Paris 1983 Eau de Toilette

MisterRossi
24.03.2022 - 18:08 Uhr
77
Top Rezension
5
Preis
10
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
9.5
Duft

Krebs ist ein A****loch

Achtung. Es wird persönlich.
Dies wird keine Duftanalyse, kein Beschwören der Vergangenheit. Es ist nur das, was ich fühle und erlebe:

Paris war einer meiner Signature-Düfte über viele, viele Jahre hinweg. Ich wage daher zu behaupten, dass ich mich auch mit den älteren Versionen gut auskenne. Bis weit in die frühen 2000er Jahre habe ich ihn geliebt, zudem ich aufgrund meiner damaligen Stellung schier unendlichen Nachschub bekam. Ich habe es verbraucht, als gäbe es kein morgen. Die 125er Buddels waren schneller leer als mein Haarspray. Beides im doppelten und dreifachen Wortsinn nicht unbedingt umweltfreundlich.

Noch heute befinden sich fast alle Varianten irgendwo in den Tiefen meiner Sammlung, wobei ich das Eau de Toilette immer am meisten mochte. Das Eau de Parfum war mir zu cremig, zu schwer, zu üppig und vanille-lastig. Im Eau de Toilette fühlte ich mich wohl: spritzig, ohne wirklich leicht zu sein. Gehaltvoll, aber mit einer guten Prise Humor und Esprit. Tages- und Jahreszeitunabhängig, mit einer Haltbarkeit und Silage, die es locker mit langen Arbeitstagen aufnehmen konnte.

Irgendwann geriet Paris in Vergessenheit. Überlebt, über-gesprüht. Vorbei – dachte ich.

Heute, in einer Welt von Knochenmetastasen, Angst, Pflegebetten, Toilettenstühlen und Bettpfannen, begegnete Paris mir wieder. Meine Mutter, in angstvoller Not und Veränderungsdruck, mistete aus und beförderte nicht enden wollende Mengen an Vergangenheits-Devotionalien aus den Tiefen ihrer Schränke, Schubladen und Kommoden. Darunter eine Schar von Miniaturen der letzten 30 Jahre. Mitsamt einem kleinen, randvollen Mini-Paris in völlig intakter Original-Formulierung aus der Mitte der 90er. Mitgenommen. Aufgetragen. Verzaubert.

Da waren sie wieder: all die Erinnerungen und all die Zeiten, die so lange vergangen schienen. Leuchtend, strahlend, wunderschön. Fast so wie real.

Diese, scheinbar kleine Wendung des Lebens war es also, die mir Paris in der aktuellen Version (Batch Oktober 2021, in der Kartonage mit schwarzem Sockel) wieder ins Haus spülte. Geshoppt. Gesprüht. Im ersten Moment enttäuscht. Denn: Paris ist nicht mehr das, was es einmal war. Trotzdem ist es immer noch das, was es immer schon war. Klingt absurd? Ist es auch.

Die aktuelle Version ist leiser, manche würden sagen: verdünnter, verblasster. Trotzdem ist sie immer noch Paris, unverkennbar. Selbst die Haltbarkeit liegt, bei hautnaher Projektion, bei mir deutlich im Bereich von 10 Stunden. Die loréalisierte Version wartet sogar noch mit gelistetem Evernia furfuracea auf.
Es ist mir völlig egal, ob es sich verändert hat. Es interessiert mich nicht, ob L´oreal es als Cash-Cow benutzt. Ich freue mich, dass es immer noch existiert.
Irgendwann wird es wegrationalisiert werden, sterben. Bis dahin will ich mich einfach daran erfreuen, dass es noch da ist. Den Moment geniessen, und im kurzen Lichtschein des verglühenden Funkens sehen, wie wundervoll es ist.

Dies wird kein Einstimmen in den Choral derjenigen, die das Vergangene und Ersetzte lebenslang betrauern. Denn so ist das Leben nun einmal. Ich möchte mich erfreuen an dem, was da ist. Denn das ist es wert. Nur das ist es wert.

Mein Vater ist ein sehr nüchterner, pragmatischer, sachlicher Mensch. Er kennt Paris nicht. Aber er kennt das Leben.

Was ich olfaktorisch in Paris erlebe, hat eine Parallele zu dem, was ich fühle wenn ich mir heute unser letztes gemeinsames Bild aus der Klinik genau ansehe:

Er hat immer noch die selben Augen, die selbe Seele. Ich kann ihn sehen.

Wenn ich Papa das nächste Mal besuche, werde ich Paris tragen. Einfach, weil es noch da ist.

Und Papa.
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