SirLancelot
27.03.2022 - 14:38 Uhr
12
Sehr hilfreiche Rezension
8
Preis
8
Flakon
8
Sillage
10
Haltbarkeit
8.5
Duft

Tre Skilling Banco, Hawaii Missionaries & Ochsenköpfe

Noch durchdringt Stille die Dämmerung, wird aber je durch das schnell nahende „Dadamm-dadamm“ des Pariser Abendzugs nach Bordeaux durchbrochen, als plötzlich ein Mann im Schlafanzug aus dem Zug gestoßen wird, einen Abhang hinunterstürzt und regungslos liegenbleibt.

Szenenwechsel.

In den französischen Alpen beschließt die Pariser Übersetzerin Regina „Reggie“ Lampert sich scheiden zu lassen. Nach Paris zurückgekehrt, findet sie die gemeinsame Wohnung leer und Ehemann Charles im Leichenschauhaus vor. Das komplette Mobiliar wurde noch vor seinem Tode von ihm für 250.000 Dollar versteigert, doch die Polizei händigt ihr lediglich eine kleine Reisetasche ihres Mannes aus, in der sich mehrere Reisepässe, ein Notizbuch sowie ein frankierter, aber unverschlossener Brief an Reggie befinden. Vom Vermögen keine Spur. Charles war offensichtlich vor etwas geflüchtet, aber weit kam er nicht. Ab diesem Zeitpunkt treten verschiedene Männer in ihr Leben. Ihre flüchtige aber smarte Urlaubsbekanntschaft Peter Joshua, der jedoch überraschend mehrfach seine Identität wechselt, der Leberwurst essende CIA Agent Hamilton Bartholomew aus der amerikanischen Botschaft und ein sie permanent bedrohendes Trio, ehemalige Kriegskameraden ihres Mannes; sie alle vereint das Interesse am verschwundenen Vermögen, das aus einem Golddiebstahl aus dem zweiten Weltkrieg stammen soll.

Charade steht als Begriff für ein Rätsel, dessen Auflösung man sich in Teilschritten nähern kann. Die wirklich ahnungslose Reggie muss sich diesem Rätsel stellen, eine Flucht würde für sie tödlich enden. Doch nichts ist wie es scheint, aberwitzige Drehungen und Wendungen bestimmen die weitere Geschichte, Thriller-Elemente werden im weiteren Verlauf durch komödiantische gebrochen. Es ist übrigens fast ein Klischee, Charade als den besten Alfred-Hitchcock-Film zu bezeichnen. Tatsächlich wurde er nicht von ihm inszeniert, obwohl er im direkten Vergleich zu Hitchcocks Meisterwerken diesen sicherlich ebenbürtig ist, im Kern jedoch nicht annähernd genug die dunkle Seite des Menschen beleuchtet. Der Film will den Zuschauern einfach Spaß bereiten. Und dies gelingt insbesondere durch die - fast magisch - angehauchte komisch-romantische Dynamik zwischen den grandiosen Hollywood-Ikonen Audrey Hepburn und Cary Grant, die den Film nicht nur zu etwas Besonderem machten, sondern ihn zu einem wahren Klassiker der 1960er Jahre werden ließen.
Widmen sich Parfümeure dem Kino, denkt man unweigerlich an den in Thailand geborenen Prin Lomros der sich für viele seiner Strangers Düfte von Filmen inspirieren ließ. Hinter Charade steckt jedoch der von Markeninhaberin Sarah Baker beauftragte Schweizer Freigeist Andreas Wilhelm, dessen Synthetik-Hämmer für die Marken Perfume.Sucks oder Favourit & Co mir leider wenig überzeugend in der Nase blieben. Das weckt ad hoc böse Vorahnungen.

Charade eröffnet mit einer wundbaren Tuberose, jedoch nicht die Art von brachialer Hammertuberose, wie sie gefühlt durchgängig vom Miguel Matos eingesetzt wird, sondern sehr gefühlvoll. Recht zügig gesellt sich die Süße des Ylang-Ylang hinzu und lässt die Kopfnote unterschwellig, zumindest für mich, fast aprikosenartig-fruchtig wirken. Honigtropfen klettern zäh an den Blütenstängel herab.

Die weißen Blüten ziehen sich nach einer guten halben Stunde zurück und es wird zunehmend balsamischer, immer intensiver bis sich innerhalb der ersten Stunden aus der Tiefe grüne, leicht bittere Elemente hinzugesellen, so wie die ersten Einschüchterungsversuche der drei Kriegskameraden gegenüber der armen Reggie um das Versteck des verschwundenen Geldes zu erfahren. Glattes Leder gesellt sich ebenfalls hinzu, doch noch immer wirkt eine leichte Süße im Hintergrund, bis eine zunehmende Trockenheit beginnt; ich tippe hier auf die Verwendung von Zedernholz, auch wenn es in der Duftpyramide nicht aufgeführt ist. Mitunter ist es schwierig zu bestimmen, wann genau welche Komponenten nun ihren Auftritt bekommen, wie lauter kleine Rätsel, so kunstvoll hat Andreas Wilhelm seinen Duft verwoben.

Nach guten 5 Stunden sind Patch und Sandelholz leicht wahrnehmbar, das Moos längst vorhanden und spielt zusammen mit dem Vetiver gekonnt seinen smaragdgrünen kultivierten Charme gleichermaßen aus wie ein hervorragend aufgelegter Cary Grant in seiner Rolle als Peter Joshua alias Alexander Dyle alias Adam Canfield alias Brian Cruikshank, als letzterer besonders! Nach guten elf bis zwölf Stunden läuft dann aber auch so langsam der Abspann.

Durch die Verwendung der Tuberose in Kombination mit dem Leder sowie einem moosig-erdigen Chypreakkord verwendet Andreas Wilhelm einige Old School Komponenten, die Charade auf den ersten Blick retro wirken lassen und uns in das wunderbare Paris der 60er entführen. Wie in seinem Statement der geschätzte Kollege Rivegauche anmerkt, scheint der Duft trotz seiner Charakteristik luftig & weich zu wirken, dieses Empfinden teile ich. Dies mag möglicherweise an den verwendeten Harzen liegen, denn der eingesetzte Amber kontrastiert gekonnt mit dem Chypreakkord. Umgekehrt lässt sich aber auch die These aufstellen, dass die grünen Elemente die Süße des Ambers dimmen – ein spannender Ansatz. Obwohl auch cremige Noten wahrnehmbar sind, schwebt im Hintergrund eine leichte Pudrigkeit, was auf die Verwendung von ebenfalls nicht in den Duftkomponenten erwähnten Moschus deuten könnte, aber sicherlich harmonisierend eingesetzt wurde und mitunter Charade sehr sexy wirken lässt. Und nicht nur das, der Duft wirkt absolut modern, besticht durch Raffinesse, ist unisex, verkörpert in seinen verschiedenen Phasen sowohl die weibliche Hauptfigur als auch die männlichen Protagonisten des Films respektive deren Dualität. Im Grunde wirkt der Duft so, als würde man genau heute einen verspielten Klassiker gucken, der noch immer jung wirkt. Ich glaube, Andreas Wilhelm, dieser Duft ist dein Masterpiece!

ACHTUNG Spoiler-Alarm: Wer diesen Klassiker bislang verpasst hat, aber noch gerne sehen möchte, sollte nun wegen der Auflösung nachstehender Schlüsselszene nicht mehr weiterlesen!
Auf einem Markt an der Avenue Gabriel / Carré Marigny in Paris, dem berühmten "Marché aux timbres" schenkt Reggie dem Sohn ihrer Freundin drei vermeintlich belanglose Briefmarken, die dieser bei einem Händler gegen ein Konvolut wertloser Marken eintauscht. Dabei handelt es sich bei den eingetauschten Marken um die berühmte schwedische Tre Skilling Banco – ihres Zeichens die teuerste Briefmarke der Welt - aus dem Jahr 1854, des Weiteren die Hawaii Missionaries (für die tatsächlich ein Sammler ermordet wurde) und die erste Ausgabe der berühmten Ochsenköpfe. Für den Film wurden die Originale lediglich in ihrer Farbe sowie ihrer Wertstufe modifiziert, ansonsten jedoch täuschend ähnlich angefertigt – ein wahres Fest für jeden Philatelisten.

Vielleicht noch ein Wort zur wunderbaren Audrey Hepburn, ihr hübsches Gesicht ziert auch eine deutsche Briefmarke. Im Jahr 2001 mussten jedoch die gesamten 14 Millionen der von der Hepburn Foundation nicht autorisierten Marke vollständig zerstört werden. Lediglich drei Bögen á 10 Marken existieren noch, zwei davon befinden sich im Archiv der Deutschen Post, vom letzten Bogen sind aktuell noch 5 Briefmarken im Umlauf, die übrigen fünf wurden je bis zu 50.000 € versteigert. Es lohnt sich also die Augen offen zu halten, und in der Zwischenzeit könnte man nochmal den Film gucken….
8 Antworten