№ 02 - L'Air du Désert Marocain 2005 Eau de Toilette Intense

Foxear
24.07.2021 - 05:41 Uhr
51
Top Rezension
6
Preis
10
Flakon
8
Sillage
10
Haltbarkeit
9.5
Duft

Tabula Rasa

„Atme die Luft der marokkanischen Wüste – darin findest Du dich selbst.“. Mit Spiritualität konnte ich nie viel anfangen, neugierig war allerdings schon immer. Was gibt es Schöneres, als Unbekanntes auszuprobieren und dabei positiv überrascht zu werden – trotz anfänglicher Bedenken? Deswegen stehe ich in der Wüste; wie ein Beduine gekleidet, über mir die sengende Sonne.

Vor mir erstrecken sich endlose Dünen goldenen Wüstensands, darüber der azurblaue klare Himmel. Allein und ziellos schreite ich voran. Wiederholt rauschen trockene würzige Winde an mir vorbei, gleichzeitig sind sie erfrischend zitrisch. Könnte es sich um lieblichen Koriander und Kreuzkümmel handeln? Gewürze – mitten in der Wüste, Zitrusfrüchte und trockenes Holz meine ich auch zu riechen? Unmöglich. Jedoch ist es eine willkommene Begrüßung der Wüstenseele.

Wie ich voranschreite frage ich mich, was es heißt, mich selbst zu finden. Mit mir im reinen sein? Meinen Frieden machen? Akzeptanz meiner selbst? Selbstliebe? Glück? Ist das überhaupt wichtig? Ich weiß es nicht, weißt Du es? Aus meinen Gedanken reißt mich plötzlich ein Schemen in der Ferne – ist das eine Person? Eigenartig, bis just sah ich nichts außer Wüstensand. Beginnt die Hitze sich schon auf meinen Geisteszustand auszuwirken?

Unerwartet höre ich ein leises Flüstern: „Finde mich…“. Der Ursprung der Stimme ist eindeutig unter meinen Füßen – träume ich? Hastig beginne ich mit meinen Händen den Wüstensand wegzuräumen. Die Zeit rinnt gleichgültig dahin, wie der Wüstensand zwischen meinen Fingern. Raubt mir die Zeit meine Zeit? Nutze ich sie sinnvoll? Wer urteilt überhaupt darüber? Ich selbst, mein Umfeld oder gar eine höhere Instanz? Carpe diem? Dann stoße ich auf die Quelle der Stimme: ein verziertes Amulett, das nach harzigem Labdanum riecht. „Du hast mich gefunden – nun finde dich.“, flüsterte es. Völlig perplex zögere ich und schweige.

Der Duft des Amuletts betört meine Sinne, im Zusammenspiel mit den würzigen Wüstenwinden ergibt sich eine olfaktorische Offenbarung – balsamisch-harziger Rauch, auf edlen Hölzern gebettet – merkwürdigerweise süßlich, zeitgleich herb als auch trocken? Magisch mirakulös. Für einen Augenblick meine ich, ich verweile nicht mehr auf dieser Erde, sondern auf einem exotischen Planeten, Lichtjahre entfernt von unserem Sonnensystem - wie sonst ist diese Fantastik zu erklären? Ist überhaupt alles rational und logisch? Gibt es nicht auch unerklärlich wundervolles? Die Entstehung von Materie aus dem Nichts? Die Existenz an sich? Liebe? Bevor ich mich weiter in Richtung des Schemens bewege, lege ich das duftende Amulett um meinen Hals.

Jedes Sandkorn ebnet im Zusammenspiel mit Millionen anderen den Weg zu meinem Ziel. Meine schweren Schritte sind es, welche die in Ordnung ruhenden Sandkörner ins Chaos der unkontrollierten Bewegung stürzen. Ist die Erde nicht auch nur ein Sandkorn im Universum? Wer hat ihr den Anstoß gegeben? Der Urknall? Ein allwissender Uhrmacher? Viele Geschöpfe glauben, wir seien so zentral wichtig im unendlichen Universum, dass höhere Wesen über uns wachen. Sind wir das wirklich? Ich schmunzle.

Nach Stunden des Wanderns bricht die Nacht herein, es wird bitterkalt und finster. Plötzlich beginnt das Amulett amberfarben zu leuchten und duften. Die ausstrahlende wohlig weiche Wärme dicht an meinem Herzen bestärkt mich in meinem Bestreben, trotzend der vor mir liegenden Ungewissheit. Es scheint fast so, als spendet das Amulett mir Trost: „Keine Angst, Du bist nicht allein auf Deiner Suche.“. Als ich endlich die schemenhafte Gestalt im Lichtkegel vor mir erreiche, rufe ich: „Wer bist Du?“. Sie hält kurz inne, ehe sie sich zu mir umdreht. Ein Mann, wie ein Beduine gekleidet, sein Gesicht wettergegerbt. Um seinen Hals hängt das gleiche Amulett, wie ich es trage, jedoch völlig verschlissen. Er wirkt wie mein Spiegelbild, nur… älter? Seine zerfurchten Lippen fangen zu sprechen an: „Ich bin niemand, wer bist Du?“.

Sein Atem riecht hölzern-erdig. Er wirkt erfahren wie ein Jahrhunderte alter Zedernholzbaum, dazu geerdet wie trockener tief verwurzelter Vetiver. Die Zeit scheint zu rasen und gleichzeitig still zu stehen – das Funkeln ferner Sterne am Himmel zieht zigmillionenfach vorüber. Tag und Nacht wechseln unbeständig im Zeitraffer. Inmitten dieses surrealen Umstands sind alle meine Sinne wie betäubt, nur riechen kann ich noch. Herb-süße Amberwölkchen auf trocken-erdigen Holz rauschen ewig durch die bizarre Nichtzeit und spenden mir als einziger Anker meiner mir bekannten Welt Zuversicht. Der Duft ist so undurchsichtig und geheimnisvoll, wie die Situation, in der ich mich befinde. Nur einen Augenblick später – oder waren es Jahre? – antworte ich: „Ich weiß es nicht, weißt Du es?“ – „Wen meinst Du? Zweifle nicht an Dir, Selbstzweifel sind meistens unbegründet. Du weißt vielleicht noch nicht wer Du bist, allerdings bist du wer. Antworten auf alle Deine Fragen wirst Du nicht finden – entscheidend ist, Du findest Dich. Das hier ist mein Lebewohl, doch in meinem Ende keimt Dein Neuanfang.“. Abrupt beginnt er sich in Sand aufzulösen und wird eins mit der Wüste. Gemeinsam mit dem Amulett verweile ich auf der Stelle, selbst das kleinste Licht gibt Orientierung in der Dunkelheit. Überraschend höre ich jemanden hinter mir rufen: „Wer bist Du?“. Ich halte kurz inne, ehe ich mich umdrehe und antworte: „Ich bin Du.“

Passende Musik: Takeshi's Cashew – Sterndüne
Danke an den Traumtänzer Chizza!
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