DuftDoktor
19.03.2014 - 19:05 Uhr
8
Sehr hilfreiche Rezension
7.5Duft 8Haltbarkeit 6Sillage 6Flakon 7Preis

Ebenholz oder Gummi oder Rosengeranie?

„Ebonite“ von der Stuttgarter Schlossparfümerie gibt mir Rätsel auf. Zu einigen biete ich Lösungsvorschläge an, ein Rätsel bleibt (mangels Testmöglichkeit) noch offen. Eure Unterstützung (zur Verifikation der Lösungsvorschläge und zur Lösung des offenen Rätsels) wäre sehr willkommen.

1. Rätsel: Riecht „Ebonite“ nach Ebenholz?
Bevor ich die Erläuterungen zu diesem Duft hier bei Parfumo gelesen hatte, fasste ich „Ebonite“ als Ebenholz-Duft auf. Oder als mit (zu viel) Möbelpolitur eingeriebenes antikes Möbelstück, da ich nicht weiß, wie Ebenholz wirklich riecht.
=> Die Antwort lautet also: Ja, so kann man das bei oberflächlicher Betrachtung auffassen.

2. Rätsel: Riecht „Ebonite“ nach Gummi?
Ebonit ist laut Wikipedia ein besonders harter Gummi, das aus Naturkautschuk und (zur Vulkanisierung wenig überraschend) Schwefel hergestellt wird. Vermutlich war seine schwarze Farbe Anlass, diesen Stoff in Anlehnung an Ebenholz (engl. ebony, frz. ébène) Ebonit zu nennen.
Der Name des betrachteten Parfüms deutet also auf Gummi und auf Ebenholz hin.
=> Die Antwort lautet: Nein. Eine Gummi-Assoziation entsteht bei mir überhaupt nicht. Nur mit sehr viel Phantasie/Abstraktionsvermögen kann überhaupt eine Linie im Duftraum von „Ebonite“ zu Gummi gezogen werden.
=> Es darf also angenommen werden, dass der Name „Ebonite“ eher auf Ebenholz als auf Gummi abzielt. Auf meinem Flakon steht fälschlicher- und entlarvenderweise „Ebenite“ (und nicht „Ebonite“), was umso mehr auf Ébène/Ebenholz als Thema hindeutet.

3. Rätsel: Ist „Ebonite“ ein Duftzwilling von „Gomma“ von Etro?
Ein Duft zum Thema Gummi, der nicht nach Gummi riecht? Jawohl, das kennen wir bereits, und zwar von „Gomma“ von Etro. Beide Duftpyramiden haben Salbei/Wüstenbeifuß, Zitrone, Jasmin und Amber gemein. Dennoch sind sie leicht voneinander zu unterscheiden. „Gomma“ ist eleganter/feiner, „Ebonite“ ist aggressiver.
=> Die Antwort lautet: Nein, sie sind aber Verwandte. Die dominante Note bei „Gomma“ ist Salbei; wie sich gleich zeigen wird, ist dies bei „Ebonite“ etwas anderes.

4. Rätsel: Wonach genau riecht denn „Ebonite“?
Die dominante, während des gesamten Duftverlaufs präsente Note ist wohl die Rosengeranie! Hierbei bin ich mir nicht hundertprozentig sicher, da ich noch keine Rosengeranie gerochen habe und diese Duftnote in Parfüms selten ist. Von meinen sonstigen Parfüms enthält nur Carthusias „Ligea“ Rosengeranie, wo sie allerdings im Mandarinen-Opoponax-Schauspiel in den Hintergrund verbannt wurde.
Wenn Rosengeranie wie eine Duft-Kreuzung aus Rose und Geranie riecht, dann haut das mit meinem Dufteindruck genau hin.

-) Im Kopf ist in der Tat Bergamotte zu erkennen, verflüchtigt sich jedoch nach fünf Sekunden. Der Kopf wird von Zitrone, Salbei und bereits der Rosengeranie beherrscht.

-) Im Herz kommt noch eine gewisse Krautigkeit und Würze/Schärfe hinzu. Das Krautige könnte in der Tat von Lavendel und Minze stammen. Für die Würze/Schärfe dürfte die Gewürznelke verantwortlich sein. Jasmin ist bei diesen Schwergewichten zu schwach, um die Wahrnehmbarkeitsschwelle zu überschreiten. (Wie bei „Gomma“ bestreite ich jedoch ihre Anwesenheit nicht.)

-) In der Basis bleiben viel Rosengeranie und etwas Sandelholz übrig. Vielleicht mischen noch Amber, Moschus und Patschuli mit, aber für mich nicht identifizierbar. Lediglich an der einsetzenden Cremigkeit kann ich sie erkennen. Während die Rosengeranie im Herz scharf und (im Ebenholz-Bild) beinahe knarzig wirkt, wurde sie in der Basis gezähmt, ohne an Ausstrahlung zu verlieren. Erst jetzt wird der Duft (oder sein Träger bzw. seine Trägerin) nahbar, fast kuschelbedürftig.

=> Die Antwort lautet: Der gesamte Duftverlauf wird von der Rosengeranie beherrscht. In Kopf, Herz und Basis kommen noch weitere Facetten hinzu, welche wie Nebendarsteller wirken. Man hat also immer 70 % Rosengeranie + 30 % Kopf-/Herz-/Basis-Spezialitäten. Insofern hat der Duft einen roten Faden und zugleich eine gewisse Abwechslung. Die Idee und die handwerkliche Umsetzung halte ich für gelungen.

5. Rätsel: Ist „Ebenite“ ein Duftzwilling des legendären „Patou pour Homme“ (PPH)?
Mir fehlt eine Testmöglichkeit für PPH. Also greife ich vorerst auf indirekte Informationen zurück:
-) Die Recherche eines Parfumo-Kollegen ergaben, dass laut einer Verkäuferin der Schlossparfümerie PPH für „Ebonite“ tatsächlich Patou, äh, Pate gestanden habe soll.
-) Die Duftpyramiden sind sehr ähnlich. Beide enthalten Geranie bzw. Rosengeranie. PPH besitzt im Ggs. zu „Ebonite“ keinen zitrischen Auftakt. (Dabei finde ich den bei „Ebonite“ und „Gomma“ wunderschön.)
-) Die Duftbeschreibungen hier bei Parfumo legen auch eine gewisse Verwandtschaft zwischen PPH und „Ebonite“ (und „Gomma“) nahe.
-) „Ebonite“ enthält für mich jedoch (wie in der Duftpyramide) kein Leder, was PPH und „Gomma“ offiziell tun. Die z.Zt. fünf abgegebenen Stimmen zum Dufttyp ergeben 20 % ledrig, was ich nicht so sehe. Die Rosengeranie ist eben etwas Ungewöhnliches, schwer zu Greifendes, was man u.U. auch als ledrig oder rauchig (fehl-)deuten kann.
=> Die Antwort lautet: Wahrscheinlich ja, zumindest dürften sie sehr ähnlich riechen. Dies gilt es noch experimentell zu verifizieren.

Fazit:

-) PPH würde ich gerne 'mal schnuppern, um den Duftabstand zu „Ebonite“ zu bestimmen. Vielleicht könnt Ihr stolzen PPH-Besitzer dies übernehmen? – Möglicherweise haben wir mit „Ebonite“ einen würdigen und kostengünstigen Nachfolger von PPH gefunden!

-) „Gomma“ ist für mich ein wunderschöner ungummihafter Möchtegern-Gummiduft. Er wird von Salbei dominiert. (Davana/Beifuß/Salbei/Artemisia zählen zu meinen liebsten Duftnoten, direkt nach Rose und Vetiver.)
„Gomma“ bekommt von mir 90 %. Diesen Duft könnte ich auch mehrmals hintereinander (und zumindest einige Male im Jahr) tragen.

-) „Ebonite“ ist ein scharf-würzig-holziger Rosengeranienduft, der wahlweise auch als Ebenholz (oder sonstiges mit Politur eingeriebenes dunkles Holz) oder als sehr entfernter Verwandter von Gummi angesehen werden kann.
„Ebonite“ bekommt von mir 70 %. Es ist ein Duft, den man nur ab und zu (ich nur ein oder zwei Mal im Jahr) tragen kann.
6 Antworten
DuftDoktorDuftDoktor vor 12 Jahren
Herzlichen Dank für Eure Unterstützung beim Rätseln! Klasse, Yatagan, dass Du den Vergleich durchgeführt hast und aufdecken konntest, dass "Ebonite" ein Duftzwilling von "Ébène de Balmain" ist - und nicht von PPH.
YataganYatagan vor 12 Jahren
Das Rätsel kann ich nun auflösen. Habe heute eine Probe von Ebonite erhalte und es ist eine erstaunlich gute Kopie des legendären Balmain Ebene. Besitze noch Flakons von Ebene und Patou pH, so dass der Vergleich leicht möglich war. :)
PaloneraPalonera vor 12 Jahren
Eine sehr dezidierte Analyse. Ich kenne weder den vorgestellten Duft noch "Patou pour Homme", kann daher nichts Sinnvolles beitragen, teile jedoch Deine Zuneigung zu "Gomma", :-).
YataganYatagan vor 12 Jahren
Sehr instruktiver Kommentar mit vielen spannenden Info.s und Hinweisen. Patou pour Homme und Ebonite zu vergleichen würde mich interessieren. Werde den Duft mal auf die Merkliste setzen.
LuckyDogLuckyDog vor 12 Jahren
Besten Dank für den Kommentar. Ich werde mich in den kommenden Tagen durch die Düfte der Schlossparfümerie arbeiten. Gruß.
RivegaucheRivegauche vor 12 Jahren
Da war viel zu lesen. Die Verkäuferin in der Schlossparfümerie hatte mir wiederum erzählt, obwohl ich den Duft selbst vorgeschlagen habe, dass der Duft von Balmains Ebène inspiriert sei. Wie dem auch sei, mir gefällt der Duft :-)