeit wurden lediglich das Rathaus, die Kilianskirche und eine handvoll weiterer Gebäude wieder aufgebaut, der Rest der Stadt wurde in den kommenden Jahrzehnten furchtbar lieblos in Beton neu errichtet. So ist es kein Wunder, dass HN für viele Dinge bekannt ist, unter anderem für sein jährliches "Weindorf" und das Käthchen, jedoch wahrlich nicht für seine äußere Schönheit.
Aber nicht nur Fochtenberger kommt aus der sog. Reichsstadt am Neckar, sondern auch ich. Bevor ich an den bayerischen Rand des Salzburger Beckens ausgewandert bin, bin ich 20 Jahre in einem Dorf nahe Heilbronn aufgewachsen.

Vor einem Jahr war ich einmal wieder auf Heimaturlaub. Die Situation war etwas angespannt, die Oma war erst vor kurzem ins Pflegeheim gezogen und ihr Haushalt musste ausgeräumt, versorgt und verkauft werden. Unter den Kleinigkeiten, die sie dabei mit der warmen Hand an meine Mama vererbte, war ein hübsches Schächtelchen mit extrem speziellem Inhalt: religiöses Werkzeug wie silberne Kelche, kleine Kreuze und Kerzenhalter, die wohl früher bei der Totenwache benutzt wurden. Das urige Sammelsurium wäre wahrscheinlich ein interessanter Fall für Dr. Heide bei "Bares für Rares" und stammt von meiner Urgroßmutter. Under'm Schächtele entdeckte ich einen Aufkleber mit der Aufschrift "Fochtenberger". Schnell gegoogelt, die Überraschung war groß: in meinem hässli***en Heilbronn soll es einen richtigen Parfümeur gegeben haben? Unglaublich!

Dann vergaß ich Fochtenberger wieder und beschäftigte mich erst letzte Woche erneut damit, als mir auf Ebay ein voller Flakon des Goldfalters inkl. Verpackung für kleines Geld in die Finger kam. Da Parfumo bislang weder Erscheinungsjahr noch Pyramide kannte, wandte ich mich an die Nachfolge-Firma von Fochtenberger, die medizinische Kosmetik vertreibt. Der Enkel des Parfümeurs schrieb mir prompt und sehr freundlich zurück, dass er nur wisse, dass der Goldfalter um 1960 kreiert worden sein musste. Genaueres wisse er nicht, auch eine Pyramide habe er keine.
Dafür hängte er mir etwas viel Besseres an seine E-Mail, nämlich das Originalrezept des Duftes! Darauf sind Dinge wie "Orangenöl calif.", "Infusion animale", "Crêpe mondain", "Aldehone" und "Hibiscolide" zu finden. Extrem spannend und manches lässt erahnen, wonach es wohl riechen mag. Ein großes Dankeschön an den netten Herrn!

Das Päckchen, das mich heute erreichte, enthielt eine sehr hübsche Schachtel. Ganz im Stil der 50er Jahre ist ein Blumenmuster auf den Deckel gedruckt, das wohl ursprünglich von einem Textil übernommen wurde. Die Ränder der Schachtel sind mit vertikal gestreiftem, dunkelrotem Stoff eingefasst. Oben prangt ein schwarzer Aufkleber mit den typischen abgerundeten Ecken und dem Firmennamen in der unverkennbaren Typographie der Nachkriegszeit. Der Flakon selbst ist nicht minder schön, wie man auf dem Foto oben sehen kann.

Der Duft:
Goldfalter eröffnet mit einem Wölkchen von Aldehyden. Erwartet hätte ich wegen der Bezeichnung "Kölnisch Wasser" einen zitrischen Regen á la 4711, doch nichts da. Vielleich sind Neroli und Bergamotte in den letzten 50- 60 Jahren verschwunden? Möglicherweise ist mit "Kölnisch Wasser" auch gar nicht das Genre, sondern die Konzentration gemeint.
Jedenfalls duftet er sehr angenehm aldehydig-floral. Zu den Aldehyden gesellen sich flüchtige blumige Noten, bei denen es sich um Orangenblüten handeln könnte. Der sanft-florale Mix wird herrlich seifig und bleibt dabei sehr leicht. Durch die sonnig-warme Ausstrahlung entsteht in meiner Vorstellung tatsächlich die Assoziation mit etwas orange-goldenem, der Name ist wirklich recht passend gewählt.
Von Anfang an riecht man die Basis aus dunklem Moschus, vielleicht ist es auch etwas anderes Tierisches wie Zibet (Infusion animale, da war doch was).
Der Duft ist ein Eau de Cologne, daher bleibt er sehr körpernah, hält sich bislang aber äußerst wacker. Bin gespannt, ob er sich noch weiter entwickeln wird.

Auf alle Fälle freue ich mich ungemein, diesen kleinen Schatz aus meiner Heimat mein Eigen nennen zu können und werde ihn äußerst sparsam ab und an genießen.
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