26.09.2014 - 03:44 Uhr
DasguteLeben
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The World is Full of Crashing Bores
Hier sitze ich und trage ein Artefakt, Tropfen aus einem der verstreuten, zufällig an Land gespülten Flakons des tragischen Schiffbruchs namens Gobin Daudé. Es ist der erste neue (für meine Nase) Duft seit langem, der Emotionen und Assoziationen in mir auslöst statt nurmehr ein mentales Schulterzucken. Vorher hatte ich ein paar By Kilians getestet - es hätte auch jede andere Linie seien können - und entdeckte darin nicht mehr als die nächste Permutationsreihe, zufällig ausgespuckt vom großen Nischenparfümgenerator mit seinen simplen Basisalgorithmen aus Absinth hier und Iso-E-Da, Pseudo-Oud oder Gourmand-Exotik. Little Boxes, blah....Kerle, Kerle, sagt mein innerer Hesse dann selbstkritisch, Du bist vielleicht nur ein zynisch-arroganter Dandy mit zuvielen Bembeln voller altenglischer Exzentrikerdüfte, ja nix nach 1900, Untergang des Abendlandes-Gebabbel, hör doch bloß uff! - aber dann rieche ich Sous le Buis, großes Kino, kreativer Quantensprung, verweigert sich Standarparametern, ein Naturparfüm bar jeglicher Birkenstock- und Wellness-Ästhetik, stolzes Kind alter Dynastien, Hauch von Coty, Guerlain, Caron; wenn dieser Buchsbaum ergrünt spült sich die ganze konformistische Sutsche, die nur von Marketinghypes und extravagantem Packaging zusammengehalten wird vor Scham ganz von selbst den Abfluss runter. Jaja, Duchaufour und Ellena sind Genies, aber sie tanzen ihren Synthetik Can Can zum IFRA-Soundtrack inzwischen 365 Tage im Jahr und mir blutet das Cashmeran aus den Ohren und langsam wird mir das alles zu platt; wenn schon die WC-Hygiene am Frankfurter Flughafen nicht mehr von Un Jardin sure le Nil zu unterscheiden ist, wo ist dann das "haute" in der "parfumerie" verdammt noch mal?! Ihr könnt mich als Betamax-Nerd auslachen, dafür, dass ich ein wirtschaftlich komplett gescheitertes Konzept lobpreise, denn was nützen große Werke, wenn sie zu wenige kaufen? Tja, fragt doch die siechenden Schuberts, die verarmten Van Goghs. Victoire Gobin Daudé, wo immer Du jetzt sein magst, Du bist eine Magierin, Du vermagst Lebendigkeit in eine Mischung ätherischer Öle zu hauchen, einen französischen Rokokogarten aus einem Flakon wachsen zu lassen. Da ist er, ein perfekt zugeschnittener Buchsbaum an einem lauen Frühlingstag in Versailles und als ob das noch nicht genug wäre beschwörst Du in mir die Zeiten als Nino Cerruti pour homme ein grünes Meisterwerk war und zeigst Jean-Claude wie Eau de Campagne wirklich hätte duften sollen. Soviel Genialität und Schönheit, verraten von einem gescheiterten Businessplan. Warum? Ich weiß es nicht und es ist mir egal, ich weiß nur: I'm so tired, I'm so sick and tired (ah, geliebter Morrissey), daß uns das Banale als das Sublime verkauft wird, zu Premiumpreisen. Aber vielleicht spricht aus mir auch nur ein müder, alternder Idealist, der vom Gipskrieg erzählt und wer bin ich, daß ich einem jungen Enthusiasten, der begeistert sein erstes Creed in den Himmel lobt, die Laune verderbe? -seisdrum: ich verneige mich vor den wenigen Kreativen die nicht zu Markte kriechen und was die Parfümindustrie im Allgemeinen angeht, well, wie sang schon der Mozzer: "the world is full of crashing bores."
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