Mareike
Mareikes Blog
vor 9 Jahren - 01.07.2015
39 88

Mein Paketbote und ich

Mein DHL-Paketbote heißt Dieter. Er ist Mitte 40, hat zwei kleine Kinder, und seine Frau, Beate, ist Frührentnerin. Sie hat ganz schlimmes Rheuma. Wenn Dieter mal frei hat, was sehr selten der Fall ist, sehe ich ihn oft seine Frau, die mittlerweile im Rollstuhl sitzt, durch die Stadt schieben.

Dieter ist eine Frohnatur. Wenn ich mal zuhause bin, wenn er klingelt, dann ist er immer für einen flotten Spruch zu haben. "Du magst es aber auch tun, was?", fragte er neulich, als er mir das elfte Paket innerhalb von drei Tagen zustellte. Wenn ich nicht zuhause bin, wenn er klingelt, hält er beim Rest seiner Fahrt immer die Augen nach mir offen. Wenn er mich dann erspäht, in der Eisdiele oder rauchend vor meinem Büro, an der Ampel - dann hupt er und winkt mich zu sich. Dann gibt er mir das Paket, auf das ich so sehnsüchtig gewartet habe. Wenn er meinen Freund in der Stadt sieht, dann macht er dasselbe mit ihm. "Hier, Junge, nimm das mal mit. Dann freut sich Deine Kleine."

Wenn ich ihn zuerst erspähe, weil er zum Beispiel mit seinem putzigen gelben Wagen gerade vor mir fährt, dann mache ich Lichthupe. Dieter fährt dann sofort an die Seite. "Na, haste mich noch erwischt? Bin heute extra Schleichwege gefahren, damit Du mich nicht findest", unkt er dann.

An Ostern, Weihnachten und manchmal auch mal zwischendrin stecke ich ihm fünf Euro zu, manchmal auch etwas mehr. Ich weiß, dass sein Gehalt gerade so reicht, um die Miete für seine schöne Wohnung zu bezahlen. Dorthin waren die beiden gezogen, als auch Beate noch Geld verdient hat. Heute können sich die beiden die Wohnung eigentlich nicht mehr leisten, aber Dieter weiß, wie gern Beate im Garten sitzt. Außerdem findet man nicht so schnell bezahlbare Wohnungen im Erdgeschoss. Und mit dem Rollstuhl...

Wenn ich ihm Geld gebe, ist ihm das unangenehm. Er wird dann rot. Aber er steckt das Geld ganz schnell ein und nuschelt Danke. Ablehnen kann er es nicht. Das kann er sich gar nicht leisten.

Derzeit warte ich wieder sehnsüchtig auf ein Paket. Es ist eines von ALZD, also etwas besonderes. Und natürlich wurde es per DHL versandt. Es liegt jetzt seit einigen Tagen schon im Briefzentrum. Da tut sich erstmal nichts, es wird gestreikt.

Eben war ich in der Stadt. Dort hatten sich einige DHL-Mitarbeiter zu einer Kundgebung getroffen. Dieter entdeckte ich sofort, das neongelbe Leibchen spannte sich um seinen Bauch und um den Hals hatte er eine Trillerpfeife. "Naaa, Mädchen?", begrüßte er mich mit einem schiefen Lächeln. "Hasst Du mich jetzt?"

Ich verneinte. "Natürlich nicht. Du machst einen wichtigen Job, und Du machst ihn toll. Ohne Dich wäre ich verloren. Ich finde es auch unmöglich, dass Du noch weniger Geld bekommen sollst. Das ist schon okay, dass du streikst."

Dieter guckte erstaunt. "Ich? Weniger Geld? Nee. Das geht gar nicht um mich, das geht um Uwe. Und Sebastian. Und Carsten." Diese Kollegen von ihm, deren befristete Verträge auslaufen, sollen künftig zu wesentlich schlechteren Bedingungen bei DHL Delivery beschäftigt werden. "Die bekommen dann noch deutlich weniger Geld als ich. Obwohl sie genau die gleiche Arbeit machen. Das finde ich unfair", sagte Dieter und wandte sich wieder der Kundgebung zu.

Ich ging nach Hause und dachte. Hey, komm. Es sind nur Parfums. Du kannst warten.

39 Antworten

Weitere Artikel von Mareike