Ô de Lancôme 1969 Eau de Toilette

Kamil
28.12.2023 - 16:45 Uhr
10
Sehr hilfreiche Rezension
9
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
7.5
Duft

Zwei Bilder…

… die mich in meinen Erinnerungen an diesen Duft Begleiten.

Bild 1
Fast die ganze Nacht haben wir gequatscht, obwohl wir uns nicht so selten sehen. Als die Augen nicht mehr mitmachen wollten, stellten wir fest, dass es besser ist, wenn ich bei ihr, meiner guten Freundin, dieses Mal übernachte. Schnell organisiert sie alles, was eine Frau bei ungeplanter Übernachtung brauche - Zahnbürste, Abschminkzeug, Schlafhemd…
Der Junimorgen Anno 1986 kam viel zu schnell, ich jammerte, was solle ich ohne meine Schminksachen, frischen Klamotten und vor allem ohne meinen Chanel No 19, tun, ohne ihn fühle ich mich nackt und verlassen…Auf ihrer Kommode sind einige Düfte in unterschiedlichen Farben aufgereiht. Ich greife ohne viel nachzudenken nach einem grünlichen in sehr edlem Flakon, in der Hoffnung, dass er nicht süß ist und mich nicht erwürgt.
Hat er nicht.
Bis zum späten Nachmittag konnte ich die Duftentwicklung verfolgen und das gefiel mir. Nicht mehr an den Duft gedacht habe ich erst, als ich in ein spannendes Gespräch mit einem charmanten Mann versunken bin…Dieser Duft hat mich dann in diesem Sommer oft begleitet, denn ich habe ihn mir gekauft.

Bild 2
Es ist Samstag Morgen im Juni 1993.
In einem ganz anderen Land, in einem Leben, nach dem ersten Leben.
In einem ganz anderm Film, in dem ich in einer Jeans Latzhose über einer Seidenbluse, mit der Jacke von meinem Bruder geliehen, die Hochstraße runter laufe. Ich halte das Händchen der Tochter des charmanten Mannes aus dem Bild 1, die zufälligerweise auch meine Tochter ist. Straßenmusiker, sehr wahrscheinlich mein Landsmann, auch Flüchtling, spielt Akkordeon und singt den Namen meiner Mutter: „O, Jelo, Jelo, Jeeeleeenaaaaa…“. Ich versuche die Tränen herunterzuschlucken und eile davon, nach dem meine Tochter 1DM in die Schale gelegt hat.
Auf der linken Seite Douglas, die Schaufenster neu, sommerlich dekoriert. Und viele Schachteln und Flakons von dem grünen Duft aus dem Bild 1- O de Lancome (diese Häckchen über dem O kriege ich nicht hin, sorry). Im Angebot für 29,90 DM. Ich schaue nach, in meinem Portemonnaie sind noch 30,00 DM. Und bis Monatsende sind noch 5 Tage… unangenehm gerührt eile ich weiter…Meine Gedanken aber wollen nicht mit, verharren vor dem doofen Douglas und machen mich kirre…
Durch den Kopf schnellen mir die Bilder von dem Junimorgen 1986, der ersten Begegnung mit dem Duft.
Von dem Nachmittag diesen Tages und erster Begegnung mit dem Vater meiner Tochter.
Bilder aus einem ganz anderen Leben, das mir jetzt wie ein schöner Traum vorkommt…
Ich drehe mich um, eile zu Douglas, eine im letzten Leben selbstbewusste Frau schreitet jetzt unsicher und fast verschämt in den duftigen Laden rein, spricht leise die stark geschminkte Verkäuferin mit der pinkfarbenen Bluse an. An den Kasse gehen die letzten 30DM zu der Kassiererin, die kleine Tüte mit dem Duft und einem Pröbchen ist endlich in meinen Händen!
Ich lächle die Kassiererin mit dem alten, selbstbewussten Lächeln, straffe meine Schulter mit dem hoch erhobenen Kopf und begegne der Straße wieder, aber jetzt mit glänzenden Augen. Als ob ich etwas völlig Verbotene aber wunderschönes gemacht habe.
Und denke - wir überleben doch, ich und meine zwei Kinder, trotz meiner Unvernunft.

Und ja, da bin ich nach 30 spannenden, traurigen und wunderschönen Jahren, in dem Land, das mittlerweile meine richtige Heimat geworden ist, und möchte noch etwas über diesen Duft aus den Jahren 1986 und 1993. schreiben.

Ein grüner, sommerlicher Chypre, der zuerst mit starken zitrischen Noten zu der Nase steigt, die mit einer leichten herben Note unterlegt sind. Diese Noten haben aber nichts, aber gar nichts von Klo-Reiniger-Noten, die man oft in ähnlichen Düften bekommt. Die bekommen sehr schnell zu dieser herben Note, auch etwas Weiches und fast warmes im Hintergrund, ich vermute dass das Geißblatt dafür sorgt. Bald wird die im Kopf nur angedeutete krautig- herbe Note viel präsenter, Basilikum, Rosmarin und minimal Koriander machen sich bemerkbarer, verspielen und umspielen immer leiser werdende, aber noch wahrnehmbare Zitrusfrüchte, die sich in dieser subtilen Weise wie hellgrüne, glitzernde Fäden durch den Duftverlauf immer wieder melden. Da mischt aber auch eine mattgrüne Weiche mit, die alle diese Noten in eine überaus angenehme Melange eint, der Duft bekommt an Tiefe, die der Eichenmoss herzaubert. Das alles ist noch mit dem weißen Jasmin gesprenkelt, der hier in der Duftpyramide auch nicht gelistet ist, genauso wie Geißblatt in der Kopfnote. Die Basis mit dem Eichenmoos, Vetiver und Sandelholz, gekonnt verwoben und ohne merkbaren Übergang von dem Herz, machen den Duft fast balsamisch.

Die heutige Version habe ich nur einmal kurz getestet und enttäuscht gemeckert.
Das passiert mir in letzter Zeit immer wieder, leider.

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